6616637-1955_35_09.jpg
Digital In Arbeit

Der letzte „Brenner“

Werbung
Werbung
Werbung

Ergriffen legt man den letzten „Brenner“ aus der Hand. Auf Seite 285 dieser achtzehnten Folge des „Brenner“, 1954, steht schlicht das Wort: „Ende des .Brenner'.“ Darf es gewagt werden, auf knappstem Raum die Reichweite und geschichtliche Bedeutung dieser Tat Ludwig Fickers in Mitteleuropa anzusagen? — Fickers'„Brenner“, eine in loser Folge seit 1910 erscheinende Zeitschrift, besitzt im deutschsprachigen Raum nicht ihresgleichen: in Frankreich stehen ihr nur Charles Peguys „Cahiers de la Quinzaine“ zur Seite. Während aber von l'eguy und seinen „Cahiers“ ein Strom von Einflüssen ausging, die Frankreich bis zum heutigen Tage in seinen besten Geistern und heißesten Herzen befruchtet, ist der „Brenner“ in der Sterilität und Impotenz, in der Unaussprechbarkeit des „geistigen“ Raumes in Oesterreich und Deutschland, das einsame Mahnmal eines christlichen Zeugnisses in der Zeit und wider die Zeit geblieben. Und das, obwohl bedeutendste Köpfe, Denker und Dichter in ihm ausgeboren und ausgegoren wurden bzw. in seinem Umkreis ihr Werk schufen. Der letzte „Brenner“ ruft in ergreifenden Worten des Gedächtnisses noch einmal diese Männer an: Ferdinand Ebner, Theodor Haecker, Georg Trakl, Hans Kestranek, Carl Dal-lago; im Umkreis: Rilke und Ludwig Wittgenstein. — Der „Brenner“ begann sein Werk in einer Zeit, am Vorabend des ersten Weltkrieges, als das offizielle und offiziöse Christentum in Oesterreich und Deutschland, milde ausgedrückt, in Somnolenz, im Schlummer einer fragwürdigen Zeitverfallenheit befangen war. Wer die theologischen und erbaulichen Traktate von damals liest, spürt in ihnen kein Ahnen vom Heraufkommen der beiden Weltkriege und, in Wien etwa, von dem, was sich da im Dunstkreis der großen Stadt, in der Hitler, Mussolini, Stalin, Lenin weilten, vorbereitete an Weltgewittern. Wer den „Brenner“ las, der spürte sie: die großen Weltgewitter und das Beben, das ja lange zuvor bereits die Menschen erschütterte, die sahen, was zu sehen war. — In der ungemein schwierigen Situation, in der die Staatskirchen-Theologen, die Feldprediger und die öffentlichen Herumsteher eines dekadenten Scheinhumanismus und Scheinliberalismus das große Wort führten, in der zugleich die Massen des Kirchenvolkes eingelullt waren in Sentimentalitäten und engherzige, selbstsüchtige Befangenheiten, wagte es ein kleiner Kreis von Freunden, im „Brenner“, geschart um Ludwig von Ficker, das Schwert des Geistes zu ziehen. Das „Schwert des Geistes“ ist ein paulinischer Begriff und eine paulinische Wirklichkeit: wer es zieht, fällt zunächst selbst unter der Wucht dieses Schwertes; die Gnade — gerade auch die Gnade, zu sehen, in der Zeit, was die vielen, die Großen und Kleinen, nicht sehen wollen —, die Gnade kostet viel: zunächst immer wieder: Haß, Gegnerschaft, Einsamkeit, Not, Seelennot und materielle Not. Ficker hat die Kosten der Gnade, der ihm gegebenen Gnaden, bezahlt. Er hat nicht nur sein Vermögen, sondern sein Herzblut an den „Brenner“ gegeben: er ist an ihm verbrannt. Es ist an uns, wenigstens diesen und jenen Funken aufzunehmen und zu hüten und weiterzutragen: das letzte Heft bietet dazu mehr als Anregungen; hier wird, in zahlreichen Beiträgen (21 Aufsätze, nicht wenige vom Gewichte großer Bücher) unsere Gegenwart erhellt und durchleuchtet bis in ihre finstersten Abgründe hinein: solches ist bekanntlich auch andernorts versucht worden — uns ist aber kaum ein anderer Ort als dieser letzte „Brenner“ bekannt, an dem diese Arbeit mit soviel Ernst, Nüchternheit, Charakter und Verantwortungsbewußtsein geleistet wurde. Und hier wird nun sichtbar: in dieser unserer Zeit, die so oft billig getadelt oder gefeiert wird, sind alle Gnaden und Ungnaden, alle Höllen und Himmel zugegen. Es kommt auf uns an, Gott, der immer, um mit Eckhart zu sprechen, ein Gott der Gegenwart ist, in unserer Zeit zu erfahren. Rudolf Schwarz sagt das in eben diesem „Brenner“ so aus: „Gott kommt im Unscheinbaren. Er sucht uns mit dem Einfachen heim und meint damit nichts anderes, als was ganz offen und deutlich zu sehen ist. ohne viel Hintergedanken. Er meint seine Schickungen so, wie er sie schickt. Weil aber das Einfache Heimsuchung ist, darum ist es schwer an Sinn und Schicksal und man muß, wenn es so in seinem Werktagskleid kommt, sehr aufmerksam sein, daß Gott Herberge findet. Gott gehorchen heißt ja nicht, Gebote und Verbote auswendig lernen, sondern da sein, wenn er kommt, antwotten, wenn er fragt, sich seinen Händen einbegeben. Heiliger Geschichte fähig sein heißt vorab aufmerksam und gehorsam sein. Man muß ruhig das anschauen, was da ist, und glauben, daß Gott es gefügt hat, darf nichts übersehen, auch nicht lauern und grübeln, und muß, wenn es an der Zeit ist, das Selbstverständliche tun“ (S. 141 f.). — Den Schlußteil dieses Bandes bilden Erinnerungen Fickers an Ebner, Dallage, Wittgenstein und Trakl, die unvergeßlich bleiben. Der Aufsatz „Das Vermächtnis Georg Trakls — Dem Herausgeber der Salzburger Gesamtausgabe von Trakls Dichtungen in einem Rückblick zugedacht“ ist das unerreichbare Vorbild einer Kritik aus christlicher Verantwortung und Spiritualität — es kann hier nur der Hoffnung Ausdruck gegeben werden, daß dieser Essay in unseren höheren Schulen, soweit sie einen Deutschunterricht kennen, und in den germanistischen Seminaren unserer Hochschulen als Uebungs-text Eingang findet. Wer österreichischen Geist, österreichisches Verantwortungsgefühl in der Unterscheidung des Geistes kennenlernen will, wird zu diesem Abgesang des „Brenner“ greifen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung