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Turandot

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Es war einmal ein König, der hatte eine wunderschöne Tochter. Die Tochter war nicht nur schön, doch wurde über ihre anderen Eigenschalten nicht gesprochen. Audi der König war im gemeinen Volk nur als König, allenfalls noch als der Vater der wunderschönen Tochter bekannt.

Eines Tages nun, so war ?s sein Wunsch, sollte sich die Tochter verehelichen. Da sie nichts dagegen einzuwenden hatte — zumindest ist Gegenteiliges nicht bekannt —, sandte er alsbald Herolde in alle Teile des Landes, die die jungen und alles in allem wehrfähigen Männer nicht zum Wehrdienst verpflichten sollten (einen solchen gab es damals

noch nicht), sondern zur Werbung um die zu verheiratende Tochter.

Dies hatte seinen guten Grund. Die Tochter, offensichtlich neurotisch, denn sie hatte schreiben und lesen gelernt, trug der damals herrschenden Mode folgend ihr Haar zweifarbig. Um nun eine „objektive“ und, wie sie sagte, „gerechte“ Auswahl treffen zu können, verpflichtete sie die Werber also, diese beiden Farben bis auf die feinste Nuance zu erraten, andernfalls sie dem Tode verfallen sollten.

Bald nach Einberufung durch die Herolde strömten die jungen Männer an den angegebenen Sammelplätzen zusammen. Man versorgte sie wohlwollend, denn zu jener Zeit war es noch üblich, den zum Tode Verurteilten in dieser Weise entgegenzukommen.

Die ersten Kandidaten wurden mittels besonderer Transporte zum Schloßpark gebracht, wo ein großes Camp mit Bierzelt, Schießbuden und anderen Vergnügungen eingerichtet worden war. Jeden Tag zur Stunde zeigte sich die Königstochter auf dem Balkon und zog aus einem großen Korb eine bestimmte Anzahl von Namen, die dann den für diesen Tag vorgesehenen Kandidaten entsprach.

Bis auf jenen stillen Augenblick herrschte im Schloßpark reges Leben (die Enthauptungen wurden ja abseits und unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchgeführt), da die Freier aus den Ergebnissen der ersten Tage schließen mußten, daß jeder Sonnenaufgang ihr letzter sein konnte.

Sie stürzten sich also kopfüber in die angebotenen Vergnügungen und investierten ihre gesamte Barschaft, was der Wirtschaft vorübergehend aus ihrem Tief half, anderseits aber zu einer Verknappung von Bier, Papierrosen und Stripteasetänzerinnen führte.

Femer vermerkten die Kriminalstatistiker ein sprunghaftes Ansteigen der Jugendkriminalität, was sie darauf zurückführten, daß die allgemeine Todeserwartung die Barrieren gesellschaftlicher Moral mühelos zu überwinden imstande war.

Die Tage vergingen, und die Zahl der Hinrichtungen ließ die Hoffnung aller im Lande auf eine gütliche Regelung zunehmend sinken. Darüber hinaus hatten die jungen Männer durch ihren so abrupten Abzug aus der Wirtschaft eine empfindliche Lücke auf dem Sektor der Arbeitskraftbeschaffung hinterlassen. Und da die Frau zu jener Zeit in erster Linie Heimchen am Herd zu sein hatte und man noch keine weiblichen

Arbeitskräfte einsetzte, stand die Wirtschaft bald vor ihrem unmittelbaren Zusammenbruch.

Großes Wehklagen hub an.

In dieser Not trat der Kronrat zusammen, bildete einen Ausschuß, der weitere Unterausschüsse einsetzte, welche endgültig alle Möglichkeiten zur Normalisierung der Sachlage zu prüfen hatten.

Expc jn errechneten mittels Rechenschieber und Finger die Zahl aller Farbkombinationsmöglichkei-ten und Variationen in den feinsten

Nuancen und kamen zu dem erschreckenden Schluß, daß nach Durchspielen aller Möglichkeiten kein wehrfähiger junger Mann übrigbleiben würde.

Auch im Volk war man nicht untätig geblieben. Man organisierte Wallfahrten und besuchte dreimal täglich die Kirchen, um zu beten und um Errettung aus der großen Not zu bitten, was nur so verstanden werden konnte, daß die Bevölkerung einen unvorhergesehenen Unglücksfall in der Königsfamilie erflehte.

Ein junger, revolutionärer Kopf, der aus unbekannten Gründen noch nicht eingezogen worden war, formulierte das auch laut und deutlich auf dem Marktplatz, was jedoch keineswegs eine Revolution nach sich zog, sondern nur seine beschleunigte

Rekrutierung zur Folge hatte. Da die Königstochter autoritär und unbürokratisch vorging, die einzelnen Kommissionen jedoch weisungsgebunden und bürokratisch amtierten,, leerten sich die Sammelplätze schneller als die Experten Berichte abfasssen konnten. Und so darf es niemanden verwundern, daß sowohl das um Hilfe flehende Volk als auch die rechnenden Experten eines Tages von der Tatsache völlig überrascht wurden, daß nur noch ein einziger junger Mann übriggeblieben war.

In Eile setzte man eine Petition auf, in der man um Aufschub der Werbung ansuchte, da man noch einmal die Statistiken mit den vorliegenden Ergebnissen vergleichen wollte, in der Hoffnung, die richtige Lösung doch noch zu finden. Da die Königstochter von der abgelaufenen Entwicklung keineswegs angenehm berührt war, gelang es nicht nur, diesen Aufschub zu erwirken. Es gelang darüber hinaus einem altgedienten Minister sogar, hinter das Geheimnis der Haarfarben zu gelangen. Mit dem Hinweis, daß die Fortpflanzung des Volkes wenigstens durch eine Familie gesichert werden müßte, überredete er die Königstochter zu dieser heroischen Preisgabe.

Man beschloß daher, dem jungen Mann ohne viel Worte einen Zettel zuzustecken, von dem er dann die richtige Antwort nur abzulesen hatte.

Der Zufall wollte es aber, daß dieser junge Mann nicht lesen konnte und so auf die gestellte Frage stumm blieb. Als die Königstochter ihn daraufhin zu sich winkte, um ihm die Antwort persönlich zu soufflieren, sah er sie zum erstenmal aus der Nähe und fand sie weder wunderschön noch in irgendeiner anderen Weise anziehend. Durch diesen Schock und die Nervenbelastung der vergangenen Tage bedingt, erlitt er einen Zusammenbruch und weigerte sich standhaft, auch nur ein Wort zu sprechen.

Tags darauf, nachdem er sich wieder etwas erholt hatte, verlangte er lautstark nach seiner Hinrichtung und war davon durch keine wie immer geartete Bitte abzubringen. Er bestieg freiwillig das Schafott, entblößte den Oberkörper und legte den Kopf auf den Block. Da er aber der einzige männliche Überlebende seiner Generation war, fand sich kein genügend kräftiger Mann mehr, der ihm seinen letzten Willen hätte tun können.

. Darin sah die Königstochter nun ihre Chance. Sie eilte mit Tränen in den Augen auf ihn zu, um ihn als ihren über alles geliebten Gemahl in die Arme zu schließen.

Das war dem armen Tropf vollends zuviel. Er riß sich unter Aufbietung aller ihm noch verbliebener Kräfte los, entwand einem alten Wachesoldaten die Dienstpistole und erschoß sich vor den Augen der armen Königstochter.

Als diese begriff, daß ihre letzte Chance zunichte geworden war und sie nun zeitlebens eine alte Jungfer bleiben müßte, tat sie das, was sie schon längst tun hätte können. Sie rasierte sich den Kopf kahl, legte ihr Gesicht in immerwährende Falten und wurde eine alte Hexe.

Zeichnungen: Susanne Thaler

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