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Anton Kuh contra Karl Kraus

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D er Name Antori Kuh iSt eng · verknu·pft mit dem Karl Kraus'. Kuh (der am 12. Juli 100 Jahre alt geworden wäre) ging - wenn überhaupt - meist als Gegenspieler und erbitterter Kritiker l{arl Kraus' im Boulevard-Blatt „Die Stunde" als Randbemerkung in die literarischen N achschlagwerke ein. Obwohl beide Journalisten böhlnischer Abstammung, beide in jüdischen Familien der Oberschicht aufgew' achsen, .zu Wien mit einer

Haßliebe verbunden und durch brillante Vorträge in halb Europa bekannt sind, verkörpern sie zwei völlig unterschiedliche, jüdische Weltanschauungen, die _das Leben der Zwischenkriegszeit entscheidend 111itgeprägt h????ben.

Ihre Verachiun????füreinanderging weit, daß Kraus gegen Kuh m·ehrere Prozesse wegen Ehrenbeleidigung führte, sie aber ihren Streit nie persönlich, Aug' in Aug', oder brieflich austrugen. Kuh, der extrovertierte Bohemien mit ausschweifendem Lebenswandel, haßte jede Form des blinden Fanatismus und deshalb auch die Anhängerschaft Kraus', die den „Fackel" - Herausgeber in vielen Fällen blind ergeben war. Anton Kuh begründet seine Abneigung gegen Karl Kraus in einem Zeitungsartikel mit dem

Titel „Karl Kraus, · der jüdische Advokat", vom Jänner 192 1 , in dem er Kraus.als „jüdischen Geistestypus geschaut und zum erstenmal in seinetn unheilvollen Einfluß ????uf die junge Generation beschrieben" l;lat.

Kuh kann man· zwar nicht als strengglä'l:lbigenJuden bezeichnen, dennoch setzte er sich sein Leb????n lang dafür ein, daß die Juden, als jüdisches Volk, ihre Selbstidentität wiederfinden und sie nicht, wie im Falle Kraus, der· überall die „jüdische Schuld" sucht, zu ver:.. leugnen. Kuh schreckte in seinem Propagandafeldzug in der „Stunde" auch vor Beleidigungen und Verleumdungen nicht zurück, was Kraus wiederum in der „Fackel" mit Beschimpfungen· und mit Gerichtsprozessen beantwortete.

Während Kraus, der introvertierte Mann, der Probleme mit Frauen hatte, die gerade entwickelte Psychoanalyse Freuds strikte ablehnte, führte Kuh, ein enger Freund des Psychoanalytikers Otto Gro'Ss, das mangelnde Selbstwertgefühl vieler Menschen auf die dominante Rolle des Vaters in der Familie und die daraus resultierenden Schuldgefühle zurück. Kraus' schriftstellerische

Triebfeder beschreibt er 1921 in einem ersten Buch „Juden und Deutsche", worin er dem Typus „Kraus" ein halbes Kapitel widmet: „Er mußte schreiben tagaus, tagein, anklagen aus Notwehr und das Lebenswerk eines unendlichen Plädoyers aufspulen, ·dessen · Faden mit jedem Zweifelswort und jeder Fragemine nachwuchs. Der typische Repräsentant des jüdischenAntisemitismuswar auch sein typischer Patient."

Kuh verkörperte im Gegensatz dazu das selbstbewußte, extrovertierte Judentum. Er entsprach so gar nicht dem Vorurteil vom passiven, duldenden Juden. Er verachtete die opportunistische Anpassung vieler Juden an die politischen Umstände, weil er gerade darin den Grund für Pogrome sah. Bereits in den zwanziger Jahren kämpfte Kuh gegen den Nationalsozialismus und gegen Hitler, „his Haus-masters voice", und wurde dadurch für die Nazis so unangenehm, daß die GESTAPO mehrmals versuchte, ihn zu entführen und zu ermorden.

Kraus hingegen war von der Machtergreifung Hitlers in Deutschland so erschüttert; daß er

sich in der „Fackel" vom Oktober 1 933 mit den Worten „Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte" , von seinem Leser-Publikum verabschiedete. Kuh antwortete darauf in der „Neuen Weltbühne" 1934: „Daß das ,geringer Übel', dem ,größeren' vorzuziehen ist, ist nur eine Weisheit für Schweigende. Der Redende hat das Übel zu nennen, das kleinere noch bedingungsloser als das größere. Er hat zu sehen, nicht zu sondern. Er hat es, kurz gesagt, seiner Dialektik im Schutz des geringem F????indes nicht gut gehen zu lassen."

NachundnachmildertesichKuhs irrationale Polemik gegen seinen Antipoden. Das Prinzip der Solidarität in Zeiten höchster Bedrängung wendete Kuh nicht nur auf die 'Politik, sondern ebenso auf die österreichischen Intellektuellen verschiedenster Couleurs an - auch auf Kraus. Vielleicht ist Kuh erst kurz vor seiner Emigration klar geworden, daß sein Gegenspieler, so wie er selbst, eine der Hunderten Facetten jüdischer Kultur verkörperte - alle vom hereinbrechenden Nationalsozialismus bedroht. Er schätzte Kraus trotz allem als guten

Journalisten und Schriftsteller und war deshalb umso mehr verbittert, daß er- seine große Begabung zwar gegen jeden Druckfehler in der Tagespresse, nicht aber gegen den Nationalsozialismus einsetzte. Kuh verließ Österreich 1 93 8 buchstäblich mit dem letzten Zug und emigrierte nach New York, nachdem er in einem letzten Kraftakt vergeblich versucht· hatte, die öst.erreichische Regierung davon zu überzeugen, daß man nur gemeinsam mit den 1 934 vertriebene'n Sozialisten im Kampf gegen Hitler bestehen könne.

In New York schrieb Kuh beim „Aufbau", „The Nation" und anderen Exilzeitschriften und hielt im Radfo Reden gegen Hitler. Ihm selbst gelang. es nicht, was er den Emigranten versuchte zu vermitteln: „Die Kunst, Hitler zu überleben." Im J????nner 1941 erlag er einem: Herzanfall. Kraus konnte nicht mehr gegen Hitler schreiben, er erlebte nicht einmal mehr den Einmarsch in Österreich, denn am 12. Juni 1936 starb er. Kuh bemerkte zum Tod seines liebsten Feindes: „Wissen S', wenn einem der Feind wegstirbt, da geht a Freun???? dahin."

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