Schreckliche Beziehung

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Nach seiner Ausrottung tritt er wieder häufiger in Mitteleuropa auf: Mit dem Wolf wurde ein spezieller Begleiter des Menschen zum "Tier des Jahres" 2017 gewählt.

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Nach seiner Ausrottung tritt er wieder häufiger in Mitteleuropa auf: Mit dem Wolf wurde ein spezieller Begleiter des Menschen zum "Tier des Jahres" 2017 gewählt.

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Wenn Naturschützer und Wissenschafter zusammentreffen, um die Tiere und Pflanzen des Jahres zu küren, dann steckt natürlich Kalkül dahinter: Sie wollen damit Bewusstsein für eine bestimmte Art oder einen Lebensraum schaffen und auf deren Gefährdungen aufmerksam machen. Für das Jahr 2017 wurde dafür wieder ein buntes Spektrum aus Flora und Fauna herausgegriffen: vom Klatschmohn ("Blume des Jahres") zum Gänseblümchen ("Heilpflanze des Jahres"), vom Waldkauz ("Vogel des Jahres") zur Blindschleiche ("Reptil des Jahres"), von der Gottesanbeterin ("Insekt des Jahres") zum Seesaibling ("Fisch des Jahres"). Neben deutschen Fachgesellschaften hat sich auch der österreichische Naturschutzbund in die lange Liste eingebracht: Er machte den Wolf zum "Tier des Jahres".

Dass ausgerechnet der Wolf gekürt wurde, hat einen speziellen Hintergrund: Haben sich doch zuletzt die Indizien verdichtet, dass das sagenumwobene Tier nach Österreich zurückkehrt. Seit 2009 wurden hierzulande jährlich ein paar einzelne Wölfe nachgewiesen; doch man ging davon aus, dass sie auf dem Durchzug waren.

Im letzten Sommer aber wurde am Truppenübungsplatz Allentsteig im Waldviertel eine ganze Wolfsfamilie mit Jungtieren in der Fotofalle gesichtet. Laut Einschätzung von Experten waren es die ersten Wölfe, die in Österreich seit ihrer Ausrottung vor mehr als 130 Jahren in freier Wildbahn geboren wurden - nachdem die ursprüngliche Wolfspopulation des Landes 1882 im steirischen Wechselgebiet erloschen ist. Die Gründe für die Ausrottung damals waren die intensive Verfolgung der Tiere sowie die starke Veränderung ihres Lebensraums.

"Der Wolf gehört zum natürlichen Arteninventar Österreichs", heißt es heute von Seiten des Naturschutzbunds. Mit der Wahl des Wolfs zum "Tier des Jahres" will die Vereinigung nun dafür Sorge tragen, "damit er nicht ein zweites Mal verloren geht." Die Rückkehr des Rudeltiers sei prinzipiell positiv zu sehen; die Lebensbedingungen seien angesichts wachsender Waldflächen und hoher Bestände an Beutetieren wie Hirsch, Reh oder Wildschwein durchaus gut. Mit der Jägerschaft und den Bauern, die dadurch Verluste befürchten, müssten aber Lösungen gefunden werden. Elektrozäune oder Herdenschutzhunde etwa können Wölfe davon abhalten, Nutztiere zu reißen, empfehlen WWF-Experten. Historisch zeigt sich oft eine unverhältnismäßig brutale Jagd auf das Tier, die auf tief sitzende Ängste zurückzuführen sein dürfte.

Genetischer Fingerabdruck

"Ob es je wieder ein nachhaltiges Zusammenleben zwischen Wölfen und Menschen in Österreich geben wird, hängt vor allem auch von den Einstellungen der Menschen zu Wölfen ab", betont Kurt Kotrschal vom Wolfsforschungszentrum im niederösterreichischen Ernstbrunn. Durch fundierte Information will das Zentrum daran mitwirken, das mythenumrankte Bild vom Wolf richtigzustellen.

Dieses Bild schwankt zwischen den Extremen, in denen das Raubtier entweder als Feind oder Beschützer dargestellt wird. Nordische Mythen sehen in ihm ein dämonisches Wesen, das kaum zu bändigen ist und am Ende der Welt Sonne und Mond verschlingen wird. Im deutschsprachigen Raum nimmt der Wolf in Märchen wie dem "Rotkäppchen" die Rolle des gerissenen Räubers ein. In Ruyard Kiplings "Dschungelbuch" hingegen wird der kleine Mogli von einer Wolfsdame umsorgt -ebenso wie im Gründermythos Roms die Buben Romulus und Remus von einer Wölfin aufgezogen werden. Einen Einblick in diese zutiefst ambivalente Kulturgeschichte des Wolfes bietet eine zweijährige Ausstellung des Jagdmuseums im steirischen Schloss Stainz, die nach der Winterpause am 1. April wieder ihre Pforten öffnen wird.

Warum gerade der Wolf einst eine Partnerschaft mit dem Menschen eingegangen ist und in der Gestalt der Hunde zu unserem engsten "Tierkumpan" wurde, bleibt ein Rätsel. "Diese Langzeitbeziehung mag in den ähnlichen Lebensstilen der beiden Arten als Jäger und Sammler liegen", so Kotrschal. "Wölfe wie Menschen kooperieren gut innerhalb ihrer Klans auf der Jagd, bei der Fürsorge für ihren Nachwuchs, aber auch in teils grausamen Auseinandersetzungen mit den Nachbarn." In seinem jüngsten Buch "Hund und Mensch"(2016) beschreibt der Biologe, wie diese Domestikation in mehreren Anläufen, durch immer neue Partnerschaften zwischen Mensch und Wolf entstanden ist. Gesichert ist, dass vor circa 40.000 Jahren Menschenklans in Europa eine engere Beziehung mit Wölfen eingegangen sind. Das führte dann vor 35.000 bis 30.000 Jahren zu ersten Trennungen des Erbguts von Wölfen und Hunden.

Heute werden Wolfsspuren einem genetischen Fingerabdruck zugeführt: Ob es sich um Haarfunde, Speichel, Kot, Urin oder um gerissene Beutetiere handelt - brauchbare Spuren landen in einem Labor der Uni Lausanne, das auch alle Funde aus Österreich auswertet. Dennoch bleibt das Rätsel der Dunkelziffer: Wenn sich die Wölfe nur von Wild ernähren, können sie unentdeckt bleiben.

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