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Größer gebacken

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Alle Experten sind sich darüber einig, daß die Neuerrichtung eines Krankenhausnetzes für sieben bis acht Millionen Menschen „auf der grünen Wiese“, sprich ohne Rücksicht auf Vorhandenes, in mancher Hinsicht leichter zu organisieren wäre als eine Umstrukturierung des gewachsenen österreichischen Krankenhaussystems mit allen seinen Vorzügen und Mängeln. Leider treten dessen Vorzüge mehr und mehr in den Hinter-, seine Mängel hingegen in den Vordergrund. Jetzt wird wieder einmal reformiert — und wieder einmal werden einige der drängendsten Probleme nach bewährtem Rezept ausgespart.

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Alle Experten sind sich darüber einig, daß die Neuerrichtung eines Krankenhausnetzes für sieben bis acht Millionen Menschen „auf der grünen Wiese“, sprich ohne Rücksicht auf Vorhandenes, in mancher Hinsicht leichter zu organisieren wäre als eine Umstrukturierung des gewachsenen österreichischen Krankenhaussystems mit allen seinen Vorzügen und Mängeln. Leider treten dessen Vorzüge mehr und mehr in den Hinter-, seine Mängel hingegen in den Vordergrund. Jetzt wird wieder einmal reformiert — und wieder einmal werden einige der drängendsten Probleme nach bewährtem Rezept ausgespart.

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Dem Wahlvolk gegenüber wird die SPÖ freilich die 2. Novelle zum österreichischen Krankenanstaltengesetz als Meilenstein auf dem Weg zu einem humaneren Krankenhaus verkaufen, wurde doch die bisherige „dritte Klasse“ in eine zweite verwandelt, aus der „niedrigsten Verpflegungsgebührenklasse“ eine „all-meine“. Freilich: In den Krankensälen selbst ändert sich nichts, auch die zum Teil recht barbarischen Weck- und Frühstückszeiten und die unsozialen Besuchsregelungen ändern sich nicht. Es handelt sich eben wieder einmal mehr um eine optische Reform. Die dritte Klasse ist zur zweiten aufgerückt, weil die erste und die zweite zu einer „Sonderklasse“ zusammengelegt wurden. So reformiert es sich freilich leicht.

Weniger leicht läßt sich die von allen Seiten anerkannte Notwendigkeit, wenigstens Neubauten und größere Änderungen im österreichischen Spitalsnetz an bundesweiten Notwendigkeiten zu orientieren, mit der strikt föderalistischen Struktur unseres Krankenhauswesens unter einen Hut bringen, sei der Hut nun ein roter oder schwarzer.

Der augenblicklich moderne rote Hut besteht aus einem im Leodolter-Ministerium ausgearbeiteten „Bundeskrankenanstaltenplan“, der auch von Fachleuten der anderen Reichshälfte als „sehr penibel und gut erarbeitet“ bezeichnet wird, und aus einem System von Zuckerbrot und Peitsche, das die Bundesländer auf diesen Plan vergattern soll.

Zuckerbrot und Peitsche bestehen in der Gewährung beziehungsweise im Entzug von Bundeszuschüssen zur Finanzierung von Investitionen in Krankenhäusern. Das Zuckerbrot wird künftig größer gebacken — der dafür .vorgesehene Betrag soll von gegenwärtig 300 auf 700 bis 800 Millionen pro Jahr aufgestockt werden.

Der schwarze Hut, der allerdings bis auf weiteres in der Garderobe bleibt, ist stärker föderalistisch geschnitten. Die ÖVP möchte es den Bundesländern überlassen sehen, ihre jeweiligen Landeskrankenanstaltenpläne aufzustellen, die sich freilich ebenfalls in einen vom Bund aufgestellten Katalog von Planungsgrundsätzen fügen müßten. Die Einhaltung könnte auch hier nur mit Hilfe von Geldzuwendungen und Entzügen herbeigeführt werden — jedes direkte Eingreifen in die Krankenhausplanung, die strikt Landessache ist, bedürfte einer Verfassungsänderung, vor der beide Parteien zurückschrecken.

Was die Bundeszuschüsse zum laufenden Betrieb der Spitäler betrifft, so glaubt die Regierungspartei hier vorerst mit einer Erhöhung der Zuschüsse ihr Auslangen zu finden, während die ÖVP mit recht überzeugenden Gründen für ein neues Finanzierungssystem eintritt. Denn die gegenwärtige „Abgangsdeckung“, die von einem Bundeszuschuß in der Höhe von bisher 18,75 Prozent auf (heuer) 25 Prozent und nächstes Jahr noch etwas mehr erhöht wird, bedeutet in den Augen der großen Oppositionspartei eine Bundesprämie für lässige kaufmännische Führung: Je größer der finanzielle Abgang pro Bett, desto größer auch der Bundeszuschuß. Übernächstes Jahr tritt hier ein gesetzloser Zustand ein.

„Normkosten“ und „Normkostenzuschüsse“ lauten die magischen Wörter der rechten Reichshälfte, die unter „Normkosten“ die laufenden Kosten eines für seinen Typus repräsentativen, kaufmännisch gut geführten, betrieblich gut organisierten Krankenhauses versteht. An diesen „Normkosten“ sollten sich daher die Bundeszuschüsse orientieren. Ermittelt sollen die „Normkosten“ im Laufe eines Jahres werden, in dem man jeweils repräsentative Krankenhäuser durchleuchtet. Ein Unternehmen, das schon deshalb nützlich wäre, weil bei dieser Gelegenheit zweifellos so manche Möglichkeit zutage käme, zu sparen. Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO, die Österreichs Krankenhauswesen vor mehr als vier Jahren studiert haben, bemängelten unter anderem, daß es keine spezialisierten Ausbildungsmöglichkeiten für Krankenhausleiter gibt und daß Möglichkeiten zu gemeinsamem, sprich zentralem Einkauf (nebst so mancher anderen Rationalisierungschance) so gut wie nicht wahrgenommen werden.

Die „drei Weisen“ von der Weltorganisation zeigten freilich zuwenig Verständnis für gewachsene Strukturen, sprich, unter anderem, Österreichs Föderalismus, aber auch für manches andere heiße Eisen — obwohl Österreichs gesundheitspolitische heiße Eisen sich von denen mancher anderer Länder gar nicht so sehr unterscheiden. So zum Beispiel machten sie sich für eine Ausweitung des den Ambulatorien zugedachten Aufgabenkreises stark, freilich auch für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Ambulatorien und niedergelassenen Ärzten.

Dabei hatten die Experten von der WHO ja eigentlich die Spitaisambu-lanzen im Sinne, während die Regierungspartei die Ambulatorien der Krankenkassen meint — ein nicht geringer Unterschied.

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