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Optimale statt totale Nutzung

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Beim Neubau des Allgemeinen Krankenhauses in Wien (AKH) wurden in der Vergangenheit zumindest drei gravierende Fehler begangen.

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Beim Neubau des Allgemeinen Krankenhauses in Wien (AKH) wurden in der Vergangenheit zumindest drei gravierende Fehler begangen.

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Fehler Nummer eins: Ein riesiger, hoch technisierter Bau wird in dieser Art in Österreich erst- und einmalig errichtet, ohne daß die Planungen abgeschlossen und die Errichtungs- und Folgekosten geklärt sind.

Bis heute — mehr als zwei Jahre nach Fertigstellung des Rohbaus — sind Betriebsorganisation und Detailplanung nur zum Teil vorhanden, gibt es nur Schätzungen des Personalbedarfes, obwohl die Personalkosten etwa 65 bis 75 Prozent der künftigen Betriebskosten ausmachen.

Fehler Nummer zwei: Die Planung des neuen Krankenhauses lief nach dem Prinzip ab, daß die künftigen Nutzer ohne Koordination durch ein übergeordnetes kompetentes Kontrollorgan ihre Wünsche äußern und durchsetzen Um den Neubau des AKH Wien ist es, seit die VOEST als Bauherr fungiert, in der Öffentlichkeit still geworden. Das ändert nichts an den Fehlern, die in der Vergangenheit begangen wurden, an den Realitäten der Gegenwart und an den zu erwartenden Problemen in der Zukunft. konnten. Für eine Pavillonbauweise mit weitgehend autarken Einheiten hätte diese Form der Planung durch Wünsche vielleicht genügt, für einen komplexen Zentralbau ist dies aber zuwenig.

Es wurde deshalb lange auf den Deus ex machina gewartet, die Betriebsorganisation, die über alle übergeordneten Probleme hätte Auskunft geben sollen. Aber sie existiert bis heute nicht.

Fehler Nummer drei: In den bisherigen Bauphasen blieben elementarste Spielregeln der Projektorganisation für Großbauvorhaben unbeachtet. So haben sich die bereits 1975 aufgezeigten Fehler eines anderen Großprojektes, der Olympiabauten in München, beim AKH wiederholt.

Es sind dies die Fluktuation in den Leitungsorganen und deren wiederholte Strukturänderung, die mangelhafte Zielklarheit und Zielstabilität, die ungenügende Verselbständigung gegenüber der Bürokratie, laufende Einflußnahmen durch Spitzenpolitiker, die Vielzahl der zuständigen Organe, der Verzicht auf Baustufen und der Mangel an projektadäquaten Kontrollverfahren.

Alle diese Fehler haben dazu geführt, daß wir in der Gegenwart mit folgenden Realitäten konfrontiert sind:

Die räumlichen Verhältnisse im alten AKH, vor allem im josephinischen Teil, sind trotz Ausnutzung der letzten Innenhöfe zum Bau von Baracken nicht mehr tragbar. Die Substandardbedin-gungen führen zu einer zunehmenden Behinderung der wissenschaftlichen Forschung und zu einem Qualitätsverlust bei der Patientenbehandlung, die auch durch größte Bemühungen der Ärzte nicht kompensiert werden können.

Für das neue AKH gilt auch, daß die darin vorgesehenen Bettenanzahl in diesem Ausmaß für die medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht erforderlich ist. Schon heute übersteigt die Zahl der Spitalsbetten für Akuterkrankungen den tatsächlichen Bedarf in Wien bei weitem.

Das Uberangebot beträgt derzeit 25 Prozent (3.033 Betten) und verteilt sich verschieden intensiv auf alle Fachbereiche mit Ausnahme der Neurochirurgie.

Für die Zukunft sind daher eine ganze Reihe von Problemen zu erwarten.

Die Errichtungs- und Betriebskosten des neuen AKH werden für den Durchschnittsbürger unvorstellbare Höhen erreichen.

Schätzungen für den angenommenen Fertigstellungstermin 1987 rechnen mit Baukosten von 40 Milliarden und Betriebskosten von neun bis zehn Milliarden Schilling pro Jahr.

Der für den AKH-Neubau notwendige Anteil an den für Gesundheitsinvestitionen vorgesehenen Mittel, stieg in den letzten Jahren ständig (derzeit 80 Prozent) und geht zu Lasten aller anderen Wiener Spitäler.

Die Kosten-pro-Bett-Relation könnte die Daseinsberechtigung des Baus überhaupt in Frage stellen. Viele Erkrankungen — fast alle? — könnten ökonomischer und mit gleicher medizinischer Qualität auch außerhalb des AKH behandelt werden. Allerdings ist eine Mindestpatientenzahl als Existenzgrundlage der jeweiligen Klinik sowie für studentische und ärztliche Ausbildungsaufgaben unbedingt notwendig.

Ein beinahe unlösbares Problem ergibt sich daraus, daß der technische Standard des Neubaus sehr hoch ist. Die Anforderungen durch die komplizierte betriebliche Organisationsstruktur übersteigen die bisher in Österreich und auch vielfach international gemachten Erfahrungen.

Der Neubau ist höher automatisiert und technisiert und besteht nicht wie das alte AKH aus relativ autonomen Untereinheiten. Teile der einzelnen Kliniken im neuen AKH (Bettenstation, Ambulanz, Operationssaal, Sekretariate) liegen verstreut und teilweise weit voneinander entfernt im Baukomplex.

Fehler korrigieren

Die Integration der einzelnen Arbeitsbereiche ist unklar, die gegenseitigen Abhängigkeiten sind kaum zu überblicken. Die Komplexität, die von der Zahl der notwendigen Beziehungen zwischen diesen vielen Untereinheiten abhängt, steigt daher beträchtlich und damit auch das Risiko von Betriebsstörungen.

Folgt man den vorangegangenen Überlegungen, dann ist das Risiko ungeheuer groß, den AKH-Neubau wegen gravierender betrieblich-organisatorischer Mängel, auftretender technischer Störungen oder fehlender Finanzierungsmöglichkeiten nicht oder nicht in der vorgesehenen Form betreiben zu können. Es wurden deshalb wiederholt Vorschläge gemacht mit dem Ziel, begangene Fehler zu korrigieren und das gegebene Risiko zu reduzieren.

Natürlich ist die Nutzung des gesamten Neubaus für medizinische Zwecke als globale Zielvorstellung prinzipiell anzustreben. Trotzdem sind aber Formen reduzierter Nutzung — aber als Universitätsklinikum — zu überlegen.

Die Berechnung verschiedener Nutzungsvarianten könnte ergeben, daß ein sinnvoller Betrieb überhaupt nur bei Verringerung der derzeit vorgesehenen Kapazitäten möglich ist, sowohl hinsichtlich der Grenzen der Finanzierbarkeit als auch der technischen und organisatorischen Möglichkeiten des Betriebsablaufes.

Dann aber würde sich ein neues Planziel ergeben, das etwa den Anregungen der Arbeitsgruppe AKH („Alternativkonzept für das AKH”, 1981) entspricht.

Die Betten und Funktionen im neuen AKH werden auf zweckmäßige Dimensionen reduziert, die medizinischen Bereiche werden nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten umstrukturiert.

Im Rahmen der vorgesehenen Funktion als Zentralkrankenhaus sollten vorwiegend solche Patienten aufgenommen werden, die aus diagnostischen oder therapeutischen Gründen den gegebenen Aufwand benötigen.

Gleichzeitig sollte eine Betriebsintensivierung und Verbesserung der Ausstattung der Gemeinde- und Privatkrankenanstalten erfolgen. Durch qualifizierte Peripherieabteilungen sollten nicht nur Aufgaben in der Patientenbehandlung, sondern auch solche des studentischen Unterrichts, der Ärzteausbildung und der wissenschaftlichen Forschung mehr als bisher übernommen werden.

Das Ziel für den AKH-Neubau sollte nicht die totale Nutzung, sondern die optimale Nutzung sein.

Der Autor ist Arzt und Professor an der I. Chirurgischen Universitätsklinik Wien sowie ordentliches Mitglied des Wiener Landessanitätsrates.

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