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LUDWIG von FICKER / HÜTER DES FROMMEN UND FREIEN GEISTES

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Zu seinem achtzigsten Geburtstag am 12. April 1960 hat die Freie Universität Berlin Ludwig von F i ck er das Ehrendoktorat verliehen. Am selben Tag beging im unfreien Budapest Georg (von) Lukacs seinen fünfund-siebzigjährigen Geburtstag. Dort, in Budapest, der seit der ungarischen Tragödie zum Schweigen verurteilte bedeutendste marxistische Literaturkritiker Europas, hier, in Innsbruck, der Nestor einer freien und frommen, christlich inspirierten Hütung und Kritik des dichterischen Wortes. Kaum ein Weg scheint von diesem Innsbruck zu jenem Budapest zu führen: zerklüftetes Europa. Zerrissenes Europa: So erschien es bereits dem jungen Ludwig von Ficker, als er 1910, zunächst um für seinen Freund Carl Dallago und dann einige andere Abseitsstehende, ein geistiges Sprachrohr zu schaffen, den „Brenner“ schuf.

Mitten im aufbrechenden ersten Weltkrieg hat Ludwig von Ficker im „Brenner“ die große Warnung Theodor Haeckers an die Adresse einer dem Mythos der Gewalt und Gewalttätigkeit erliegenden deutschen Christenheit veröffentlicht. Hier prophezeite Haecker: In diesem nicht zuletzt durch den Verrat seiner geistigen und religiösen Führer mitverschuldeten Weltkrieg werde Deutschland seine Westgebiete verlieren, da seine geistige und religiöse Führung aber unbußfertig sei, werde es in einen zweiten großen Krieg geraten und in ihm seine Ostgebiete verlieren. Das wagte Haecker zu schreiben, Ficker zu drucken; und die österreichische Kriegszensur ließ es passieren ...

Ludwig von Ficker stammt aus einer altberühmten Gelehrtenfamilie, einer seiner Brüder wurde Präsident der Akademie der Wissenschaften in Wien, ein anderer der hochgerühmte Musikhistoriker der Universität München. Er selbst hat einen anderen, schmerzens- und entsagungsreichen Lebensweg gewählt: unbedankter Hüter des freien und frommen Wortes zu sein in einer mitteleuropäischen Welt, in der es nicht zum guten Ton gehörte, sich geistig und religiös tiefgehender und existentieller auseinanderzusetzen. Französische Freunde haben den „Brenner“, in dem Trakl, Ferdinand Ebner, Theodor Haecker und ein Dutzend anderer freier und frommer Geister zu Wort kam, mit den „Cahiers de la Quinzaine“ verglichen, die Charles Piguy zehn Jahre vor dem ersten „Brenner“ in Paris schuf. Peguys Selbstzeugnis für seinen Kreis ist zu Recht von Karl Thieme als Wort für Wort treffend auf den „Brenner“ bezogen worden. Peguy notiert: „Wir sind hier Katholiken, die nicht mogeln; Protestanten, die nicht mogeln; luden, die nicht mogeln; Freidenker, die nicht mogeln. Daruui sind wir so wenige Katholiken, so wenige Protestanten, so wenige Juden, so wenige Freidenker. Und im ganzen so wenige Leute. Und gegen uns haben wir die Katholiken, die mogeln, die Protestanten, die mogeln, die Juden, die mogeln, die Freidenker, die mogeln . .. Und das bedeutet viele Leute ...“

Nicht mogeln, das hieß zeitlebens für Ludwig von Ficker die Selbstverpflichtung: die Wahrheit zu sagen und zu Wort kommen zu lassen, mögen auch noch so viele feine und große Leute dagegen sein und mögen die Massen im selbstverschuldeten Schlummer liegen. Das hieß praktisch für ihn: ein Leben in großer Enthaltung, in vielen Opfern auf sich zu nehmen. Ficker gab den größten. Teil seines Vermögens aus für die Drucklegung des „Brenner“ und der Werke der Freunde und diente sein langes Leben als Korrektor in einem Innsbrucker Verlag; in bescheidenster Stellung, sein Brot so erwerbend, um anderen das reine Brot eines guten Geistes zu schaffen.

Achtzehn Folgen des „Brenner“ sind zwischen 1910 und 1954 erschienen. In diesem Jahr stellte Ficker das Erscheinen des „Brenner“ ein, in abgeklärter Trauer auf eine Zeit blickend, die keine Zeit und keine Lust hat für das immer unbequeme brennende Wort reiner Ergriffenheit. Das offizielle Östeheich hat seit seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag 1955 Ficker mehrfach geehrt; sein Geist ist ihm so fremd, daß es sich dies billig leisten kann. In Österreich und weit darüber hinaus sehen jedoch dankbar Menschen zu dem Manne auf, der in wirrer, verlogener, von tausend falschen Ängsten und Hoffnungen geplagter Zeit immer derselbe blieb: ein Hirt im Gebirge; ein wahrer Freund des Menschen, der sich um nichts in aller Welt, so scheint es, von seinen Lebenslügen trennen will. Ludwig vom Ficker hat mit franziskanischer Güte und im Geiste wahrer Aufklärung versucht, eben diesen Menschen aus seinem Gestrüpp zu befreien.

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