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Ein wortgewaltiger Sprachkritiker
Karl Kraus, seit der Gründung der „Fackel" (1899) ihr Herausgeber, seit 1912 Bedakteur, Chef vom Dienst wird in der Ausstellung des Wiener Literarturhauses nicht nur als couragierter Kämpfer gegen die Phrasenhaftigkeit und der damit in engem Zusammenhang stehenden Doppelmoral des österreichischen Zeitungswesens oder als Schöpfer epochemachender Werke wie „Die letzten Tage der Menschheit" geehrt. Er soll vor allem als Bearbeiter von Shakespeare- und Nestroy-Stücken sowie Öffenbach-Operetten, als Kläger und Geklagter, als Förderer, kurzum in seiner ganzen Vielschichtigkeit gezeigt werden.
Daß Kraus mit seiner Direktheit und häufigen persönlichen Angriffen in der „Fackel" sich nicht nur Freunde (Adolf Loos, Oskar Kokoschka, Peter Altenberg), sondern viele Feinde geschaffen hat, machen die Prozeßunterlagen deutlich, die ab Beginn der zwanziger Jahre von seinem Anwalt Oskar Samek gesammelt und von der Wiener Stadt- und Landesbibliothek ediert wurden. Die Ausstellung führt die langwierigen Prozesse gegen den 1920 von Budapest nach Wien „ausweichenden" Boulevardblattkönig Imre Bekessy (Herausgeber der „Stunde") einerseits und gegen den prominenten Berliner Theater- und Literaturkritiker Alfred Kerr andererseits an. Kraus' mitunter stark
sozialkritische Aufdeckungsmanie, die schon die frühen Hefte der „Fackel" in den Dienst des Kampfes gegen Korruption und Wirklichkeitsverfälschung stellte, wird an der Problematik rund um die Person Hermann Bahrs vermittelt, die unter anderem Kraus' Nähe zu der sozialdemokratischen Arbeiter-Zeitung illustrieren.
Kraus' Stellung zur Judenfrage, sei -ne Bessentiments gegen den Zionismus („Eine Krone für Zion") zugunsten einer grundsätzlichen Fürsprache für Gleichberechtigung (insbesondere des Proletariats), sein Eintre-
ten für einen liberalen Umgang mit Homosexualität und Prostitution („Sittlichkeit und Kriminalität") und nicht zuletzt sein ideologischer Kampf gegen den Krieg bis zum resignierenden Schweigen angesichts des Nationalsozialismus werden in vorbildhafter Weise dem Ausstellungsbesucher nahegebracht.
Nicht zuletzt widmet sich ein Teil der Schau dem Frauenfreund Kraus, wobei seine innigen Beziehungen zu der jung verstorbenen, von ihm protegierten Schauspielerin Annie Kalmar, zu Helene Kann, zu Sidonie Nadherny von Borutin (auch Rilke bemühte sich um deren Gunst und riet ihr von einer Heirat mit Kraus ab) sowie Mechthilde Lichnowsky anhand von Bildmaterial dokumentiert sind.
Der Beigen rund um den wortgewaltigen Sprachkritiker und Satiriker Kraus, der auch freundschaftliche Beziehungen zu Herwarth Waiden („Der Sturm") und Ludwig von Ficker („Der Brenner") unterhielt, klingt aus in der Darstellung seines Verhältnisses zu Personen, die Rahmenbedingungen für das „Unternehmen Kraus" geschaffen haben, das heißt zu seinem Verleger und Drucker Georg Jahoda, Kurt Wolff sowie zu dem Buchhändler Bichard Lanyi, der die hinsichtlich Besucherzahlen rekordverdächtigen Vorlesungen (ab 1925 unter dem Titel „Theater der Dichtung") organisierte.
Literaturhaus, Seidengasse 13, Mo- Fr 9-17 Uhr, bis 31. August.
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