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Ausdruckswelt: Gottfried Benn

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Zum Abschluß der Jahresversammlung 1951 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung wurde der Georg-Büchner-Prei6 an Gottfried Benn verliehen. Nach der Urkunde gilt der Preis „dem Dichter, der, 6treng und wahrhaftig gegen sich selbst, in kühnem Aufbruch seine Form gegen die wandelbare Zeit setzte und in unablässigem Bemühen, durch Irren und Leiden reifend, dem dichterischen Wort in Vers und Prosa eine neue Welt de6 Ausdrucks erschloß“. Mit diesen Worten 6ind in der Tal — zum Unterschied zu den meist phraseologischen Texten auf Ehrendiplomen — die Motive von Benns Leben und Kun6t angeschlagen. Die Wahrhaftigkeit und Kompromiß-lo6igkeit de6 au6 der strengen Schule der Naturwissenschaften kommenden Arztes und Dichters äußerte sich zunächst künstlerisch in einem extremen Realismus, menschlich in völliger Vereinsamung (die nicht erst 1936 begann, als Benns Schriften verboten wurden). „Das Zoon politikon, dieser griechische Mißgriff, diese Balkanidee — das ist der Keim ' des Untergangs, der sich jetzt vollzieht... Gegen diese öffentLchkeit meine eigenen tragischen Gedanken zu halten, ist nicht mein Beruf. Ich trage meine Gedanken allein; zu ihrem Gesetz gehört, daß einer, der 6eine eigene innere Grenze überschreitet und ins Allgemeine möchte, unberufen, unexistentiell und peripher vor dieser Stunde erscheint. Ich trag« auch die Einwände gegen 6ie allein. Ästhetizi6mus, Isolationismus, Esoterismus — der Kranichzug der Geistigen über dem Volk —, in der Tat, für diesen Vogelzug bin ich spezialisierter Ornithologe, für diesen Zug, der niemanden verletzt, zu dem jeder aufblicken kann, nachblicken kann und ihm seine Träume übergeben.“

Schon 1925, in einem Rundfunkdialog über das Thema „Können Dichter die Welt verändern?“, zeigte Gottfried Benn am Beispiel Heinrich von Kleists, daß Kunstwerke „phänomenal“, das heißt historisch unwirksam und politisch folgenlos 6ind. Auf den Einwand, dies sei doch eine vollkommen nihilistische Abfassung von der Dichtung, entgegnete Btanri.- „Wenn gesellschaftlicher Fortschritt positiv ist, unbedingt!“ Der Begriff des Nihilismus erscheint immer wieder in Gottfried Benns Schriften und in der Literatur, die 6ich mit seiner Position beschäftigt. „Nihilismus“ bedeutet bei Benn zunächst Verneinung der Geschichte und des Hedonismus, „als Realitätsleugnung schlechthin bedeutet er eine Verirrung des Ich. Nihilismus ist eine innere Realität, nämlich eine Bestimmung, sich in der Richtung auf ästhetische Deutung in Bewegung zu bringen, in ihm endet das Ergebnis und die Möglichkeit der Geschichte.“ In einem späteren Aphorismus heißt es dann — und damit gibt Benn die Definition seines zentralen Anliegens: „Die Ausdruck6welt steht zwischen der geschichtlichen und der nihilistisehen als eine gegen beide geistig erkämpfte menschliche Oberweit, ist also eine Art Niemandsland, • zurückgelassenes Handeln und herausgelöstes Gesicht.“ In diesem Niemandsland ist der echte Künstler zu Hause. Er kommt, je höher er steigt, immer mehr vom Inhalt zum Ausdruck; die Substanz zerstäubt zugunsten der Expression, es regieren allein Form- und Ausdrucksprinzipien. In der Gedächtnisrede auf Stefan George hat Benn es so formuliert: .Der abendländische Mensch unseres Zeitaltens besiegt das Dämonische durch die Form, 6eine Dämonie ist die Form, seine Magie ist das Techni6ch-Konstruktive, seine Weiteislehre lautet: die Schöpfung ist das Verlangen nach Form, der Mensch ist der Schrei nach Ausdruck.“

Das klingt nach Frühexpre6sionismus, und in. der Tat liegen hier Benns Wurzeln. Diese Welt- und Kunstanschauung ist dem klassischen Schönheitsideal, das auf Vervollkommnung des gemeinverbindlichen Stils gerichtet war, diametral entgegengesetzt. Der cartesi-sdien Klarheit, der .Ruhe im Licht“, steht die Unruhe in der Dunkelheit gegenüber. Aus einer sinnlichen und aflektiven Wurzel, verdunkelt von einem pessimistischen Lebensgefühl, entspringt eine Dichtung von strenger Schönheit, die merkwürdig an die Vergänglichkeitspoesie des Barocks erinnert. Ihr Verständnis wird durch die .atomaren“ Sätze erschwert, welche Dinge und Tatsachen ausdrücken, die weder aus anderen Tatsachen ableitbar 6ind noch zu anderen weiterführen. Die Welt der Realität ist umgebogen .zu einem Zug von Masken, zu einem Wurf von Formen, einem Spiel in Fiebern — sinnlos und das Ende um jeden Saum.“

Von führenden Kunstkritikern des Auslandes und einem großen Teil der deutschen

Literaturpresse wird' — bei allen weltanschaulichen Einwänden, die gegen Benns Position geltend gemacht werden — sein Werk als einer der wesentlichen Beiträge Deutschlands zur Weltliteratur angesehen. Der Limes-Verlag in Wiesbaden hat mit der Betreuung des Gesamtwerkes von Gottfried Benn eine Aufgabe übernommen und eine Verpflichtung erfüllt, die ihm zur Ehre gereichen. Wiedel einmal hat sich gezeigt, daß der Mut zum Unpopulären belohnt wird. Wir kennen die Auflagenhöhe der Bücher Benns nicht aber wir vermerken, daß 6ie im Brennpunkt des literarischen Interesses — nicht nur in

Deutschland — stehen. „Frühe Prosa und Reden“ wurden neu aufgelegt und ergänzt. (Die beiden Selbstdar6tellungen des Dichters unter dem Titel „Doppelleben“ wurden in der „Furche“ bereits von Reinhold Schneider besprochen.) „Ausdruckewelt“ ist der Titel einer Sammlung von Essays und Aphorismen. „Der Ptolemäer“. die Gespräche „Drei alte Männer“ und die Marburger Rede über Probleme der Lyrik sind die vorläufig letzten Prosapublikationen Benns. Ein weiterer Band mit essayistischer Prosa ist angekündigt. Folgende Gedichtsammlungen Benh6 sind im Limes-Verlag erschienen: „Trunkene Flut“, „Statische Gedichte“ und „Fragmente“.

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