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Die oberen zehn Dutzend

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Die „gute” Gesellschaft und die „gute Gesellschaft”

I.

Diese Ausführungen gelten jener Gruppe von Menschen, die man einmal, „die Gesellschaft” nannte und die heute, da es eine Gesellschaft, von der von Haus aus angenommen wird, daß sie „gut” ist, nicht mehr gibt, die „gute Gesellschaft” heißt. Dieser .Aufsatz beschäftigt sich nicht mit sozialen Unterschieden einzelner Gesellschaftsschichten: erstens, weil wir, wiewohl überzeugt davon, daß die Menschen weder aufhören werden, verschieden zu sein, noch sozialbewußt, der Meinung sind, daß soziale Unterschiede eine wirklich gute Gesellschaft weder bedingen noch ausschließen; zweitens, weil die soziale Abkunft heute weder daran hindert noch voraussetzt, einer guten Gesellschaft anzugehören. Dieser Aufsatz beschäftigt sich infolgedessen mit einer Gruppe von Menschen, von der es schwer geworden ist, zu unterscheiden, wer sie eigentlich repräsentiert: Wer noch und wer schon und wer zu Recht und wer zu Unrecht. Wir wissen nicht einmal (und die mehr oder minder Beteiligten wissen es auch nicht recht), ob sie überhaupt selbst irgend etwas, das für unsere Zeit gültig oder typisch wäre, repräsentiert.

Gewiß: man begegnet bedeutend und „gut aussehenden” Leuten im Foyer der Öper und in der Freudenau. Vertreter der Hochfinanz und Industrie gehen gelegentlich mit Aristokraten soupieren. Zu Banketten erscheinen prominente Persönlichkeiten der Politik, des hohen Verwaltungsdienstes und der Presse. Es gibt eine Reihe exklusiver Salons, in denen zum Tee empfangen wird — oder man empfängt in einem gemieteten Palais. In zwei, drei Nachtlokalen vergnügt sich ein Rudel jüngerer Leute, denen man ansieht, daß ihre Väter irgend etwas sind oder einmal waren, und daß sie eine „Karriere” vor sich haben. Und einmal im Jahr, im Fasching, sieht man sie alle zusammen, die ganze Wiener High society, bei einem halben Dutzend teurer Bälle, wobei sie dann die Oertlichkeit mit Filmsternchen und Fußballassen teilen.

Gewiß also: Geselligkeit unter wohlhabenden Leuten (und solchen, die von den Wohlhabenden eingeladen werden). Sie kennen einander zur Großteil: vom Sacher, vom Dehmel, vom Palla- vicini; die meisten kennen einander von jung auf, einige unter ihnen sind sogar verschwägert. Sie repräsentieren die „Gesellschaft”.

Aber repräsentative Gesellschaft? Was repräsentieren sie über sich selbst hinaus? Den allgemeinen Wohlstand. Gut. Mode, Geschmack, weltmännische Umgangsformen. Auch. Und was weiter?

Früher, als sie noch feudal war, die „Gesellschaft”, und sorgsam eingeteilt und eingestuft in eine „Erste” und eine „Zweite” , fiel die Antwort leichter: Die Gesellschaft war nicht nur „gut”, sie rekrutierte sich aus Leuten, die das meiste Geld hatten und gleichzeitig die höchsten Stellen im Staate und den intensivsten Umgang mit der Kultur. Diejenigen, die ihr angehörten — und es war sehr einfach zu entscheiden, wer das war —, repräsentierten die Macht, die gültige Gesellschaftsform, den kulturellen Standard.

Sie regierten, kontrollierten den Geldumlauf, bezahlten die Kunst und Forschung und waren Vorbild, oder verstanden es zumindest, vorbildlich zu scheinen. Ihre Lebenskraft lag weniger im Rennstallsystem ihrer familiären Tradition begründet, als darin, daß sie Sammler von Kunstwerken und Herrenhausmitglied in einer Person waren. Selbst da, wo das Geld schon zur Neige gegangen, die Macht zerbröckelt und das Kulturverständnis allmählich im seichteren „Savoir vivre” versickert war, blieben immerhin noch ein veritabler Ehrenkodex, eine intakte Tradition und schließlich noch eine Zeitlang der schützende Arm der Polizei.

Heute gibt es reiche Leute, solche mit Kultur und Bildung und andere mit Einfluß und wieder andere mit allen möglichen mehr oder minder verwertbaren guten Eigenschaften alter Familien, und daneben welche mit Qualitäten einer unverbrauchten oder regenerierten Abkunft, und oft hat einer und der andere alle diese Eigenschaften zur persönlichen Verfügung. Aber diese haben aufgehört, Merkmal einer bestimmten gesellschaftsbildenden Gemeinschaft zu sein. Man findet sie da und dort und ebensogut auch anderswo, doch sie sind — eher ungleichmäßig verteilt. Oder, um im Bild der „guten Gesellschaft” zu bleiben: es gibt keinen „Salon”, in dem sich Finanzleute und Künstler und Aristokraten und Journalisten und Politiker zusammenfinden. Da ist allenfalls ein Cercle, in dem Künstler und Aristokraten verkehren, und ein paar andere, in denen Industrielle mit Aristokraten Bridge spielen. Aber zwischen Aristokraten, und Politikern gibt es nahezu keinen persönlichen Verkehr, und daß Politiker mit Künstlern Umgang pflegten, ist so gut wie unbekannt.

II.

Es herrscht freilich kein Ueberfluß, aber auch gerade kein Mangel an Persönlichkeiten der Kultur, Wissenschaft und Politik, die oft dem einen oder anderen geselligen oder geistigen Kreisen angehören, von denen die einen „fashionabler”, die anderen bescheidener auf- treten — und es gibt Ueberschneidungen, doch es deutet wenig darauf hin, daß es eine durch gemeinsame Lebenserfahrung, gemeinsame Umgangsformen und gemeinsame kulturelle oder gesellige (nur hin und wieder materielle) Interessen verbundene Elite größeren Stils gäbe, die das geistige oder ideologisch-staatserhaltende Fundament einer Gesellschaft (im weiteren und wesentlicheren Sinn) oder gar unserer heutigen Gesellschaft (im weitesten und wesentlichsten Sinn) repräsentierte.

Gelegentlich findet irgendwo ein Empfang statt — an dem nicht irgendeine „Gesellschaft”, sondern die dem öffentlichen Anlaß entsprechende Prominenz teilnimmt. Da ist man wieder einmal höchst repräsentative Abend gesellschaft, solange die Sandwiches reichen; aber G e s e 1-1 s c h a f t ist man keine. Man spricht eben nicht die gleiche Sprache.

Da sind die einen, die, wiewohl infolge ihrer attraktiven Herkunft als Dekoration manchenorts begehrt, das substantielle Fundament einer konstruktiven (guten) Gesellschaft eingebüßt haben. Sie sind verstreut oder isoliert und distanziert, ihrer Mittel zum größten Teil beraubt, ihrer Bedeutung im öffentlichen und kulturellen Leben entkleidet.

Ein knappes Dutzend mit der Aristokratie versippter Familien der Großindustrie, deren Einfluß auf die Wirtschaft erhalten geblieben ist, bilden das Rückgrat (und den Nährboden) einer inoffiziellen „ersten” Gesellschaft: Zusammengesetzt aus Leuten, deren Vergangenheit glanzvoll ist, deren Gegenwart sich aber im Hinblick auf ihren effektiven Anteil an den Problemen und gesellschaftsbildenden Aufträgen der Zeit, in der sie leben, recht unscheinbar ausnimmt.

Und die anderen? Diejenigen, die dazu berufen sein könnten, die gesellschaftliche Position und kulturelle Bedeutung einer heutigen, offiziellen „Ersten” einzunehmen? Ein Sammelsurium, bestehend — oder besser: nicht bestehend — aus der modernen Managergemeinde und der Hautevolee der Funktionäre, ganz allgemein aus jenen Prominenten der Bildung und des republikanischen Staatsapparates, die den kulturellen Standort der Nächkriegsgenerationen und die Geschicke des Landes lenken: Es bestehen nur wenige Anzeichen dafür, daß in diesem Lager Oesterreichs der Versuch, Verlorengegangenes zu ersetzen, Neues hervorzubringen oder gar ein Konzept aus beidem herzustellen, gelungen wäre — sei es auf rein (gut)gesell- schaftlich-geselligem Gebiet, sei es,’ was die Substanz betrifft.

Und wenn dann schließlich irgendwo die „große Welt” erscheint, stellt die Prominenz von der Bühne und vom Film, von der Skipiste und vom Fußballplatz das einzige — in steter Erneuerung begriffene - Reservoir jener Personen, an deren Tun und Lassen die Oeffentlichkeit interessiert ist. Für die Zaungäste der „Gesellschaft” gilt ein Schauspieler mehr als der eleganteste Träger eines feudalen Namens, und das jüngste Starlet rangiert vor jedem beliebigen Minister — um von den Vertretern der Großindustrie ganz zu schweigen, denn da weiß man ohnehin nur von einem, wie er aussieht. Das „breite Publikum” hat seine Konsequenz gezogen.

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