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Glocken und Rauchbomben

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Es ist eine sinnige Tradition im Hause Oranien, bei einer Hochzeit dem Brautpaar in zwei aneinandergeketteten Kelchen den Festtrunk zu kredenzen. Einer enthält ein süßes, der andere ein bitteres Getränk, und Braut und Bräutigam kosten von beiden. Der symbolische Akt weist darauf hin, daß das Eheleben für die Vermählten Süßes und Bitteres bereithalte, das Bittere und Unangenehme gleichwohl in treuer Verbundenheit leichter erträglich werde. Die Trinkbecher, welche die niederländische Regierung dem prinzlichen Paar Beatrix und Claus als Hochzeitsgeschenk überreichte, trugen als eingravierte Randschrift einen Spruch, der etwa das Gleiche besagt. Er wurde der holländischen Nationalhymne entnommen und lautet auf Mittelniederländisch: „Nae tsuur sal ick ontfangen van Godt mijn Heer dat soet” — „Nach dem Saueren werde ich von Gott dem Herrn Süßes empfangen”.

Nicht von ungefähr, will uns scheinen, nicht ohne Absicht und guten Grund hatte man diesen Spruch gewählt. Hat es doch während der kurzen Zeit der Verlobung und der Heiratsvorbereitungen bedauerliche Reibung und Unstimmigkeiten zwischen Verteidiger und Gegner der Vermählung der Kronprinzessin mit einem Deutschen in beträchtlicher Zahl gegeben. Und auch beleidigende Gesten an die Adresse des Königshauses fehlten nicht.

„Mein Verlobter macht nun die schwerste Aufnahmeprüfung seines Lebens”, seufzte die Prinzessin als die bekannten Kammerdebatten um die Verlobung stattfanden. Die Prüfung hatte Claus von Arnsberg freilich mit Ehren bestanden, sie war gar nicht so schwer gewesen. Einige Parteien und Volksgruppen gaben sich mit dem Ergebnis jedoch nicht zufrieden.

Monarchie und Monarchin

Die Diskussionen verstummten noch lange nicht. Sinn und Bedeutung, Mythe und Wirklichkeit des konstitutionellen Königstums in einer modernen Demokratie wurden immer erörtert. Wiewohl die Heirat einer Thronfolgerin nicht lediglich eine persönliche Angelegenheit sein kann, war man sich dennoch darüber einig, daß die Zeiten, da die politischen Interessen des Landes mehr galten als das Glück eines Fürsten, vorüber seien. Jeder räumte der Prinzessin Beatrix das Recht ein, ihren Lebenspartner frei zu wählen, und sie hat ihre Wahl trotz mancher Schwierigkeiten durchgesetzt. Die Frage, ob die Monarchie überhaupt noch mit ‘den Ansichten über die neuzeitliche Gesellschaft in Einklang gebracht werden könne, wurde ebenso heftig diskutiert wie darüber hinaus Zweifel geäußert wurden, ob es überhaupt möglich sei, den hohen Anforderungen, die an eine aktive, idealistisch eingestellte Thronfolgerin heute gestellt werden, unter den gegebenen Voraussetzungen und bei so geringem Vertrauen, völlig gerecht zu werden.

Drei lehnten ab

Die Schatten der Vergangenheit ließen eine rechte, unbeschwerte und allgemeine Festfreude, geschweige denn große Begeisterung nicht auf- kommen. Geringfügige wenn auch unliebsame Zwischenfälle, wie das Zurückschicken königlicher Auszeichnungen oder Orden und das Verweigern der Beteiligten an den Festlichkeiten, waren auf eine vorübergehende gereizte Stimmung zurückzuführen. Man ärgerte sich, weil die Gelegenheit versäumt wurde, Sonderbriefmarken zu drucken, erst recht, als sich herausstellte, daß die Reichsgebiete in Übersee sich die Chance, ihre dazulande überaus geliebte Prinzessin Sonrisa („das Lächeln”) auf diese Weise zu ehren, nicht hatten entgehen lassen. Der stille Widerstand, den man in diesen Tagen bekundete indem man zum Gedächtnis an den Februarauflstand des Jahres 1941 in Amsterdam bei dem Denkmal des Dockarbeiters Blumen in Mengen niederlegte, wurde allgemein verstanden und geschätzt. Hingegen bedauerten weite Kreise, daß drei prominente Rabbiner die Einladung der Königin an den Hochzeitsfeiem teilzunehmen, ablehnten, weil sich nach vieler Ansicht die Juden solcherweise in eine Sonderstellung hineinmanövrieren, was sieh auf die Dauer nur schädlich auswirken könne.

Alte Wunden

Die aktuellen Ereignisse haben die Frage: „Sollen wir noch weiter antideutsch sein?” (so lautet der Titel eines neueren Buches) wieder in den Vordergund gestellt. Nach statistischen Angaben ist eine ausgesprochen deutschfeindliche Gesinnung in den Niederlanden von 53 Prozent im Jahre 1947 zurückgefallen auf 20 Prozent, die Deutschfreundlichkeit hingegen von 29 Prozent auf 68 Prozent gestiegen. Ein reger Verkehr mit Deutschen (Hun- derttausende kommen jährlich als Touristen oder geschäftlich nach Holland) und, miirabile dictu, die Stationierung deutscher Soldaten in niederländischen Kasernen (im letzten Jahr heirateten allein in der Kaserne Budei siebzehn Deutsche holländische Mädchen) haben das unfreundliche Klima sehr gemildert. Eine deutsche Woche in Rotterdam wurde, obwohl ausgerechnet diese Stadt Grund zu einer deutschfeindlichen Gesinnung hätte, ein großer Erfolg.

Von der Heirat in Amsterdam erwartet man eine weitere Steigerung dieser erfreulichen Entwicklung, diese Hoffnung scheint sich bisher noch nicht erfüllen zu wollen. Die Deutschen schrieben und sprachen in diesem Zusammenhang bereits von dem Fest der Versöhnung. So einfach liegen die Dinge nun doch nicht. Die alten Narben schmerzen noch zu sehr.

Vorwärts schauen!

Junge Leute mögen dies alles nicht recht verstehen. Jugendliche, die sich im Anne-Frank-Haus über die Beilehungen zu den Deutschen unterhielten, zeigten ein erfreuliches Zutrauen zur deutschen Jugend. Auch in Jugendparlamenten, in Schulaufsätzen und Briefen kommt vielfach eine gleiche Einstellung zum Ausdrude „Beatrix hat recht, daß sie ihr Herz und nicht die politischen Besserwisser befragte. Claus wird ohne Zweifel ein guter Gemahl sein, und den kann eine künftige Königin brauchen. Es ist keineswegs leicht, heutzutage eine Königin zu sein”, schrieb eine Studentin. Und ein Knirps meinte: „Claus hat nichts Böses verübt, somit bekommt er die Beatrix, und wir bekommen einen Tag schulfrei.”

„Unser Blick muß auf die Zukunft gerichtet sein. Wer dauernd zurückblickt, sieht nur Schwierigkeiten; wer vorwärts schaut, sieht aber vielversprechende Möglichkeiten.” Mit diesen Worten, die den Kern der Problematik trafen, schloß der niederländische Ministerpräsident seine Festrede.

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