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Grundzuge der Literaturgeschichte von Dr. h. Lechner,

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Das Werk verdient besondere Beachtung, weil es seit Kriegsende die erste umfangreichere Arbeit ist, welche es unternimmt, das Gesamtgebiet der deutschsprachigen Literatur darzustellen. In den Anfangskapiteln legt der Autor eine breite Basis: Antike und Christentum werden — in ihrer stetigen Einwirkung auf die in den neuen Raum einströmenden deutschen Stamme — sowohl als Grundlage wie auch als treibende Kräfte der deutschen und der österreichischen Literatur bezeichnet. Bei der Darstellung der Frühzeit und des Mittelalters trachtet der Autor, die gesamte abendländische Kultur in seine Betrachtungen einzubeziehen, insbesondere die Philosophie, religiöse Strömungen und die darstellende Kunst („Wegbereiter der abendländischen Kultureinheit“, „Scholastik, Nominalismus und Universitäten“). Die Schilderung des geistigen Schicksals der deutschen Stämme zwischen Morgen- und Abendland sowie die fruchtbare Unterscheidung zwisdien Alt- und Neustämmen geschieht im Anschluß' an 'die erste Ausgabe der Literaturgeschichte Josef Nadlers (1918). Je mehr sidi das Werk der Gegenwart nähert etwa seit dem Beginn der Klassik, um so sdiematischer und schulbuchmäßiger wird es. Die Auswahl der Dichter der vorigen Generation und der Gegenwart — eine fast unüberwindlidie Sdiwie-rigkeit jeder Gesamtdarstellung — ist etwas willkürlich und fordert zur Kritik heraus. Recht unvollständig ersdieint, was der Verfasser zum Beispiel über George und Hofmannsthal zu sagen weiß; auch sind Gerhart Hauptmanns letzte Werke nicht einmal den Titeln nach erwähnt.

Erfreulich ist, daß der Verfasser zu den sich in den Dichtwerken manifestierenden weltanschaulichen Richtungen, und zwar vom katholischen Standpunkt aus, eindeutig, wenn auch nicht immer in glücklicher Form, Stellung nimmt (Kleist, Storni, Keller und andere). Auch das ethische Urteil des Autors ist verläßlich. Ebenso erfreulich ist, daß der Anteil der österreichischen Literatur und ihre stammestümliche Eigenheit richtig gewürdigt wird, ohne daß auf diesem Gebiet freilich neues Material beigebracht und vernachlässigte und vergessene österreichische Dichter — wie es doch sehr zu wünschen wäre — ausführlicher behandelt würden. Der Kampf mit dem riesigen Stoff wurde vom Verfasser mutig aufgenommen; er spiegelt sich unter anderem auch in den schlagwortartigen Charakterisierungen und Inhaltsangaben, gegen die prinzipiell' nichts einzuwenden ist.

Lechners Literaturgeschichte eignet sich vor allem als Hand- und Schulbuch für die Oberstufe der Mittelschulen und — beim heutigen Bildungsstand der akademischen Jugend — wohl auch für Studenten der Germanistik in den ersten Semestern. Auf die Absicht des Verfassers, ein Lehrbuch zu schaffen, weisen auch die zählreichen Inhaltsangaben und Textproben. Sprachlich glücken dem Autor zahlreiche prägnante und plastische Formulierungen; andere Kapitel scheinen weniger durchgearbeiter worden zu sein und bleiben im Schema stecken. Im ganzen: eine solide und erfreuliche Bereicherung unseres an neuen Literaturgeschichten vorläufig noch sehr armen Schrifttums, wenn auch nicht epochemachend in der Methodik und Geistesgeschichte der germanistischen Wissenschaft.

Enrika v. Handel-Mazzetti: „Karl Ludwig Sand.“ Roman. Neue autorisierte Volksausgabe. Joh. Schönleitner-Verlag, Aichkirchen-Wien 1946.

Als unsere große Dichterin den 70. Geburtstag beging, wurde einer Schrift mit Glückwunschaufsätzen die Druckerlaubnis nicht erteilt, und der Aufsatz einer Tageszeitung, der bereits gesetzt war, mußte knapp vor dem Druck der Zeitung zurückgezogen werden. Ihr 75. Geburtsfest am 10,. Jänner d. J. konnte feierlich begangen werden: die Stadt Linz, die der Wienerin eine zweite Heimat geworden, stellte sich mit Ehrungen ein und das Land Oberösterreich gab eine Festschrift heraus; nun, etwas verspätet, den Zeitverhälrnissen entsprechend, erscheint als ihre Festgabe, zunächst in 25.000 Stücken, von Franz Berger aus den ursprünglichen drei Bänden („Das Rosenwunder“, 1924, „Die deutsche Passion',' 1925, „Das Blutzeugnis“, 1926) in einem Band, von 495 Seiten zusammengezogen und, zu erncr Volksausgabe bearbeitet, ihr Sand-Roman. Alle ihre Werke sind vergriffen, verbombt, eingestampft, die Dichterin mußte sieben Jahre „tot“ sein, nun ist sie wiedererstanden und wird wie seit der Jahrhundertwende, seitdem ihr erster großer Roman, „Pater Meinrads denkwürdiges Jahr“, erschien, am literarischen Himmel wie ein Meteor aufleuchtete, wieder tausend und tausend Leser mit ihren Werken beglücken. Dieses Werk ist ein echter Handel-Mazzetti; was man an ihrer Kunst, besonders an ihrem immer noch besten Werk, dem Roman „Jesse und Maria“, lobte (und tadelte), die große Konzeption, die Problemstellung und seine Durchführung, die außerordentliche Erfindungs- und Gestaltungsgabe, eine seltene Fabulierkunst, die Anschaulichkeit und Lebhaftigkeit der Darstellung, das überaus starke Vermögen, farbiges, echtes Zeitkolorit zu malen, der dramatische Verlauf der Handlung, dazu die einzigartige Kraft der Sprache und der Stilschöpfung und als ihr ganz Besonderes: die scharfe Gegenüberstellung von Laster und jungfräulicher Reinheit, der innig-süßen Menschenliebe (magna res est Caritas) und grausamer blutiger Marter — alles das ist in diesem Roman vertreten, auch die Gegenüberstellung katholisch—protestantisch, eines hochgemuten, aber in Leidenschaft verirrten jungen Mannes und eines sich für ihn opfernden unschuldvollen Frauenwesens. Der Roman endet blutig. Der Student Sand, der den Dichter Kotzebue als einen Verräter des Vaterlandes ermordete, fällt unterm Schwert des Henkers, aber er stirbt als reuiger Büßer und wie ein Märtyrer für eine große Sache — Es ist kein heiteres Werk, sondern ein wuditiger Zeitroman, aber trotzdem werden viele tausend Leser freudig nach ihm greifen und damit die alte Verbindung mit der verehrten Dichterin wieder herstellen. Eine Neuauflage des Gesamtwerkes der Dichterin ist in Vorbereitung. Josef Neumiir

„Geographica Helvetica.“ Schweizerische Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde; Küm-merly und Frey, Geographischer Verlag, Bern, 1. Jahrgang, 1946, Heft 2, 3, 4.

Die langjährigen Leistungen der schweizerischen geographischen Wissenschaft sind dem Fachmann längst bekannt. Sie finden in den ersten Heften dieser neuen Zeitschrift eine würdige Fortsetzung ihrer Tradition. Die vorliegenden Arbeiten sind von hohem Niveau, freilich sind die meisten von ihnen nur schweizerischen Fragen zugewandt. Einige Beiträge sind von besonderer Aktualität, wie etwa „Le Bresil, Pays d'immigration“ von Lic. M. E. Perret (2. Heft) oder der methodisch grundlegende Aufsatz „Zur wirtschaftsgeographischen Karte der Sdiweiz“ und über „Die Wirtsdiaftsland-schaft und ihre kartographische Darstellung“ von Dr. H. Carol (3. Heft) sowie auch eine ' Studie über „Die Wandlungen im mittleren Osten“ von Prof.“ H. Boesdi'! (4. Heft).' Im 2; Heft ist — der jede“m gebildeten österreichischen Leser gut bekannte — Prof. Wilhelm. Koppers mit einer Abhandlung über „Zentralindische Fruditbarkeitsriten“ vertreten.

„Das verborgene Antlitz.“ Eine Studie über Therese von Lisieux. Von Ida Friederike Görres. Verlag Herder, Freiburg i. B. 1946.

Jede Zeit hat ihre Heiligen, eine interessante psychologische Tatsache. Die kleine Heilige von Lisieux ist die Heilige unserer Zeit. Sie führte ein Leben, das Millionen von Menschen heute führen müssen: in kleinen und dürftigen Verhältnissen, ohne Abwechslung, geplagt von der täglichen Mühsal, gequält von Krankheit, umgeben von Menschen, die einen nicht verstehen, die eifersüchtig, klatsdisüchtig, kleinlich und hochmütig sind. Das Große an dieser Heiligen ist, daß es ihr gelang, diese Banalität, diese N Monotonie und diese Mittelmäßigkeit als Stufen zur Heiligkeit zu benützen und damit zu beweisen, daß das einfachste und vergessendeste Leben, in dem gar nichts Außerordentliches geschieht, den noch, ein Leben der Heiligkeit sein kann, wenn es mit vollkommener Liebe ausgefüllt ist. „Die Heiligkeit besteht nicht in dieser und jener Leistung und Übung, sondern in einer Verfassung des . Herzens, die uns klein und demütig in den Armen Gottes werden läßt“, sagt sie.

Jeder Mensch sucht, nach Rilke, im Du doch nur das eigene Ich und in der kleinen Heiligen fanden Tausende von Menschen das eigene Ich in einer verklärten Form wieder. Das Geheimnis ihrer Popularität enthüllt sie selber, wenn sie sagt, daß „alles, was sie getan habe, den kleinen Seelen erreichbar sein muß“.

Die Biographie dieser Heiligen zu schreiben, ist besonders schwer, da der Biograph versucht ist, die einfachsten Dinge zu einem außerordentlichen Ereignis aufzubauschen, weil es keine großen gibt. Diese Gefahr vermieden zu haben, ist das große Verdienst des Buches von Ida Friederike Görres.

Was das Buch besonders auszeichnet, ist seine strenge Objektivität, die sich auf eine weitestgehende Kenntnis aller Quellen stützt. Die Verfasserin nennt die Dinge beim Namen, sie verschönert nichts, sie verbirgt nichts, sie bezeichnet als klein, was klein, als schäbig, was schäbig ist, sie geniert sich nicht, um nur ein Beispiel anzuführen, die Vermählungsanzeige, welche Theresia anläßlich ihrer Einkleidung aussandte, als schauerlichen kitschigen Erguß eines Backfisches zu tadeln.

Gepaart ist diese Objektivität mit einer tiefen Psychologie. Wie ein Arzt tastet die Verfasserin an dem Leben der Heiligen herum, ihr forschender Blick findet den großen Einfluß des französischen bürgerlichen Milieus auf ihr Denken und erklärt vieles in ihrem Leben als natürlich,was lang als übernatürlich gegolten hat. Ein

Meisterwerk dieser psychologischen Schilderung ist das Kapitel über die frühe Krankheit der Kleinen und das Kapitel über die Priorin Maria Gonzaga, die in fast allen Biographien als böser Geist erschien, der die Verfasserin aber weitestgehend gerecht wird.

Allerdings, einen Mangel besitzt dieses Buch auch. Er ergibt sich bei der Schilderung des mystischen Lebens der Heiligen. Hier versagt die Darstellungskraft der Verfasserin, ein Umstand, der entschuldbar ist, denn die Mystik der Heiligen zu beschreiben, würde vielleicht gerade noch die Feder eines Johannes von Kreuz genügen.

Im großen und ganzen ist das Buch eine hervorragende Leistung, „Das verborgene Antlitz“ der Heiligen, verborgen durch soviel Kitsch ujwj Frömmelei, ist endlidi in seiner Sdiönheit Größe sichtbar geworden.

„Heimatheilige als Namenspatrone.“ Von P. Josef W a 11 n e r, Verlag H. Muck, Linz a. d. Donau.

Ein praktisches Handbüchlein, das allenthalben gute Dienste erweisen kann, weil es nicht bloß alle. Heiligennamen erklärt, sondern auch kurze Erlauterungen dazu gibt. Hervorzuheben ist die Exaktheit der fleißigen Arbeit und der Hinweis auf viele heiligmäßige Männer und Frauen, die in Österreich gewirkt und gestorben sind. Ihr Andenken ist vielfach ganz verlorengegangen oder nur noch in dem engsten Kreise einer Gegend oder eines Klosters bekannt. Diese aus der Vergessenheit hervorgeholt zu haben ist das besondere Verdienst dieses Heftes und vielleicht wird damit manche Anregung gegeben, sich mit ihrer Persönlichkeit wieder zu beschäftigen.

„Das Liebesfest.“ Von L W. R o c h o w a n-s k i. Edition van Bernard, Mecfan.

Diese lyrische Novelle wurde 1942 geschrieben, in einer Zeit, die gesättigt war von tötendem Haß, Kampf und zerstörender Qual. Sie ist ein Suchen nach Anmut, nach „Licht, dem Band, das bindet“, nach erhellender und belebender Liebe, dem unsichtbaren Gewinn der Erde. Ihre Sprache ist schöner Ausdruck ihres poetischen Gehalts.

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