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Halali in Österreich

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Der Jäger ist gleichzeitig der Mensch von heute und von vor zehntausend Jahren. Beim Jagen rollt sich der ganze lange, lange Prozeß der Weltgeschichte auf und beißt sich in den Schwanz. Jose Ortega y Gasset, Ueber die Jagd

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Der Jäger ist gleichzeitig der Mensch von heute und von vor zehntausend Jahren. Beim Jagen rollt sich der ganze lange, lange Prozeß der Weltgeschichte auf und beißt sich in den Schwanz. Jose Ortega y Gasset, Ueber die Jagd

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Die ersten Jäger kamen vor rund 150.000 Jahren nach Oesterreich. Schon aus ‘der Zeit der Neandertaler — also der letzten Zwischeneiszeit — sind in Höhlen Niederösterreichs und der Steiermark Spuren jägerischer Tätigkeit nachzuweisen. Die ersten Jagdwaffen waren Steinspitzen, Faustkeile, Feuersteinklingen und Knochenharpunen, die an Beilschäften, Lanzen oder Wurfspeeren befestigt waren. Die ältesten Tiere, auf die im Raume der Alpen gejagt wurde, waren der Höhlenbär, das wollhaarige Nashorn, das Mammut und der Steinbock. Um Höhlenbär und Steinbock zu erlegen, verfolgte sie der steinzeitliche Jäger bis in Höhen von mehr als 2000 Meter. So wurden zum Beispiel in der Salzofenhöhle im Toten Gebirge ganze Depots erlegten Wildbrets und Reste von Jagdwaffen aus dieser Zeit gefunden. In Niederösterreich gibt uns vor allem die Gudenushöhle im Kremstal Aufschlüsse über, die Werkzeuge der frühesten Jagd.

MIT PFEIL UND BOGEN

Für die folgende letzte alpine Eiszeit sind neuere, erfolgreichere Jagdwaffen und -methoden, belegt: Pfeil und Bogen, Wurfholz, das Ausheben von .Fanggruben, das Heranpitsqhenq an’ die Beute mit Hilfe von Tier Verkleidung und die Treibjagd über Felsenhänge, in denen das Wild zu Tode stürzte, sowie das Einkreisen der Tiere durch gelegte Grasbrände. Neben dem Mammut werden jetzt vor allem gejagt: der Riesenhirsch, das Renntier, der Bison, das Wildpferd und der Schneehase.

Mit Ende der letzten Vereisung wird die auch im alpinen Raum verbreitete Tundra- und Taigavegetation von dichten Wäldern und üppigen Graslandschaften verdrängt. Die Großsäuger sterben aus, der Mensch wird seßhaft und geht zum Bodenbau über. Damit macht die Jagd einen ganz wesentlichen Wandel durch: sie dient nun nicht mehr vordringlich dem Lebensunterhalt des Menschen, sondern der Abhaltung schädlicher und gefährlicher Tiere von Acker und Dorf und nimmt nach und nach immer mehr sportliche Züge an. Den ersten schriftlichen Zeugnissen Cäsar, Tacitus entnehmen wir, daß die Germanen und Kelten Auerochs und Wisent, Bär und Wolf, Hirsch und Reh als Mutprobe und zur sportlichen Ertüchtigung jagten.

Im Mittelalter hat sich an der Jagdpraxis nicht viel geändert, doch wird sie fast ausschließlich den privilegierten Klassen Vorbehalten. Indem die Jagd zum „Hobby“ der Feudalherren wird, wird sie ein neuartiges Element der Sozialgeschichte, d. h. das Recht der Jagd wird mit dem sich damals entwickelten Grundeigentum verbunden. Daraus ergaben sich einige wichtige Konsequenzen. Der Grundadel erließ in seiner grenzenlosen Jagdleidenschaft den Wildbann. Zu dessen Schutz wurden auch sämtliche Rodungen verboten. Dadurch wurde der Waldbestand vor dem von allen Seiten andrängenden Gewerbe Holzhändler, Zimmerleute, Tischler, Köhler, Pecher usw. geschützt. So verdanken wir es letztlich dem Jagdvergnügen der weltlichen und geistlichen Fürsten, daß uns im deutschen und österreichischen Raum die Wälder erhalten geblieben sind. Erst unter Maria Theresia wurde der Schutz des heimischen Waldes zum Staatsgesetz erhoben.

DER „VOLKSAUFSTAND GEGEN DAS WILD"

Neben diesem großen Verdienst der mittelalterlich-feudalen Jagdausübung dürfen wir ihre Schattenseiten nicht übersehen. Die erbarmungslose Ausbeutung des herrschaftlichen Jagdregals führte soweit, daß sich die Bauern des Wildes, das Aecker und Gärten verwüstete, nicht erwehren konnten. Bauer und Köhler, die heimlich — und allzu oft nur aus bitterer Notwehr — jagten und dabei vom gedingten Forstpersonal des Feudalherren ertappt wurden, wurden grausam bestraft. So ist uns überliefert, daß ein wildernder Bauer auf einen Hirsch gebunden wurde, den Bluthunde in den Wald hetzten. Als andere Strafen sind das Ausstechen der Augen, das Abhacken der rechten Hand und das „Aufhängen wie wilde Säue“ belegt. So ist zu verstehen, daß es nach dem Tode Kaiser Maximilians L, „des großmächtigen Weidmannes“ der die Jagd in Tirol zum landesfürstlichen Privileg gemacht hatte, zu dem bekannten „Volksaufstand gegen das Wild“ kam.

Die heutige Situation ist grundlegend anders. Es gilt nicht mehr die Bauern vor dem diebischen Wild zu schützen, sondern das Weidwerk von Wilderern freizuhalten, die von ihrem Auto aus äsendes Wild mit Luftdruck- und Flobertgeweh- ren abknallen. Die zünftigen und erfahrenen Wilderer aus Erzherzog Johanns Zeiten, die, das Gesicht rußgeschwärzt, das Wild wenigstens weidgerecht erlegten, waren geradezu ehrbare Leute im Vergleich mjt diesen sogenannten „Gentleman-Wilderern“ von heute, die, mit verfettetem Herz und zitternder Hand,’ das Gewehr auf das Lenkrad des Wagens gestützt, Fasane, Rebhühner, Hasen und Rehe meist nur verwunden und dann elend verenden lassen.

Dabei wäre es für diese fast immer wohlhabenden Herren ein leichtes, eine Jagd ordnungsgemäß zu pachten. Die Voraussetzung dafür ist zunächst die Ablegung einer Jagdprüfung bei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft, bei welcher der angehende Jäger zeigen muß, daß er die heimischen Wildarten erkennt, ihre Schonzeiten weiß, die ‘Jagdwaffen Handhaben kann, und die Weidmannssprache hinlänglich beherrscht. Nach ‘bestandener Jagdpwfürtg’iitHjfl,’ er durch drei Jahre eine Jagdkarte lösen, die ihn berechtigt, bei einem befreundeten Jagdpächter auf die Pirsch zu gehen. Erst dann darf er selbständig ein Jagdrevier pachten.

WAS KOSTET DIE JAGD?

Eär die Anschaffung eines Jagdstutzens kann inan“ güt 5000 Schilling ansetizen, für das not- wendigl Aufsätzzielfernrohr weitere 1500 Schilling. Ein Feldstecher ist nicht billiger. Die einzelne Kugelpatrone kostet etwa neun Schilling.

Der Pachtzins eines Jagdreviers differiert selbstverständlich Aach Größe des Reviers, nach Art und Zahl des Wildbestandes, wobei der von der Forstverwaltung festgelegte Abschußplan peinlich genau eingehalten werden muß. Für ein mittleres Jagdrevier wird heute pro Jahr rund 15.000 Schilling bezahlt. Zu den Pachtkosten kommt noch die Wildfütterung im Winter Kastanien, Heu, Tiersalz usw. sowie die Bezahlung des Wildhegers. An Einnahmen steht dem nur der Verkaufserlös des erlegten Wildbrets gegenüber, der jedoch nahezu niemals die Höhe der Ausgaben erreicht.

Da die Kosten der Einzeljagd sehr hoch sind, ist heute im allgemeinen die Form der Gemeinde- und Genossenschaftsjagd die gebräuchlichere. Es gibt in Oesterreich rund 10.000 Jagdgebiete, wovon mehr als die Hälfte in Niederösterreich und in der Steiermark liegen. In diesen Revieren wurden im vergangenen Jahr 257.000 Hasen, 140.000 Fasane, 117.000 Rebhühner, 107.000 Rehe, 35.000 Füchse, 24.000 Stück Rotwild Hirsche, 17.000 Wildenten, 11.000 Gemsen und die immerhin beachtliche Zahl von 700 Stück Schwarzwild Wildschweine erlegt. Eine schöne Strecke!

Der vor allem durch die Fremdbesetzung in der Nachkriegszeit stark reduzierte Wildbestand ist inzwischen durch eine systematische und weitsichtige Weidpolitik wieder auf das gesunde Normalmaß gebracht worden. So hat sich zum Beispiel in unserem in den Kalkalpen bei Guten- stein gelegenen Revier der Bestand an Gemsen innerhalb der letzten fünf Jahre verdoppelt, der Anblick eines Geraffels von 20 Stück Gemsen ist keine Seltenheit.

WER JAGT HEUTE?

Aus welchen Gesellschaftsschichten stammen heute die Jäger? Die Jagd ist heute nicht mehr das Vorrecht einer bestimmten Klasse, doch ist sie nach wie vor in gewisser Hinsicht Luxus geblieben. Hier muß man grundsätzlich zwischen Einzeljagd einerseits und Gemeinde- und Genossenschaftsjagd anderseits unterscheiden. Die Einzeljagd wird heute in der Regel von Rechtsanwälten, Aerzten, Professoren, Fabrikanten, Geschäftsleuten als willkommener Ausgleichssport betrachtet. Eine Sonderform der Einzeljagd ist die Eigenjagd, die den Großgrundbesitzern Vorbehalten ist. In der Genossenschafts- und Gemeindejagd hingegen hat auch der „kleine Mann“ die Möglichkeit, seine Naturliebe und Jagdlust zu verwirklichen. So ist der Zustand der Neandertaler annähernd wiederhergestellt: jeder, der will und kann, darf innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung jagen gehen.

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