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Knochenfunde in Höhlen

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Die Erde selbst erzählt uns in der Spradie der Steine und durch der:n Einschlüsse ihre Geschichte so eindringlich und klar, daß es dem Forscher möglich ist, im Vergleiche mit der Gegenwart ohne phantastische Spekulationen Landschafts- und Lebensbilder längst vergangener Zeiten in voller Wahrheit zu rekonstruieren. Gerade der würdige Rahmen des großen Beckens, der das reizvolle Bild unserer Wienerstadt umschließt, hat seit vielen Jahrzehnten zu eifrigem Studium der Geologie und Paläontologie Anlaß gegeben, und immer wieder tauchen Ergänzungen auf, die geeignet sind, interessante Details in die mühsam erarbeiteten Zusammenfassungen einzufügen.

Eine solche wertvolle Studie legte kürzlidi ' der Paläontologe und Höhlenforscher Hel-muth Zapfe von einem Kalksteinbrudie am Nordabhange des Thebener Kogels vor, wo in nordsüdgerichteten Spaltensystemen große Mengen von Knochen zwischen Lehm, Blockwerk und Tropfsteinfüllungen auf-gededet wurden. Von den über 40 bestimmten Arten fällt in der Faunenliste neben Affen und anderen Säugern, Lurchen, Kriechtieren, Vögeln besonders die Häufigkeit der Knochenreste von über 60 Individuen eines längst ausgestorbenen Huftieres, das den Namen Chalicotherium grande trägt, auf. Das pferdegroße Tier trug zum Ausgraben tiefliegender Wurzelknollen an den drei-zehigen Füßen zurücklegbare Scharrkrallen, ein Fußbau, der sonst von keinem Huftiere bekannt ist.

Durch die geologische Lagerung der fossilführenden Spalten und Laugungsräume, die von küstennahen Meeressedimenten überdeckt werden, läßt sich eindeutig das relativ hohe Alter der Tierleidien bestimmen. Es ist der geologische Zeitraum des tertiären Helvet, in dem sich etwa vor 30 bis 40 Millionen Jahren unsere Landschaft gestaltet hat. Damals war im Wiener Becken noch nicht, wie bei der nachfolgenden Meeresüberflutung, eine zusammenhängende Wasseransammlung vorhanden. Nur vereinzelt durchsetzten Seen, Sümpfe und Flußläufe das durch Erosion stark eingeebnete Gebiet, aus dessen reichem Waldgürtel der verkarstete Thebener Kogel mit seinen Kluft-und Höhlensystemen hervorragte.

Wie kam es aber zur Anreicherung dieser Skelette? Einen Wassertransport anzunehmen, ist ausgeschlossen, da jede Abrollung der Knochen und jede Rundung der beiliegenden Gesteine fehlt, außerdem wurden mehrfach Reste zusammenhängender Skelette gefunden. Zufällige Abstürze von Tieren, wie wir sie aus den Karstklüften unserer Hochalpen beim Betreten trügerischer Schneeoder Felsbrücken kennen, lassen auch für den ersten Augenblick keine Erklärung dieser reichen Fauna während eines verhältnismäßig kurzen geologischen Zeitraumes zu, und doch hat uns die moderne Höhlenforschung in dieser Richtung Ergebnisse aufgezeigt, die den Tatsachen am nächsten zu kommen scheinen.

Eine solche rezente Tierfalle findet sich im Eingange zur Eiskogelhöhle (2100 Meter ü. d. M.) bei der Werfener Hütte in den Steilwänden des Tennengebirges. Durch ein trichterförmiges Portal (2 Meter breit, 4 Meter hoch) betritt man über einen aus Verwitterungsschutt aufgebauten Versturz-kegel die vier Meter lange Eingangsstrecke, die mit einer 2,5 Meter hohen, von verkeilten Blöcken gebildeten Steilstufe zu den weiter absinkenden Labyrinthen führt. Unmittelbar unter der Steilstufe sind tiefgreifende, mit Gams- und Schafknochen gefüllte Nischen vorhanden. Zweifelsohne wird dieser Höhleneingang von den Wild-und Weidetieren sowohl im Sommer wie im Winter als beliebter Unterstand und Ruheplatz bei Wettcrunbilden benützt. In der warmen Jahreszeit bietet der kühle, feudite Raum günstigen Aufenthalt und in den Wintertagen wird dort durch fallende Lawinen ein Schneehaufen als Schutzwall gegen Wind und Kälte vorgebaut. Der von Lehm durdisetzte Versturzkegel ist aber die tückische Falle und im dichten Herdengedränge rutschen die Flüchtlinge über die im Rüdtwege unüberwindliche Steilstufe ab. In der von spärlichem, grüngrauem Tageslichte matt beleuchteten Höhle suchen verzweifelt in Todesangst die Tiere zwischen den Felsnischen einen ruhigen Sterbeplatz, um dort jämmerlich zu verenden. Ein Friedhof von Skeletten türmt sich auf und gibt dem Forscher Zeugnis von zahllosen Katastrophen im Tierleben.

Mit großer Wahrscheinlichkeit läßt sich Saraus eine Erklärung für die Knochenspalten des Thebener Kogels ableiten. Die Eingangsprofile der Höhle sind natürlich in ihrer ursprünglichen Gestalt im Laufe der Jahrmillionen zerstört worden und nur die tiefer liegenden Sterbeplätze haben sich bis zum heutigen Tage erhalten. Selbstverständlich haben sich auch Raubtiere, durch den Aasgeruch angelockt, dort eingefunden.

Für die reichlichen Kleinsäugerknochen (Fledermäuse, Insektenfresser, Mäuse usw.) lassen sich ebenfalls Beispiele aus der modernen Höhlenforschung erbringen. Die Fledermäuse suchen als höhlenliebende Tiere oft zu Hunderten Naturräume zum Winterschlafe auf, und es genügt während einer Kälteperiode oft die Unterschreitung eines für einzelne Arten charakteristischen Temperaturminimums, um die Tiere massenhaft zu vernichten, wie kürzlich der Höhlenforscher H. Trimmel im Zuge groß angelegter Beringungsversuche in Niederösterreich beweisen konnte.

Doch wie kommen Mäuse, Maulwürfe,

Frösche, Vögel oder die das Sonnenlicht liebenden Kriechtiere in die sonst von ihnen gemiedenen, dunklen Felsspalten?

Auch für diese Zusammenhänge gibt es Belege. So konnte in einer 45 Meter langen Naturhöhle direkt unter der Ruine Merkenstein etwa 8 Kilometer nordwestlich Vöslau in zwölf Jahre langer, mühsamer Grabungsarbeit ein solches Archiv der Vorzeit aufgefunden werden, in dessen Lehmlagen 84 Wirbeltierarten festgestellt werden konnten, die zu den reichsten eiszeitlidien Tierfaunen gehören, die bisher in Mitteleuropa gefunden wurden.

Diese Anhäufung ungeheurer Mengen von Vögeln und Kleinsäugern kam dadurch zustande, daß über dem Schlote, der die rückwärtigen Raumteile mit dem Obertage verbindet, Jahrtausende hindurch Uhu und Schneeule horsteten und von dort ihre Gewölle in die Tiefe der Höhle abwärtsfielen. Solche Gewölle sind unverdauliche Speisereste von Knochen, die, in Haarfilzen zusammengepreßt, von den Raubvögeln aus dem Magen, zurückgewürgt, ausgespien werden.

Damit gibt die höhlenkundliche Wissenschaft Österreichs dem Naturforscher immer neue Ergebnisse zur Hand, die geeignet sind, das Lebensbild unserer schönen Heimat in großartiger Weise zu entschleiern.

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