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„Schwarze Schafe" aus Tirol

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„Die Verschwiegenheit des österreichischen Geisteslebens ist imponierend. Man weiß nicht nur im Ausland nicht, was hier geschieht: man weiß es auch hier nicht", ätzte Karl Kraus in der „Fackel" Nr. 331-332 vom 30. September 1911. Gemeint hat damit der „einzig wirkliche Satiriker in unserem Sprachbereich" die nicht ihrem Niveau entsprechend gewürdigte Innsbruk-ker Zeitschrift für Kunst und Kultur „Der Brenner".

Seit 1910 als halbmonatlich erscheinender krasser Außenseiter aufgelegt, wollte sein Herausgeber und Leiter Ludwig von Ficker das

Kulturleben seiner Zeit reformieren. Anders allerdings als Karl Kraus, der politisch liberale Sprach-und Kulturkritiker aus der Haupt-und Residenzstadt der Donaumonarchie. Ficker und sein Kreis bekämpften aus christlicher Sicht Auswüchse der literarischen Cliquenwirtschaft, journalistische Sprachverwirrungen und Gigantismus in Politik, Kunst und Kirche, einschließlich des barocken Katholizismus des „heiligen Landes Tirol".

Wie solches in den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende in einer im Vergleich zu Wien, Budapest und Prag in tiefster kultureller Pro-vinzialität schlummernden Stadt von ähnlicher Bedeutung wie Krakau möglich war, darüber referierten kürzlich im Rahmen eines internationalen Forschungsgesprächs zum Thema „Kreatives Milieu. Wien um 1900", der Germanist Walter Methlagl von der Innsbrucker Universität.

Bezogen sich andere Vorträge mehr auf Einzelpersonen - etwa auf den als Förderer und anregenden Interpreten literarischer Strömungen vom Naturalismus bis zum Expressionismus in alle Lexika eingegangenen Hermann Bahr - so beschäftigte sich der Leiter des Forschungsinstituts „Brenner-Archiv" Methlagl mit der Frage, wie sich diese Kreativität in einer Gruppe durchsetzen konnte - zumal an der Peripherie, wo sich Avantgarde und neue Ideen nicht aus einem

vorhandenen Milieu heraus entwickelten. Bedeutet doch „entwik-keln" eine Kontinuität des schöpferischen Vorganges in einer Gesellschaft, wovon in der Stadt am grünen Inn wahrhaftig nicht die Rede sein konnte. Die Achse Wien-Innsbruck entstand vielmehr in einem Sich-Absetzen von festen Größen.

Wie Methlagl ausführte, bestand deshalb Fickers Kernmannschaft zunächst aus den „schwarzen Schafen" Tirols. Dazu stießen nach Karl Kraus' Entschluß, ab Jänner 1912 als einziger Autor der „Fackel" zu fungieren, einige von dessen früheren Mitarbeitern. So der exzentrische Peter Altenberg, Meister der impressionistischen Prosa und des Feuilletons, der Lyriker Felix Gräfe, der Expressionist und literarische Kulturkritiker Albert Ehrenstein und nicht zuletzt der Pionier modernen Bauens Adolf Loos.

Ihnen schlössen sich unter anderem der Dichter und Kulturphilosoph Hermann Broch sowie der gläubige Humanist und Dichter expressionistischer Dramen, Franz Theodor Csokor, an. Vor allem aber nahm Ficker über Empfehlung des Herausgebers der Zeitschrift „Ruf", Robert Müller, einerseits und jener des späteren langjährigen Burgtheater-Dramaturgen Erhard Buschbeck andererseits den jungen Georg Trakl in den „Brenner-Kreis" auf.

Nicht daß die Genannten nun ausschließlich im „Brenner" publiziert hätten, aber es fand eine Verlagerung der Avantgarde-Publizistik von Wien nach Innsbruck statt. Von dem zu dieser Zeit als Militär-Apotheker in Innsbruck tätigen Trakl erschien denn auch im Mai 1912 bei Ludwig von Ficker dessen erstes Gedicht „Vorstadt im Föhn".

Positiv für den „Brenner" wirkte sich auch der Inseratenaustausch mit der „Fackel" aus. Und die von Ficker organisierten vier Kraus-Lesungen in Innsbruck und München blieben ebenfalls nicht ohne Folgen. So entstand trotz divergierender Weltanschauung eine einander beeinflußende Freundschaft zwischen diesen beiden Widersachern des Unpräzisen, die - jeder auf seine Art - als Ankläger eines gottverlassenen, verfluchten Jahrhunderts auftraten.

Ficker prangerte aus seiner christ-liehen Haltung heraus den 1914 ausgebrochenen Krieg auf das schwerste an. Die Folge war, daß das eben mit 100.000 Kronen (entspricht etwa dem Gegenwert von vier Millionen Schilling) von Ludwig Wittgenstein zur Förderung der Avantgarde unterstützte Blatt von 1915bisl919 nicht erscheinen durfte. 1919 erstand der „Brenner" als Forum einer katholisch-philosophischen Erneuerungsbewegung wieder und beeinflußte bis 1934 und von 1946 bis zu seiner Einstellung im Jahr 1954 unter Leitung von Theodor Haecker abermals das österreichische Geistesleben. In der Zwischenkriegszeit zählten vor allem Männer wie der Wegbereiter eines katholischen Existenzialismus und Mit-Begründer der Philosophie des Ich-Du-Verhältnisses, Ferdinand Ebner, sowie der Bildhauer

Martin Zeiller zu den Mitarbeitern im „Brenner-Kreis", wobei sich Zeiller wie sein verstorbener Freund Trakl als ein Meister der Reduktion und Gegner des Überflüssigen, Monumentalen profilierte.

Den Leichnam des an einer Überdosis Kokain 1914 zugrunde gegangenen Georg Trakl, dessen lyrisch expressionistischen, von der Grundstimmung der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts durchdrungenen Gedichten Ficker ein unentwegter Wegbereiter in die Öffentlichkeit blieb, ließ Ficker übrigens 1925 von Krakau nach Mühlau überführen. Am 20. März 1967 starb Ficker, ausgezeichnet mit dem Großen Österreichischen Staatspreis, in Mühlau, nachdem drei Jahre zuvor die Innsbrucker Universität das „Brenner-Archiv" etabliert hatte.

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