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Sperber über Torberg

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Der Enkel der Tante Jolesch ist 70 Jahre alt geworden. Und in Personalunion mit ihm der Übersetzer eines Autors, der seinem Übersetzer ein Gutteil seines Welterfolges verdankt. Aber in den letzten Jahren hat der Kishon-Übersetzer und Tante-Jolesch-Erzähler Friedrich Torberg im Bewußtsein der Öffentlichkeit den eigenständigen Autor etwas verdrängt. Wir veröffentlichen daher auf dieser Seite ein frühes, bisher ungedrucktes Gedicht von Friedrich Torberg aus dem Jahr 1929, das mit anderen demnächst in der Kulturzeitschrift „Morgen“ erscheint, sowie ebenfalls als Vorabdruck - einen Auszug aus dem Aufsatz von Manes Sperber über Friedrich Torberg aus der Festschrift zu dessen „Siebzigstem“, die unter dem Titel „Der Weg war schon das Ziel“ im Verlag Langen Müller erscheint, und in der zahlreiche bekannte Autoren Friedrich Torberg würdigen.

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Der Enkel der Tante Jolesch ist 70 Jahre alt geworden. Und in Personalunion mit ihm der Übersetzer eines Autors, der seinem Übersetzer ein Gutteil seines Welterfolges verdankt. Aber in den letzten Jahren hat der Kishon-Übersetzer und Tante-Jolesch-Erzähler Friedrich Torberg im Bewußtsein der Öffentlichkeit den eigenständigen Autor etwas verdrängt. Wir veröffentlichen daher auf dieser Seite ein frühes, bisher ungedrucktes Gedicht von Friedrich Torberg aus dem Jahr 1929, das mit anderen demnächst in der Kulturzeitschrift „Morgen“ erscheint, sowie ebenfalls als Vorabdruck - einen Auszug aus dem Aufsatz von Manes Sperber über Friedrich Torberg aus der Festschrift zu dessen „Siebzigstem“, die unter dem Titel „Der Weg war schon das Ziel“ im Verlag Langen Müller erscheint, und in der zahlreiche bekannte Autoren Friedrich Torberg würdigen.

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Sehr früh bekannte er sich zur Verantwortlichkeit des Schriftstellers, sein Motto war damals und ist noch heute: „Was ich weiß, macht mir heiß.“ Im März 1933 bekannte er sich zur Redepflicht des Schreibenden; er hat sie seither redlich erfüllt und auf den Komfort des Schweigens oder Wegschauens ohne Schwanken verzichtet. Solcherart ist er der sehr strengen Auffassung treu geblieben, die ihm wie vielen seiner Zeitgenossen Karl Kraus gleichsam vorgelebt hat. Diesem Dichter, Satiriker und zornigen Propheten glaubte der junge Torberg jedes Wort. Ja, er ist heute noch davon überzeugt, daß, wo die ästhetischen Kriterien mit den ethischen in Widerspruch geraten, die schöpferische Kraft erlahmt und verdirbt, das Werk selbst zugleich mit seiner Authentizität sein Daseinsrecht einbüßt. Diese Anschauung hatte Karl Kraus, wie man weiß, seinen Lesern und Hörern und am unerbittlichsten jenen nahegelegt, die, wie der junge Torberg, in seiner Nähe weüen durften.

Die Welt, in der sie einander begegneten, ist nicht mehr - alles, was Karl Kraus mit seinem zornigen Spott verfolgte, ist von jenen vernichtet worden, die unvergleichlich geistloser, skrupelloser und frevelhafter waren als jene, die er bekämpft hatte. Kurz vor seinem Tode wurde es Kraus zur quälenden Gewißheit, daß die „letzten Tage“ nun erst anbrachen - das Grauen üeß ihn verstummen.

Friedrich Torberg, ein bewußter, ja ein äußerst entschiedener Jude.konnte mit Karl Kraus in der Judenfrage nicht übereinstimmen; er konnte oft genug auch nicht mithassen, nicht zuletzt, weil ihn Freundschaft an einige jener Menschen band, die für Kraus nur noch als Schießbudenfiguren existieren durften. Jedoch blieb für ihn der große Satiriker in vielen, wenn auch nicht in allen Hinsichten beispielhaft.

Der aufmerksame Leser des Sammelbandes P P P (Pamphlete, Parodien, Post Scripta) wird häufig die Technik wiederfinden,, mit der Kraus die Gegner zur Selbstenthüllung zwang und ihre Äußerungen entwertete, indem er deren sprachliches Ungenügen als Beweis ihrer moralischen und intellektuellen Minderwertigkeit hinstellte. Torberg seinerseits beweist in der Wahl seiner Opfer gewöhnlich mehr Einsicht und Vorsicht, als Kraus es getan hat - vielleicht weil die von ihm gegründete Zeitschrift „FORUM“, in der diese Angriffe erschienen, einen überaus schwierigen Kampf gegen die Repräsentanten und intellektuellen Komplizen eines totalitären Regimes, einer Diktatur der totalen Lüge führen mußte. In den Essays jedoch, die in diesem Band als Pamphlete bezeichnet werden, tritt Torbergs Originalität deutlicher zu Tage, ebenso seine ungewöhnliche polemische Intuition. Das Wesen jener, die er aufs Korn nimmt, wird transparent: ihre bis zur Selbstverleugnung gediehene „praktikable“ Unwissenheit und ihr bis zur

Skrupellosigkeit gesteigerter extremistischer Opportunismus springen in die Augen, weil der Polemiker mit entlarvendem Witz Schein und Sein auseinanderjagt und so die trügerische Ideologie-Romödie bloßstellt.

So sehr ich nun die Pamphlete meines Freundes Torberg schätze, so gerne ich sie rühme, 50 fällt es mir doch am leichtesten, ihm dort ohne Einschränkung zuzustimmen, wo er nicht so sehr Personen visiert als deren für den Zeitgeist charakteristische Verir-rungen und Übertreibungen ...

In einer solch „großen“ Zeit wie der unseren wird ein jeglicher auf Proben gestellt, für die man sich kaum vorbereiten kann. Der Schriftsteller darf sich ihnen noch weniger entziehen als andere Intellektuelle oder jene, die in keiner Weise Anspruch erheben, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. So gilt es, spricht man von dem Leben und dem Werk eines Schriftstellers, der zu Beginn des Jahrhunderts geboren worden ist, die Frage zu beantworten: „Auf welcher Seite ist er in den Kämpfen dieser Zeit gestanden?“, „Gegen welche Herrschaft, gegen welche Übel hat er laut und unmißverständlich seine Stimme erhoben? Wann, wie oft hat er geschwiegen, als es darauf ankam, zu rufen, ja empört zu schreien?“

Auf diese Fragen geben Friedrich Torbergs Schriften eindeutig Antworten. Seit jeher „macht ihm glühend heiß, was er weiß“; in jedem Falle erfüllte er, was er vor einem halben Jahrhundert angesichts des dritten Reiches als die Redepflicht bezeichnete. Er hat sich in der Wahl des Übels, das es jeweils zu bekämpfen galt, nicht geirrt. Auch darin ist er sich - this above all! -stets treu geblieben.

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