7055485-1991_16_11.jpg
Digital In Arbeit

Zeitschrift wider den Geist der Zeit

Werbung
Werbung
Werbung

Während Karl Kraus mit seiner „Fak-kel" zum festen Bestandteil der österreichischen Kultur- und Literaturgeschichte geworden ist, hat jene Zeitschrift, die Kraus „die einzige ehrliche Revue Österreichs" nannte, noch immer nicht den Stellenwert in der österreichischen Geistesgeschichte, der ihr gebührt. „Der Brenner", 1910 von Ludwig von Ficker in Innsbruck gegründet, hat sich rasch von einer Provinzzeitschrift in eine im ganzen deutschsprachigen Raum angesehenen Kulturzeitschrift entwickelt.

Zwei Wissenschaftlerinnen, Sieglinde Klettenhammer und Erika Wimmer-Webhofer, haben sich der verdienstvollen Aufgabe unterzogen, die ersten fünf Erscheinungsjahre des „Brenner" in einem wunderbar illustrierten Band einem über das Fachpublikum hinausgehenden Leserkreis zu präsentieren. Diese nach Themenschwerpunkten zusammengestellte Auswahl von Texten und Illustrationen aus dieser „Revue" kann und soll, wie die Herausgeberinnen betonen, die Lektüre des OriginaI-„Brenner" nicht ersetzen, sie kann aber Spiegelbild einer Epoche sein, deren intellektueller Diskurs seine Aktualität behalten und zum Teil sogar ausgebaut hat.

Folgende fünf Kapitel haben Klettenhammer und Wimmer-Webhofer aus dem „Brenner" von 1910-1915 herausgefiltert: „Verfall", „Philosophie des Ostens", „Krieg", „Weib -Hetäre - Frau" und „Literatur - Kunst - Künstler". Das Schlußkapitel ist dem Thema „Der Brenner und Karl Kraus" gewidmet, weil der Einfluß des „Fak-kel"-Herausgebers auf die Innsbruk-ker Zeitschrift in den ersten Jahren besonders groß war. Ficker und Kraus stimmten in vielem überein. Deshalb fanden sich auch im „Brenner" polemische Beiträge gegen die „Spieß-bürger(doppel)moral", gegen den Mißbrauch der Sprache als Inbegriff des gesellschaftlichen Verfalls und gegen die Presse und ihre Machenschaften. So schrieb etwa der wichtigste Beiträger der ersten Zeit, der Südtiroler Carl Dallago, lange Essays und auch Aphorismen gegen das Philister- und Pharisäertum: .„Hütet Euch vor den Schriftgelehrten und Pharisäern!' Es ist ein ,Hütet Euch!', das durch die Jahrtausende gellt. Ob jenen Berufen heute nicht entsprechen: Pfaffen und Journalisten?"

Für den österreichischen Denker Ferdinand Ebner, der in den zwanziger Jahren die Linie des „Brenner" entscheidend beeinflußte, waren die ersten Jahrgänge mehr ästhetisch orientiert. Ficker knüpfte bald Kontakt mit Herwarth Waiden, dem Herausgeber der berühmten expressionistischen Zeitschrift „Der Sturm". So schrieben „Sturm" Autoren im „Brenner" und umgekehrt. Die literarische Moderne war tatsächlich ein Anliegen der Tiroler Zeitschrift und sie leistete auf diesem Gebiet auch Pionierarbeit: Theodor Däubler, Albert Ehrenstein, Alfred Henschke (Klabund), Else Lasker-Schüler, Georg Trakl und andere hatten hier ein Forum.

Diese Facette kommt in diesem Band zugunsten weltanschaulicher Beiträge absichtlich etwas zu kurz. Die Herausgeberinnen haben den Kampf des „Brenner" für die Erneuerung der Moral und der Gesellschaft bevorzugt behandelt. Um 1914 ist eine Hinwendung zu Fragen der christlichen Existenz- freilich verbunden mit heftiger Kritik an der Amtskirche - zu bemerken, die bereits die Position der Nachkriegsjahrgänge andeutet. Denn nach einem Jahrbuch 1915 schweigt der Brenner vier Jahre lang. Unter großen persönlichen Opfern nahm Ludwig von Ficker 1919 für fast zwei Jahrzehnte seine Herausgebertätigkeit wieder auf. Es ist sehr zu hoffen, daß mit diesem Band ein Anfang zur „Brenner"-Rezeption und kein Endpunkt gesetzt wurde. AUFBRUCH IN DIE MODERNE. Die Zeitschrift „Der Brenner" 1910-1915. Von Sieglinde Klettenhammer und Erika Wimmer-Webhofer. Haymon Verlag, Innsbruck 1990. 270 Seiten, 8 Färb- und über 250 SW-Abbildungen sowie zahlreiche Faksimileabdrucke, öS 780,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung