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Eine verlorene Generation
Wer die Memoiren dieses im wahrhaftesten Wortsinn „österreichisch-ungarischen“ Gelehrten richtig erfassen will, sollte eigentlich zuerst die letzten Seiten lesen. Hier wird in einer dichterischen Impression alles zusammengefaßt, was das Leben dieses „stolzen Bettlers“ aus- maeht unter dem Motto: „Laß werden! Warte, wie es von selbst kommt.“
Das Werden: Jugend im 19. Wiener Bezirk, die Atmosphäre einer reichen, aus Ungarn stammenden
Industriellenfamilie, die durch Fleiß zu Ansehen und Adel kam, vorbestimmt zum Juristen mit eventueller Übernahme der ererbten Holzfabrik. Sorglose Jahre in Wien vor 1914 mit ersten Begegnungen: Gustav Mahler, Schönberg, Bruno Walter; nach der Matura das Jusstudium. Es war wahrlich die Zeit Arthur Schnitzlers, und 1912, als der junge Engel sein Jusstudium auf nimmt und in den Kreis der bedeutendsten Nationalökonomen und Juristen der Wiener Universität, darunter Hans Kelsen, kommt, ohne voll zufrieden zu sein, weshalb er die Heidelberger Universität aufsuchte, um kurz darauf in den Krieg zu ziehen.
Das Kriegskapitel dieser Aufzeichnungen ist ein nobles, feinziseliertes Denkmal für die alte k. u. k. Armee, als deren Artillerieoberleutnant Engel-Janosi von Rußland über die Zugna Tortą bis in die Blut-
mühle am Isonzo und dem würgenden Endkampf an der Piave alles erlebte. Der Hochdekorierte mahnt mit Recht, daß man im heutigen Österreich die gigantischen Leistungen der Isonzoarmeen kaum weiß oder würdigt. Wer liest heute schon Fritz Webers unvergängliche Bücher? — Zurück aus dem Krieg in das kleingewordene Vaterland, begann der neue Existenzaufbau parallel mit der Faszination des Geschichtsstudiums nach dem bereits erworbenen Jusdoktorat. Es gibt selten eine dichtere und facettenreichere Schilderung der Nachkriegssituation in Gesellschaft, Universität und Wirtschaft, als sie hier geboten wird. Seminar bei Professor Pribram mit vielen ehemaligen Berufsmilitärs: Bardolff, Glaise-
Horstenau, Corti und Heller; auch der Adjutant Kaiser Franz Josephs, Margutti, war mit dabei. Von hier begannen die Kontakte Engels mit amerikanischen und französischen Historikern. Sein Drängen, Studium und wirtschaftliche Zukunftsposition zu vereinen, führte zu einer vorübergehenden Anstellung in einer Bank und zur ersten Beschäftigung mit der italienischen Renaissancegeschichte. Die Arbeit über den Grafen Rechberg führte zur Habilitation, nicht ganz ohne die üblichen akademischen Querelen. Die Dozentur in Wien und die Begegnung mit „Kreisen“ berühmter Philosophen, Dichter und Kunsthistoriker zeigt, welch ungeheure Begabungen es nach dem Krieg in Wien gab. Ein Voifrag über Cavour, lenkte die Geschicke des Autors: Als österreichischer Gastprofessor an der Universität Rom konnte er das reiche Geistes- und Gesellschaftsleben der Ewigen Stadt ebenso genießen, wie die Archive benützen, als 1938 kam. Das Emigrationskapitel — wobei die Lösung von der Heimat in Wien vornehmlich beschrieben wird — umschließt die verschiedenen Stationen von Cambridge bis Baltimore. Begegnungen mit vielen Kollegen und dem Phänomen Ezra Pound; die letzte Station war die katholische Universität in Washington — damals noch nicht ein Hort der „Progressiven“ —, bis die Versuchung kam, nach Europa zurückzukehren. Das heißgeliebte Haus-, Hof- und Staatsarchiv war zweifellos der Anreiz, die Forschungen über Österreich und den Vatikan fortzusetzen, um in Wien nochmals als akademischer Lehrer tätig zu sein.
Das Schlußkapitel über Wien, vielleicht in einzelnen Abschnitten durch Bitterkeit und Enttäuschung beeinflußt, enthält manche Passagen, die Höhepunkte in Engels akademischem Wirken darstellen. Publikationen mit großem Erfolg, ebenso Vorträge dm Ausland und die Präsidentschaft beim Internationalen Wiener Historikerkongreß 1965 mit dem großen Referat über die Friedensbemühungen Kaiser Karls im Ersten Weltkrieg und der daran sich anschließenden hitzigen Debatte — es ging wieder um die Ehre der alten k. u. k. Armee. Das gleiche Thema konnte 1968 in Reims behandelt werden: die Stimmung an der österreichischen Front in Italien; die begeisterte Äußerung: „Voilä un succės!“ bedeutete die zweite „Silberne“ für den k. u. k. Oberleutnant der Reserve.
Ausklang: Gedanken über Geschichtsschreibung und zwei nur in der Stille zu lesende Kapitel über die Frauengestalten, die das Leben des Autors begleiteten.
…ABER EIN STOLZER BETTLER. Von Friedrich Engel- Janosi. Erinnerungen aus einer verlorenen Generation. Verlag Styria, Graz/Wien!Köln 1974. 316 Seiten.
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