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Die Raiffeisenkassen in Oberösterreich und ihre Organisation

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Da jede Werbung im Wesen einer Sache und in ihren besonderen Eigenschaften begründet sein muß, bemüht sich der nachfolgende Aufsatz, zunächst das Wesen der Raiffeisenkassen darzustellen, um daraus ihre Bedeutung für die Landbevölkerung aufzuzeigen. Es soll aber auch gezeigt werden, welche Maßnahmen zu ihrer Gestaltung in Oberösterreich getroffen werden.

Wir zählen in Oberösterreich 286 Raiffeisenkassen. Ihr Spitzeninstitut ist die Oberösterreichische Raiffeisen-Zentralkasse in Linz, bei der die Kassen ihre Liquiditätsreserve anlegen, über die sie ihren Zahlungsverkehr abwickeln, welche die Kassen im Verein mit dem zuständigen Revisionsverband betreut und sie in ihrer Geschäftsabwicklung zu fördern bemüht ist. Die Raiffeisenkassen sind so wie die Zentralkasse ländliche Kreditgenossenschaften, das sind gemäß 1 des Gesetzes über die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom Jahre 1873 Vereine von nicht geschlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbes und der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels Kreditgewährung bezwecken. Jede Kasse ist selbständig und hat sich selbst zu verwalten. Ihr oberstes Organ ist die Vollversammlung der Mitglieder. Durch diese genossenschaftliche Eigenschaft unterscheiden sich die Kassen wesentlich von den übrigen Kreditinstituten.

Um bei einer Kasse einen Kredit zu erhalten, muß man Mitglied sein. Der Geltungsbereich einer Raiffeisenkasse in Oberösterreich umfaßt ein bis zwei Gemeinden und darf sich mit dem Geltungsbereich einer anderen Kasse nicht überschneiden. Nur innerhalb des jeweiligen Bereiches einer Kasse kann jemand Mitglied der betreffenden Raiffeisenkasse werden. Infolge des beschränkten Einzugsgebietes einer Kasse besteht unter ihren Mitgliedern ein persönlicher Kontakt. Da der Vorstand einer Kreditgenossenschaft, der sich so wie der Aufsichtsrat aus einigen Vertrauensleuten aus dem Kreise der Mitglieder zusammensetzt, über die Aufnahme eines Gesuchstellers als Mitglied zu bestimmen hat und daher demjenigen, der ihm nicht das nötige Vertrauen zu genießen scheint, die Mitgliedschaft verweigert, kommt das persönliche Moment bei der Raiffeisenkasse um so mehr zur Geltung.

Da zum Wesen einer Raiffeisenkasse begriffsnotwendig die Förderung des Erwerbs und der Wirtschaft ihrer Mitglieder gehört, haben die oberösterreichischen Raiffeisenkassen neben dem Persönlichkeitsprinzip auch das der Gemeinnützigkeit zu beobachten, das, wie die Erfahrung zeigt, viel leichter zu verwirklichen ist, wenn man weiß, welchen Personen die Gemeinnützigkeit zugute kommt. Voraussetzung, daß die Gemeinnützigkeit aber tafsächlich verwirklicht werden kann, ist, daß die Kassen nicht durch einen zu großen Verwaltungsapparat zum Selbstzweck werden. Wir sind daher in Ober-Österreich bewußt bemüht, die Initiative des unbesoldeten Vorstandes und Aufsichtsrates zu wecken, damit diese auch in der Tat die ihnen durch Gesetz und -Satzung zustehenden leitenden Befugnisse ausüben, und der Buch- und Kassenführer, der im übrigen die Kassengeschäfte zumeist nebenberuflich versieht, als Angestellter der Kasse, bloß als durchführendes' aber nicht als bestimmendes Organ der Kreditgenossenschaft fungiert.

Der Wahrung der angeführten Prinzipien kommt große wirtschaftliche Bedeutung zu. Sie ermöglichen es, daß die Raiffeisenkasssen in der Kreditgewährung an ihre Mitglieder billiger sein können als andere Kreditinstitute an ihre Kunden. So hat der Debetzinssatz für Darlehen und Kredite bei den Raiffeisenkassen vor der am 19. Oktober 1953 erfolgten Herabsetzung der Spareinlagenzinsen um ein halbes Prozent, 8 bis 8% Prozent netto betragen. Das bei den Kassen vorhandene ausgeprägte persönliche Moment erfordert einen verhältnismäßig bescheidenen Verwaltungsapparat, was auch dem Wesen der Kreditgenossenschaften als Personalgesellschaften durchaus entspricht. Trotz des geringen Verwaltungsapparates ist auch das Geschäftsrisiko sehr beschränkt, da die Kassen von vorneherein wissen, mit wem sie es zu tun haben und ob und wieviel Kredit der Kreditwerber verträgt. Der geringe Umfang des Verwaltungsapparates ist aber nicht zuletzt auf die Art der Darlehen und Kredite zurückzuführen, die bei einer Raiffeisenkasse zur Verausgabung gelangen. Nach den Satzungen sind die Raiffeisenkassen nämlich nur dazu bestimmt, kurz- oder mittelfristige Betriebskredite zu verausgaben, deren Höhe nach den bei einer Kasse jeweils vorhandenen Einlagen beschränkt ist. Die Kredithöchstgretize wird jeweils von der Vollversammlung der Mitglieder festgesetzt und ist bei Kreditvergebung vom Vorstand und Aufsichtsrat zu beachten.

Die Voraussetzung für die Hingabe von Krediten ist bei jedem Geldinstitut die Bildung von Einlagen. Diese haben sich in letzter Zeit dank der Stabilisierung unserer Währung und der ab 1. Jänner 1952 erfolgten höheren Einlagenverzinsung auch bei den ländlichen Kreditgenossenschaften günstig entwickelt. Die bei sämtlichen oberösterreichischen Raiffeisenkassen veranlagten Einlagen stiegen im Jahre 1952 von 118 auf 181,5 Millionen Schilling, das sind um 53.8 Prozent. Am 30. Juni 1953 hatten sie bereits eine Höhe von 210 Millionen Schilling erreicht. 39 oberösterreichische Raiffeisenkassen konnten Ende 1952 mehr als 1 Million Schilling als Einlagen verzeichnen. Die Raiffeisen-Zentralkasse ist bemüht, diese Entwicklung nach Möglichkeit zu fördern. Ihre leitenden Beamten besuchen Sonntag für Sonntag Raiffeisenkassen-vollversammlungen — im vergangenen Jahr waren es derer 127 — und halten dort Referate über die Wichtigkeit des Sparens und die Bedeutung der Raiffeisenkassen als lokal gebundene Geldinstitute. Denn das Geld, das im Bereich einer Kasse zusammenströmt und bei dieser Kasse veranlagt wird, kommt in erster Linie wieder demselben Bereich, das heißt, in derselben Gemeinde und ihrer näheren Umgebung an die Mitglieder in Form von Darlehen und Krediten zur Verausgabung. Und über je mehr Sparkapital eine Raiffeisenkasse verfügt, um so billiger kann sie auch arbeiten und um so mehr kann sie ihren Mitgliedern dienlich sein, deren Wirtschaft so eine gegenseitige Befruchtung erfährt. Derjenige, der durch eine Spareinlage die Möglichkeit schafft, daß seinem Nachbarn mit Kredit geholfen werden kann, hilft sich letzten Endes dabei selbst. Wichtig für die Landbevölkerung ist vor allem, daß die Ersparnisse, die sie bei ihren Raiffeisenkassen veranlagt, ausschließlich für sie arbeiten.

Die Zenttalkasse hat sich auch einen vertonten Kurzfilm samt einigen Kopien mit einer Spieldauer von 12 Minuten anfertigen lassen, der den Landleuten auf eine ihnen verständliche und ansprechende Art die Bedeutung der Kassen ins Bewußtsein ruft. Der Film trägt den Titeh „Geldwirtschaft im Dorfe™ und hat, wo er bis jetzt gezeigt wurde, allgemein gefallen. Durch ein Wanderkino wird er nunmehr als Beifilm zu einem zugkräftigen seriösen Hauptfilm in 180 oberösterreichischen Gemeinden, in denen Raiffeisenkassen ihren Sitz haben, vorgeführt. Es haben sich sogar schon aus anderen Bundesländern Interessenten gemeldet, die den Schmalfilm gerne vorführen wollen.

Eingedenk des Sprichwortes: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ haben sich die Raiffeisenkassen auch mit Hilfe ihrer Zentralkasse mit Erfolg in das Schulsparen in Ober-österreich eingeschaltet, um bereits die Kinder als die künftigen Wirtschafttreibenden an das Sparen zu gewöhnen und auf die Raiffeisenkassen aufmerksam zu machen. Die Raiffeisenkassen haben 256 oberösterreichische Landschulen mit Schulspareinlagen von insgesamt rund 1,351.000 Schilling erfaßt. Die 26 besten Schulen, die den größten Prozentsatz von Schülern als Schulsparer gewinnen konnten, wurden im vergangenen Jahr durch Beamte der Zentralkasse mit Sachspenden und einer Urkunde ausgezeichnet, auf welcher der Preis beurkundet war, den die einzelne Schule im Schulsparwettbewerb erhalten hat. Als Sachspenden wurden Schulwandkarten, Sportgeräte, Lehrmittelmodelle usv. verteilt.

Die Zentralkasse ist bemüht, dort wo es möglich ist, den Kreditgenossenschaften neue Einnahmequellen zu eröffnen. Es ist dies insbesondere in größeren Orten erforderlich, wo die Raiffeisenkasse das einzige Geldinstitut am Platze ist und infolge dessen zum Tagesverkehr, der ja größere Spesen verursacht, überzugehen genötigt ist. So wurden im vergangenen Jahr die Raiffeisenkassen Unterach und Traunkirchen in den Wechselstubenverkehr nach Genehmigung durch das Bundesministerium für Finanzen und die Oesterreichische Nationalbank eingeführt. In der heurigen Saison sind bei beiden Kassen ausländische Devisen und Valuten im Gegenwert von je rund einer Million Schilling eingewechselt worden. Die Zentralkasse ist ihren Kassen auch bei der Ausgestaltung des Kassenlokals und ihrer technischen Einrichtung behilflich.

Derartige Werbe- und Förderungsmaßnahmen sind natürlich mit beachtlichen Spesen verbunden, die aber im Interesse der Sache geleistet werden müssen. Allerdings dürfen diese Maßnahmen nie so weit gehen, daß dadurch die Selbständigkeit und Eigenständigkeit einer Kasse erschlagen wird und diese mangels eigener Initiative immer mehr zu einer Filiale der Zentrale absinkt. Die Voraussetzung für jede besondere Förderungsmaßnahme oder Hilfe ist, daß jede Kasse, der geholfen werden oll, sich in erster

Linie Selbst bemüht. Dort, wo dies nicht der Fall ist, ist jede Hilfe nicht nur umsonst, sondern sie gereicht der gesamten Organisation sogar zum Schaden, da die Mittel anderweitig besser verwendet werden könnten.

Die Eigenständigkeit der Kassen ist geradezu die Voraussetzung dafür, daß das spesensparende gemeinnützige Prinzip der Kreditgenossenschaften aufrecht erhalten werden kann. Würden die Kassen Filialen der Zentralkassen, würde das persönliche Moment verlorengehen. Die Folge wäre ein rapides Anwachsen der Verwaltungskosten, ganz abgesehen von dem viel größeren Geschäftsrisiko, das sich infolge des Schwindens des Persönlichkeitsprinzips einstellen würde, das mit dem Schwinden der Verantwortung Hand in Hand geht.

Die Selbständigkeit der Kassen erscheint allerdings durch eine übermäßige Förderung seitens der'Zentrale weniger bedroht, als dies durch zu starken Direktismus der Zentrale denkbar wäre. Die oberösterreichische Raiffeisen-Zentralkasse ist daher bestrebt, sich möglichst wenig durch Gebote und Verbote in die Kompetenzen der Kassen einzumengen. Das setzt aber wiederum voraus, daß die Raiffeisenkassen Selbstdisziplin bewahren, ihre Kompetenzen nicht überschreiten und ihre Grenzen erkennen. Je größer die Selbstdisziplin ist, um so weniger besteht Veranlassung seitens der Zentrale, sich in die Geschäftstätigkeit der Kassen einzumengen. Das ist aber auch wiederum in sehr weitem Maße eine Erziehungsaufgabe.

Mit Ende des Jahres 1952 hatten die oberösterreichischen Raiffeisenkassen rund 94,377.000 Schilling an Darlehen und Krediten verausgabt. Davon entfielen 51 Prozent auf die Landwirtschaft, 28 Prozent auf den ländlichen Handel und das ländliche Gewerbe, 5 Prozent wurden an Landgemeinden und 16 Prozent an andere Kreditnehmer verausgabt. Die durchschnittliche Höhe der einzelnen Darlehen hat rund 3500 Schilling und die durchschnittliche Höhe der Kredite rund 8600 Schilling betragen. Was die Laufzeit der aushaftenden Darlehen und Kredite betrifft, so waren 5 Prozent mit einer Laufzeit bis zu drei Monaten, 23 Prozent mit einer Laufzeit von drei bis zwölf Monaten, 70 Prozent mit einer Laufzeit von ein bis fünf Jahren und 2 Prozent mit einer Laufzeit über fünf Jahren hinausgegeben.

Allein schon daraus geht hervor, daß die Raiffeisenkassen einen aus dem oberösterreichischen Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenkender Faktor darstellen. Ihre Bedeutung ist aber durch ihren Zusammenschluß in der oberösterreichischen Raiffeisen-Zentralkasse noch viel größer. Die Zentralkasse ist ursprünglich aus dem Grunde geschaffen worden, damit die Raiffeisenkassen ihre überschüssigen Gelder dort zu einem möglichst günstigen Zinssatz veranlagen können und im Bedarfsfalle der einen oder anderen Kasse mit Kredit abgeholfen werden kann. Neben dieser wichtigen Aufgabe, eine Geldausgleichsquelle innerhalb der Raiffeisenkassen zu sein, wurde sie immer mehr zum Finanzierungsinstitut für die landwirtschaftlichen Genossenschaften, und zwar in erster Linie für die landwirtschaftlichen Lagerhaus- und Molkereigenossenschaften, die als solche so wie die Raiffeisenkassen die Förderung des Erwerbes und der Wirtschaft ihrer Mitglieder bezwecken. Da die Mitglieder der Kreditgenossenschaften sich weithin aus demselben Personenkreis zusammensetzen wie die Mitglieder der landwirtschaftlichen Genossenschaften, kommt der Kredit der Zentralkasse an diese Genossenschaften zum überwiegenden Teil demselben Personenkreis zugute, von welchem die Einlagen der Raiffeisenkassen und ihrer bei der Zentralkasse veranlagten Reserven stammen. Die Zentralkasse versieht damit Aufgaben, die von den einzelnen Kassen nicht erfüllt werden können, ohne daß sie die Kassen in ihrem Aufgabengebiet schmälert. Denn die Zentralkasse kann nur Genossenschaften kreditieren, nicht aber physischen einzelnen Personen.

Die Mitglieder der Zentralkasse sind einerseits die Raiffeisenkassen, welche ihre Liquiditätsreserve bei der Zentralkasse veranlagen. Diese Einlagen stellen gegenwärtig etwas mehr als die Hälfte der Gesamteinlagen ihres Spitzeninstituts dar, anderseits sind es die landwirtschaftlichen Genossenschaften. Auch die Zentralkasse hat als Kreditgenossenschaft ihre Kredite fast ausschließlich an Mitglieder verausgabt. Gegenwärtig haften rund 100 Millionen Schilling an Krediten aus. Die oberösterreichische Raiffeisen-Zentralkasse ermöglichte damit im vergangenen Wirtschaftsjahr den oberösterreichischen Lagerhausgenossenschaften einen Umsatz von 329 Millionen Schilling und den oberösterreichischen Molkereigenossenschaften einen solchen von rund 259 Millionen Schilling. Der Umsatz der oberösterreichischen Lagerhausgenossenschaften hat dagegen 401 Millionen Schilling und der der oberösterreichischen Molkereigenossenschaften rund 375 Millionen Schilling betragen. Die Zentralkasse selbst hatte im Jahre 1952 dank des immer stärkeren Ausbaues des bargeldlosen Zahlungsverkehrs einen Umsatz von 3,6 Milliarden Schilling zu verzeichnen, der sich aus rund 649.000 Buchungen zusammensetzte. Die Zahl der bei der Zentralkasse beschäftigten Personen beträgt dagegen bloß 27 Angestellte. Daß dieser gewaltige Arbeitsaufwand mit diesem geringen Personalstand bewältigt werden kann, verdanken wir in erster Linie dem arbeitsteiligen genossenschaftlichen Prinzip unserer Organisation. Diese steht und fällt allerdings mit der tätigen Mitarbeit jedes einzelnen Genossenschaftsmitgliedes und mit seiner Einsicht. Je größer die Mitarbeit des einzelnen Mitgliedes ist, um so mehr können wir leisten. Wenn wir uns bemühen, die Landbevölkerung über das Wesen und die Bedeutung ihrer Raiffeisenkassen aufzuklären, so deswegen, damit wir noch mehr leisten und ihr noch mehr helfen können. +

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