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Warten auf das „Allgemeine”?

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Mit der Bekanntgabe der Bewertung der 21 Architektenentwürfe zum Neubau des Allgemeinen Krankenhauses in Wien durch die Jury im Juli d. J. hat das Interesse der Öffentlichkeit an diesem Neubau einen neuen Höhepunkt erreicht. Mit Recht, denn in den langatmigen Präludien zu diesem Vorhaben, deren ernsthafter Beginn bereits in das Jahr 1955 zurückreicht, gab es zum erstenmal etwas Konkretes zu sehen: Pläne und Modelle, die nicht bloß visionäre Phantasieprodukte, sondern bis ins letzte, auf Grund umfangreichen Zahlenmaterials und eingehender Richtlinien erstellte Projekte darstellen.

Enttäuschung und Skepsis

Und nun kam gleich die große Enttäuschung. Es, herrschte, wie , man Pressestimmen und Publikumsäußerungen entnehmen konnte, die Meinung vor, daß jetzt auch schon mit dem Neubau begonnen werden könne. Statt dessen erfährt die Öffentlichkeit, daß weitere ein bis zwei lahre vergehen werden, ehe die detaillierten Pläne für das endgültig zur Ausführung bestimmte Projekt vorliegen. Das heißt also, daß auch nach dem Architektenwettbewerb noch kein gültiger Bauplan für den Neubau des Krankenhauses existiert und daß heute noch niemand den Termin für den Baubeginn exakt angeben kann.

Damit scheint die Verwirklichung des Vorhabens neuerdings in unbestimmte Ferne gerückt zu sein. Zugleich hat die alte Skepsis, mit der die Chancen für das Zustandekommen des Neubaues stets beurteilt wurden, neue Nahrung erhalten. Diese Skepsis hat eine reale und eine irreale Wurzel. Die erste liegt darin, daß es der Öffentlichkeit völlig an Maßstäben für den Umfang ujid die Schwierigkeit, der Aufgabe fehlt und demgemäß aucH’die Voraussetzungen für die richtige Einschätzung der zeitlichen Beanspruchung der Planungs- und der Ausführungsphase nicht vorhanden sind.

Spitalsbau zählt infolge der unerhörten Konzentration von zum Großteil kompliziertesten medizinischen und nichtmedizinischen technischen Einrichtungen und infolge der Verschiedenartigkeit der Ansprüche, die an Form, Größe, Lage und Ausstattung der einzelnen Räume und Raumgruppen gestellt werden, zu den schwierigsten Aufgaben der Baukunst. Jeder Raum, jede technische Anlage muß zudem im Hinblick auf die Verwendbarkeit im Rahmen der vielseitigen Wechselbeziehungen der einzelnen Institutionen, auf die Ge- stehungs- und Betriebskosten, auf den Personalbedarf, auf die Sicherheit und das Wohlbefinden von Patienten und Personal und auf die für den Spitalbetrieb geltenden Bestimmungen durchgedacht .und geplant werden. Da darf nichts vergessen, übersehen oder über den Daumen geschätzt werden. .JIur Bewältigung: dieser Riesenarbeit bedarf es eines sorgfältig ausgewählten Arbeitsteams, welches planend, berechnend und korrigierend in steter Fühlungnahme unter sich und mit den einschlägigen Spezialisten ein ausführungsreifes Projekt zusammenstellt. So wenigstens ist es bei der Planung für ein Großkrankenhaus mit 2500 Betten, das überdies noch Universitätsklinik ist, unbedingt erforderlich.

Damit dürfte verständlich geworden sein, daß unter den angegebenen Verhältnissen gerade das Planungsstadium im Vergleich zur Durchführung verhältnismäßig viel Zeit in Anspruch nimmt. Fehler, Ungenauig keiten und Unterlassungen in der Planung verzögern und verteuern die Bauarbeiten enorm. Drei ausländische Beispiele aus der jüngsten Zeit mögen die Bedeutung der Planung in ihrer zeitmäßigen Auswirkung illustrieren: Chirurgische Klinik Düsseldorf:

374 Betten, Planung 2 Jahre, Bauzeit 3 Jahre.

Krankenhaus Benrath, Westdeutschland: 373 Betten, Planung 2 Jahre, Bauzeit 4 Jahre.

Hospital Dukzigt, Rotterdam: 1200 Betten, Planung 6 Jahre, Bauzeit 10 Jahre.

Wenn man unter diesem Aspekt den bisherigen Fortschritt der Vorarbeiten für den Neubau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses betrachtet, verdienen drei Daten besondere Beachtung:

• Als Ausgangspunkt kann die Einigung von Bund und Gemeinde über die Kostenaufteilung und die Konstituierung gemischter Ausschüsse zur Erteilung der notwendigen Direktiven angesehen werden.

• Der zweite wichtige Schritt war die Aufstellung des Raum- und Funktionsprogramms, welches Dr. Hans Ulrich Riethmüller auf Grund umfangreicher statistischer Erhebungen und der von der medizinischen Fakultät bekanntgegebenen Wünsche abgefaßt hat.

• Die dritte Etappe ist nun der Architektenwettbewerb, welcher mit der Verlautbarung der Preiszuerkennung durch die Jury am 18. Juli 1961 erfolgreich beendet wurde.

Diese drei Stufen gingen absolut folgerichtig auseinander hervor. Sie wurden auch in angemessenen Zeiträumen bewältigt. Speziell der Wettbewerb hat für die weitere Entwicklung wertvolle Erkenntnisse gezeitigt. Die eingereichten Arbeiten haben erstens bewiesen, daß der beabsichtigte Neubau auf dem zur Verfügung stehenden Gelände, wie vorgesehen, in zwei Etappen durchgeführt werden kann. Er hat weiter gezeigt, daß Architekten zur Verfügung stehen — die Namensträger der drei preisgekrönten Entwürfe sind erfreulicherweise Wiener —, die sich der Aufgabe gewachsen zeigen.

Von dem Beginn des Baues trennt uns eigentlich nun nur noch die Ausarbeitung der Pläne des Durchführungsprojektes. Vorher muß jedoch noch die Architektengruppe, welcher diese Aufgabe anvertraut wird, ernannt werden. Die Fachmeinung be- mißt, wie erwähnt, die Zeitdauer für die Festlegung der endgültigen Baupläne mit eineinhalb bis zwei Jahren. Doch könnte unter Umständen noch vor Ablauf dieser Frist wenigstens mit den vorbereitenden Geländearbeiten begonnen werden.

Zwischen gestern und morgen

Die geistige Bewältigung der Neukonzeption des Allgemeinen Kranken hauses, die Zusammenfassung seiner Aufgabe als Krankenhaus, Forschungsund Unterrichtsstätte zu einer modernen Synthese, die zudem die große Tradition des medizinischen Wien mit der Weltmedizin von morgen verbindet, ist kein geringeres Problem als die Lösung der damit zusammenhängenden wirtschaftlichen und finanziellen Fragen; die Planung der für Österreich vollkommen neuen Organisation der medizinischen, ökonomischen und administrativen Seite des Projektes nicht minder schwierig und verantwortungsvoll wie das architektonische und bautechnische Problem. Spannungen und Meinungsverschiedenheiten müssen dabei angesichts der Größe der Aufgabe und der Beteiligung einer so großen Zahl diverser Fachkräfte in Kauf genommen werden. Sie müssen nicht, wie oft vorschnell vermutet wird, politische oder persönliche Motive haben. Sie sind im Ringen um gute Lösungen unvermeidlich. Die unbedingte sachliche Notwendigkeit, welcher das große Interesse der Öffentlichkeit Nachdruck verleiht, ist hinreichend Auftrieb und Ansporn für alle damit befaßten Instanzen, das Werk tatkräftig weiterzuführen. Die bisherige Entwicklung bestätigt diese Auffassung. Nach menschlichem Ermessen kann nur ein unvorhersehbarer außerordentlicher Umschwung der allgemeinen Lage den Bau verzögern oder ernstlich gefährden. Das möge ein günstiges Geschick verhindern.

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