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Die Kreditgenossenschaften

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Jede Organisation soll sich mitunter die Frage vorlegen, ob ihre Gesellschaftsform unter den gegebenen Umständen überhaupt noch zeitgemäß ist und ob ihr heute noch besondere Bedeutung zukommt. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie als Instrument einer sozialen Bewegung geschaffen wurde, wie dies bei den Genossenschaften der Fall ist.

Wenn man diese Gewissenserforschung bei den Kreditgenossenschaften als den Trägem der Raiffeisenkassen anstellt, muß man ehrlicherweise zunächst zugeben, daß der Berufung auf die Vergangenheit, in der ganz andere Verhältnisse maßgebend waren, für die Existenzberechtigung der Kreditgenossenschaften in der heutigen Zeit nahezu keine Motivationskraft mehr zukommt.

Die Kreditgenossenschaften von einst waren Notgemeinschaften von Personen, die zumeist demselben Berufsstand angehörten und den Zweck verfolgten, sich bei Inanspruchnahme von Fremdmitteln gegenseitig vor Übervorteilung zu schützen.

Wenn sie auch über keinen Bankbetrieb verfügten, so waren sie doch vielfach unter den damaligen Geldverleihern weithin allein auf die Existenzsicherheit ihrer Mitglieder wirksam bedacht, die sich eng miteinander verbunden fühlten.

Heute kann man von einer Notgemeinschaft im früheren Sinn nicht mehr sprechen, weil sich die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse weitgehend gebessert haben und eine derartige Übervorteilung bei Inanspruchnahme von Fremdmitteln in der Regel auch von anderen Stellen nicht mehr zu befürchten ist.

Außerdem verfügen die Kreditgenossenschaften nunmehr über richtige Bahkbetriebe, am Raiffeisensektor die Raiffeisenkassen, welche die Kreditgenossenschaften zwangsläufig als Folge der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere des Geld- und Kreditwesens, errichten mußten, wenn sie wirksam bleiben wollten.

Der Fortfall der Notsituation und des monopolartigen Abwehrcharakters der Kreditgenossenschaften hatte jedoch seinerseits zur Folge, daß die gegenseitige enge Bindung der Mitglieder zueinander und zu ihrer Genossenschaft loser geworden ist.

Diese Entwicklung wurde durch die Errichtung des Bankbetriebes verstärkt, da dieser nun viel von dem besorgt, was früher, wenn schon nicht die Mitglieder, so doch die aus dem Kreise der Mitglieder gewählten Funktionäre (Vorstand und Aufsichtsrat) besorgt haben. Außerdem bedingt der Bankbetrieb ein gewisses Sachanlagevermögen und bringt Betriebskosten mit sich, die wiederum Kreditgenossenschaften als Träger bedingen, die sich aus möglichst vielen Mitgliedern innerhalb ihres Einzugsgebietes zusammensetzen, gleichgültig aus welchem Berufsstand sie kommen.

Dieses sachliche Erfordernis geht im übrigen mit der Umbildung einer bisher in großem Maße berufsständisch aufgespaltenen Gesellschaft zu einer offenen Gesellschaft konform.

So stehen heute zum Unterschied von früher der Bankbetrieb und die Genossenschaft als ihr Träger einander gegenüber, wobei sich die Genossenschaft im Durchschnitt durch mehr und verschiedenartige Mitglieder auiszeichnet, während deren gegenseitige Verbundenheit und die Verbundenheit zum genossenschaftlichen Unternehmen schwächer geworden ist.

Dabei muß man feststellen, daß die Be deutung des Bankbetriebes mit seinem Umfang wächst, während die Bedeutung der Genossenschaft als sein Träger mit der steigenden Anzahl und der größeren räumlichen Entfernung ihrer Mitglieder eine abnehmende Tendenz erkennen läßt

Dies könnte unter Umständen so weit gehen, daß das Engagement der Mitglieder zu ihrer Kreditgenossenschaft, welche diese allein durch Kreditgewährung fördern kann, allmählich vollkommen schwindet, so daß die Mitglieder zu bloßen Kunden werden, die von der Genossenschaftsbank nur mehr gut bedient sein wollen, sich der Bankbetrieb ganz verselbständigt und die Genossenschaft als ihr Träger zur Bedeutungslosigkeit herab- sdnkt. Dann wäre wohl der Zeitpunkt gekommen, zu dem die genossenschaftliche Struktur des Betriebes in eine andere Gesellschaftsform umgewandelt werden müßte, weil dann der genossenschaftliche Träger weder die ihm obliegende Leitung noch die erforderliche Kontrolle über den Betrieb ausüben kann und damit auch keine Gewähr mehr für die Verfolgung der genossenschaftlichen Zielsetzung gegeben-ist, die in der Förderung des Erwerbs und der Wirtschaft der Mitglieder besteht. -

Daraus folgt, daß es für genossenschaftliche Geldinstitute, wenn sie ihren genossenschaftlichen Charakter wahren wollen, eine optimale Größe gibt, die, abgesehen von den, genossenschaftlichen Verbänden am Geld- und Kreditsektor (Raiffeisenzentralkassen),., früher erreicht ist, als für Geldinstitute, die sich im Besitz einer Kapitalgesellschaft (Ges. m. b. H. oder AG.) befinden, da diese Gesellschaften infolge der größeren kapitalsmäßigen Beteiligung maßgeblicher Gesellschafter durch ihre Organe dann eher die notwendige Kontrolle über eine Großbank aus,üben werden.

Es wirft sich aber dann sofort die Frage auf, ob in der heutigen Zeit, die zur Konzentration drängt, kleinere und mittlere genossenschaftliche Geldinstitute noch sinnvoll sind.

Ich glaube, daß dies sehr wohl der Fall ist, denn

1. ist gerade die Landbevölkerung an einer persönlichen Behandlung in kapital- und geldmäßigen Belangen besonders interessiert, die gerade bei genossenschaftlichen Geldinstituten gewährleistet erscheint,

2. vermögen viele kleinere Geldinstitute mehr Sparkapital zu erfassen als wenige große,

3. sind vornehmlich kleinere genossenschaft liche Geldinstitute bei einer bestimmten Mindestgröße, die infolge- ihrer Strukturänderung Personen aus allen Berufszweigen zu ihren Kunden Und Mitgliedern zählen, in der Lage, die Infrastruktur auf dem Lande zu verbessern. Gerade diesem Umstand kommt aber heute aus siedlungs- und gesamtwirtschaftlichen Erwägungen besondere Bedeutung zu. Sind doch genossenschaftliche Institute wegen ihres ausgeprägten persönlichen Kontaktes am ehesten imstande, Kostenvorteile größerer Institute, die ihnen angesichts ihrer großen Kundenzahl in einigen Gelangen zweifellos zukommen, durch einen kleineren Verwaltungsapparat wieder auszugleichen, da der persönliche Kontakt einen ansonsten notwendigen größeren Bürokratismus und Forfn ad išmuš vermeiden läßt. j.' •

4. vermögen die Kreditgenossenschaften der Entfremdung ihrer Mitglieder am Geld- und Kapitalsektor wenigstens teilweise zu steuern, so daß sie sich nicht anonymen Kräften ausgeliefert fühlen müssen, wofür die

Bevölkerung gerade am Kapitalsektor sehr anfällig ist. Sie vermögen das Interesse an gemeinsamen Belangen anzuregen, soziales Verständnis zu wecken und geben den Beteiligten einen Anreiz, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse selbst zu verbessern, alles Dinge, die in einem demokratischen Staat nahezu unerläßlich sind.

So scheint es mir genügend erwiesen zu sein, daß die ländlichen Kreditgenossenschaften der Gegenwart, die im Laufe der Zeit einen beachtlichen Wandel erfahren haben, auch heute noch besondere Aufgaben zu erfüllen haben, die über die unmittelbaren Aufgaben hinausgehen, die allen natürlichen und juristischen Personen, die Geldinstitute unterhalten, mit der Durchführung von Bankgeschäften gestellt sind.

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