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Kommt das Retortenbaby auf Krankenschein ?

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Die Retortenzeugung mit ihren medizinischen, ethischen und rechtlichen Implikationen war schon Thema der FURCHE (Nr. 32/1982, Nr. 27/1983). Aber es geht auch um die Übernahme der Kosten.

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Die Retortenzeugung mit ihren medizinischen, ethischen und rechtlichen Implikationen war schon Thema der FURCHE (Nr. 32/1982, Nr. 27/1983). Aber es geht auch um die Übernahme der Kosten.

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Auf Krankenkassenkosten, sozusagen auf Krankenschein, sollte nach den Wünschen verschiedenster Stellen schon vieles mehr „gewährt" werden, als dies nach der vorgegebenen Rechtslage möglich ist ocier zumindest als möglich angesehen wird.

Sozialpolitiker zeigten nicht erfaßte gesundheitliche Grossisten auf, z. B. den zeitgemäßen Zahnersatz. Gesundheitspolitiker dachten unter dem gleichen Begriff eher an die Pf lege nicht mehr behandlungsfähiger, chronisch oder unheilbarer Kranker. Familienpolitiker stellten die ,J*ille auf Krankenschein" zur Diskussion, und als Extrembeispiel wurde sogar die Abtreibung auf Krankenkassenkosten nicht nur einmal aus einem bestimmten Eck heraus gefordert.

Jetzt stellt sich die Frage, ob das, wenn auch umstrittene, ,3etor-tenbaby" auf Krankenschein kommen soll.

Ohne Rechtsbelehrungen über das vielen ohnedies zu komplizierte und unverständliche Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) geben zu wollen, muß man an dieser Stelle doch mit einfachen Worten auf die rechtliche Basis der sozialen Krankenversi-chenuig aufmerksam machen.

Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht übernimmt die Krankenversicherung nicht medizinische Leistungen schlechthin. So ist weithin nicht bekannt, daß Impfungen, auch durch den Hausoder Kassenarzt, oder spezielle Untersuchungen eines keiner Behandlung bedürfenden Patienten, wie für Tropentauglichkeit oder für Sportzwecke, nicht in den-Krankenschutz fallen.

Mit Ausnahme der der Früherkennung von Krankheiten dienenden Jugendlichen- oder Ge-, Sundenuntersuchungen, spezieller „Maßnahmen zur Festigung der Volksgesundheit" und des noch näher zu beleuchtenden „Versicherungsfalles der Mutterschaft" hat die Krankenkasse im wesentlichen den gesetzlichen Auftrag, an medizinischen und verwandten Leistungen die Krankenbehandlung, Hauskranken-und Anstaltspflege bei Krankheit zu übernehmen.

„Krankheit" darf wiederum nicht im landläufigen Sinne, sondern nach dem genau festgelegten, gesetzlichen Begriff des ASVG, nämlich „als regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der Krankenbehandlung notwendig macht", verstanden werden.

Damit wird klar, warum bei unveränderter Gesetzeslage die eingangs erwähnten Kostenübernahmeforderungen eigentlich gar nicht abgelehnt werden müßten, sondern einfach ins Leere gehen.

Besonders deutlich wird dies für die Forderung nach „Fristenlösung" aus Krankenkassenkosten (davon unterschieden werden muß die medizinische Indikation). Dies wäre sicher nicht die medizinische Behandlung eines regelwidrigen Körperzustandes, eher das Gegenteil.

Und das ASVG steckt seine sozialpolitische Zielrichtung auch ganz deutlich in die dieser zu Recht abgeblitzten Forderung entgegengesetzte Richtung ab. Der ärztliche Beistand und die Anstaltspflege für einen durchaus „regelgerechten" Körperzustand, bei Schwangerschaft und Entbindung, werden nicht als Krankheit, sondern aus einem eigenen Versicherungsfall der Mutterschaft gewährt.

Paßt der ärztliche Beistand zur Zeugung eines Retortenbabys hier hinein? Oder wenn nein: soll oder kann er, unabhängig von der grundsätzlichen ethischen Frage der Zulässigkeit oder Erwünschtheit eines solchen Vorganges, hier hineinpassen?

Der Versicherungsfall der Mutterschaft kann außer Betracht gelassen werden, weil der Vorgang, abgesehen von anderen Gründen, sozusagen erst die Voraussetzung für den gesamten Versicherungsfall schafft. Warum muß er dies schaffen? Weil ein regelwidriger Körperzustand vorliegt, der eine natürliche Zeugung bzw. Empfängnis ausschließt.

Wer jetzt aber glaubt, damit sei das „Sesam-öffne-Dich" zur Kasse der Krankenversicherung gefunden, frohlockt allerdings zu früh. So einfach ist es leider nicht. Hinzufügen muß man nämlich, daß eine weitere Ursache die ist, daß dieser regelwidrige, eine natürliche Befruchtung ausschließende Körperzustand in diesem Falle offensichtlich nicht behandlungsfähig ist und deshalb der ,Jletortenweg" gewählt werden muß. Die Behandlung von Unfruchtbarkeit oder Empfängnisunfähigkeit wäre aber selbstverständlich eine Leistung der sozialen Krankenversicherung auf Grund der geltenden Gesetzeslage.

Scheitert also diese Frage an Paragraphenreiterei und engherziger Gesetzesauslegung? Ist kein Weg zu finden?

So stand man schon einmal vor der Frage, wie denn aus Krankenkassensicht die Leistungen—ärztlicher Eingriff und Beistand und Anstaltspflege - für den freiwilligen Organspender, z. B. bei Nierentransplantation, zu beurteilen sind. Der Organspender wird ja nicht im Sinne des ASVG „behandelt", aber, und das ist der springende Punkt, der Vorgang dient der Behebung eines regelwidrigen Körperzustandes eines anderen. Mit der 29. AS VG-Novelle hat der Gesetzgeber die Entnahme eines Körperteiles zur unentgeltlichen Organspendung deshalb dem Versicherungsfall der Krankheit zugeordnet.

Auch die Zeugung in der Retorte ist zwar nicht selbst Krankenbehandlung, sie dient aber der Uberwindung eines regelwidrigen Körperzustandes und entspricht damit durchaus der Zielsetzung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, die lange vor der Annahme der Möglichkeit einer solchen Maßnahme geschaffen wurde. Auch beim Organspenden war es ähnlich.

Der Weg wäre also vorgezeichnet: Vernichtung von Leben „auf Kasse" wäre ein totaler Bruch mit der Zielsetzung der sozialen Krankenversicherung gewesen. Die Hilfe zur Begründung von Leben, auch ,4n der Retorte", wäre eine folgerichtige Weiterentwicklung.

Der Autor ist Direktor der Wiener Gebietskrankenkasse, Nationalratsabgeordnetcr und Sozialsprecher der OVP.

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