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Aus der Bilderflut geschöpft

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„Von den Dichtern seiner Generation ist Benn einer der interessantesten, weil fortgeschrittenste und unerschrockenste“. Das schrieb in einer Rezension nicht ein junger „sozio-polit Literaturdozent,“ sondern der alte Hermann Hesse, der große Weise von Montagnola. Und als er es schrieb, war er etwa siebzig — und Gottfried Benn rund zehn Jahre jünger.

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„Von den Dichtern seiner Generation ist Benn einer der interessantesten, weil fortgeschrittenste und unerschrockenste“. Das schrieb in einer Rezension nicht ein junger „sozio-polit Literaturdozent,“ sondern der alte Hermann Hesse, der große Weise von Montagnola. Und als er es schrieb, war er etwa siebzig — und Gottfried Benn rund zehn Jahre jünger.

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Das einzige, was sie verband, war die Herkunft aus evangelischen Pfarrhäusern. Bei Hesse waren es im fernen Osten tätige Missionare, bei Benn ein strenger Vater und eine französische Mutter namens Caroline Jequier, xfie einer schweizerischen Uhrmacherfamilie entstammte. Im Unterschied zum Elternhaus Hesses gab es beim Pastor Gustav Benn kein Interesse für Musik, schöne Bilder, Literatur und Theater. So war es auch in der Wohnung Gottfried Benns geblieben, der es nie zu einem eigenen Haus brachte, sondern, nach Versuchen auf der theologischen und philosophischen Fakultät, Medizin studierte und seinen Lebensunterhalt als praktischer Arzt verdiente. Zunächst als Psychiater, dann als Dermatologe. In Berlin, in der Belle-Alliance-Straße, wo er von 1918 bis 1935 lebte. Dichter, vor allem Lyriker, war er nur im Nebenberuf.

Seit er 1912 den Zyklus „Morgue“ veröffentlichte — nicht Lyrik eines Dilettanten, sondern eines Arztes — war um ihn immer eine Sphäre von Skandal. Dabei wollte Benn, der Einzelgänger, nichts als seine Ruhe. Aber weniger die literarische Öffentlichkeit als „die Welt“ wollte es anders. Zunächst war man skandalisiert durch die akribische Genauigkeit, mit der er den Verfall des vergänglichen Fleisches in den Gedichten „Morgue“ beschrieb. Dann erregte man sich über sein Eimzelgängertum: nirgends einzuordnen, keiner Gruppe oder Clique zugehörig. Von den naturwissenschaftlichen Studien und der späteren Ausbildung zum Mediziner an der Kaiser-Wilhelm-Akademie blieben ihm die Kälte des Denkens, die Nüchternheit, die letzte Schärfe der Begriffe, das Bereithalten von Belegen für jedes Urteil unerbittlicher Kritik, verbunden mit Selbstkritik. Was er bis zu seinem 40. Lebensjahr „aus der gesamten Holz- und Faserindustrie“, wie er seine dichterischen Publikationen einmal bezeichnet hat, verdiente, waren durchschnittlich 4 Mark 50 monatlich. Und dabei waren seine Gedichte in mehrere europäische Sprachen übersetzt. Besonders in Frankreich erregte er Aufsehen. Früher als in Deutschland, wo ihn nur Kenner kannten. Aber es fand sich immerhin ein Verlag, der seine ersten Gedichte als „Flugblatt“ druckte, die folgenden erschienen in den „Weißen Blättern“ bei Kurt Wotöf, schließlich die bis 1922 entstandenen Gedichte im Erich-Reiß-Verlag, später weitere Veröffentlichungen bis 1925 bei A. R. Meyer.

Für Paul Hmdemith, den damals berühmtesten deutschen Komponisten, schrieb er den Text zu dem Oratorium „Das Unaufhörliche“, das 1931 uraufgeführt wurde. 1932 wurde Benn Mitglied der republiktreuen „Preußischen Akademie der Künste“. Und knapp danach passierte das Unglück: Benn verwechselte sein Ideal von der „Dorischen Welt“ mit der des Dritten Reiches. Die Essays „Kunst und Macht“ und „Der neue Staat und die Intellektuellen“, 1933 und 1934 erschienen, eine Pauschalabrechnung mit der gesamten Linken, eirischließlich der Demokratie, vergrämten seine inzwischen emigrierten literarischen Freunde und trugen ihm eine scharfe Kritik von Klaus Mann ein, der ihm aber nach wie vor sympathisch blieb.

Nun saß Benn zwischen sämtlichen herumstehenden Stühlen: für die „Rechte“ und die „Nationalen“ war er ein Entarteter, für die Kommunisten ein unbelehrbarer Individualist und sich für nichts engagierender Schriftsteller. Und für die früheren

Freunde aus dem liberalen oder sozialdemokratischen Lager ein „Uberläufer“. Inzwischen wurde er vom „Schwarzen Korps“ so scharf unter Beschuß genommen — er war für die Nationalsozialisten der verhaßteste im Land gebliebene Dichter —, daß es für Benn lebensgefährlich wird und er, Berlin verlassend, sich als Oberstabsarzt reaktivieren läßt. Dies freiwillige Einrücken zur Wehrmacht bezeichnet er als die „aristokratische Art der Emigration“. (Das später vielzitierte Wort stammt von ihm — und nicht von Ernst Jünger, dem es häufig zugeschrieben wird, der es aber wohl gutgeheißen hat.) Von alten Freunden aus der Militärschule, der „Pepiniere“, protegiert, die vom Dichter Benn wohl kaum eine Ahnung hatten, sondern nur die Angriffe des „Schwarzen Korps“ ablehnten, wird er als Oberstabsarzt zunächst in die Wehrersatzinspektion nach Hannover berufen, 1937 nach Berlin versetzt, heiratet, wird, nachdem er bereits 1934 Schreibverbot erhalten hatte, 1938 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und folgt seiner Wehrdienststelle, die nach Landsberg an der Warthe verlegt wird. Dort bleibt er bis Kriegsende und hat endlich seine Ruhe. („Nichts ist träumerischer als eine Kaserne“, schreibt er einmal in einem Brief.)

Einsamkeit war Benns dringendstes Bedürfnis. Das blieb so bis in seine späten Jahre. Von Lernet-Holenia einmal in einem offenen Brief in der Neuen Zeitung München aufgefordert, doch am literarischen Leben, am Schicksal der Nation und der Menschheit teilzunehmen, antwortete er: „Ja, also der ganzen Welt diesen Kuß, aber der Gemeinschaft gegenüber doch eine gewisse Reserve. Auch ist dies meiner Erfahrung nach eine Angelegenheit der Nerven und der Konstitution, auch der Ermüdbarkeit... Ich bin kein Menschenfeind, aber wenn sie mich besuchen wollen, bitte kommen sie pünktlich und bleiben sie nicht zu lange, aber das ist nicht weltanschaulich gemeint, nicht misogyin. Ich sitze abends lieber allein in meinem Lokal (es handelt sich um eine Berliner Bierkneipe, die man hierzulande als Beisel bezeichnen wunde), trinke, die Wände sind abgerückt, es ist mehr Kulisse da als in meiner Wohnung, das Radio spielt, erweitert noch die Szene, ich sehe die Dinge vor mir, lockerer, schattenvertiefter, manches verschlingt sich miteinander, meine Notizen rücken näher — auf was soll ich mich da noch beziehen? Publikum, Öffentlichkeit, Ruhm, Nation — alles ist irrelevant, in dem Moment bin ich wirklich unsterblich.“

Diese Beziehungslosigkeit, nicht nur zur Ihn umgebenden Welt, sondern auch zu der der Geschichte, ist vielleicht das charakteristischeste, wichtigste Merkmal von. Benns Dichtung. Auch an öffentlichen Diskussionen über die allgemeine Lage und die des Schriftstellers in dieser Zeit, wünscht er sich nicht zu beteiligen und begründet dies mit der Feststellung, daß seit vier Jahrzehnten innerhalb des Abendlandes die gleiche Gruppe von Köpfen über dieselbe Gruppe von Problemen mit derselben Gruppe von Argumenten und mit Zuhilfenahme der gleichen Kausal- und Konditionalsätze diskutierte, um danach zum gleichen Er-

gebnis oder Nichtergebnis zu gelangen. „Gegen diese Öffentlichkeit meine eigenen tragischen Gedanken zu halten ist nicht mein Beruf. Ich trage auch die Einwände gegen sie allein. Ästhetizismus, Isolationismus, Esoterismus — der Krandchzug der Geistigen über dem Vofflk —, in der Tat, für diesen Vogelzug bin ich spezialisierter Omithologe, für diesen Zug, der niemanden verletzt, zi dem jeder aufblicken kann und ihn seine Träume übergeben.“ Und danr wenden sich Benns Gedanken nod einem anderen Vorgang zu, der siel anzubahnen scheint: „Das kommend“ Jahrhundert wird die Männerwelt ir einen Zwang nehmen, vor Entscheid düngen stellen, vor der es kein Aus. weichen, keine Emigration gibt, ei wird nur noch zwei Typen, zwe Konstitutionen, zwei Reaktionsformen auflassen: diejenigen, die handeln und hochwoüian, die Geschichtlichen und die Tiefen, Verbreche! und Mönche — und ich plädiere füa die schwarzen Kutten“ (Das sind Gedanken und Prognosen, wie sie sich ähnlich auch bei Ernst Jünger finden 'besonders in „Der Arbeiter“). In seinem Essay „Pallas“ hat Benn dieser tragischen Dualismus einmal so formuliert: „Das, was lebt, ist etwas anderes, wie das, was denkt“, und ir einer Mischung aus Hybris und Ver-

zweifliung hebt er die Kunst auf den leeren Thron. In ihr ist die Geschichte ebenso aufgehaben wie die Kausalität. Gegen den Entwicklungsund Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts setzt er sein statisches Weltbild. Daher auch der Titel eines Lyrikbandes „Statische Gedichte“, daher auch die Prosadichtung „Der Ptolemäer“.

Benns Welt- und Kumstan-schauiung ist dem klassischen Schönheitsideal, das auf die Vervollkommnung eines gemeinverständlichen Stiles gerichtet war, diametral entgegengesetzt. Der cartesischen Klarheit, der „Ruhe im Licht“, steht die Unruhe in der Dunkelheit gegenüber. Aus einer sinnlichen und affektiven Wurzel, verdunkelt von einem melancholisch-pessimistischen Lebens-gefüihl, entspringt eine Dichtung von eigenartiger Schönheit, zuweilen von orphischem Zauber und hoher Suggestivkraft, die an die Vergänglichkeitspoesie des Barock erinnert. Das Verständnis von Benins Versen wird durch die „atomaren“ Sätze erschwert, welche Dinge und Tatsachen ausdrücken, die weder aus anderen Dingen und Tatsachen ableitbar sind noch weiterführen. „Die Welt der Realität ist umgebogen, zu einem Zug von Masken, zu einem Wurf von Formen, einem Spiel in Fiebern — sinnlos, und das Ende um jeden Saum.“

Daher hat es einer ganz bestimmten geistes- und kunstgeschichtlichen Konstellation bedurft, daß Benns Werk wieder hervortreten konnte: Bald nach dem Krieg fanden sich ein Verlag und ein Verleger (Max Niemayer), die sich des gesamten Oeuvres von Benm annahmen: durch Wiederveröffentlichunig von längst Vergriffenem und Publikation jeder neuen Sammlung von Gedichten, Essays und dramatischen Szenen, auch seiner Autobiographie mit dem bezeichnenden Titel „Doppelleben“, die in der FURCHE seinerzeit sehr verständnisvoll und anerkennend von Reinhold Schneider besprochen wurde Benn hat sogar einmal seine Berliner Einsiedelei verlassen und bei den „Recontres Internationales de Poesie“ in dem mondänen belgischen Badeort Kmdkke le Zoute, dem belgischen Biarritz, einen längeren Vortrag gehalten, genaugesagt: mit leiser Stimme, angeblich in tadellosem Französisch, über Probleme der Lyrik vorgelesen. Und er hat auch am 21. Oktober 1951 den ihm von der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung verliehenen Georg-Büchner-Preis entgegen genommen. Nach der Urkunde gilt der Preis „dem Dichter, der streng und wahrhaftig gegen sich selbst, in kühnem Aufbruch seine Form gegen die wandelbare Zeit setzte und in unablässigem Bemühen, durch Irren und Leiden reifend dem dichterischen Wort in Vers und Prosa eine neue Welt des Ausdrucks erschloß“ — Der Limes-Verlag in Wiesbaden aber konnte während Benns letzten beiden Lebensjahrzehnten fast alljährlich ein schmales Bändchen von Benn vorlegen, hat dann mit dessen gesammelten Gedächten einen großen Erfolg gehabt und kann es riskieren, nun eine achtbändige Taschenibuchausgafoe mit über 2000 Seiten anzubieten.

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