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Der freundliche Karl Kraus

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Karl Kraus, der Ätzende ... Karl Kraus, der Unnahbare ... Karl Kraus, der Unbestechliche, Integre, Prophetische ... den Teilbildern, aus denen sich das Bild von Karl Kraus zusammensetzt, ist ein weiteres, fast vergessenes, hinzuzufügen, auf daß das Bild demjenigen, der in Wien lebte und einen Teil seiner Tage im Cafe Griensteidl zu verbringen pflegte, ähnlicher werde: Karl Kraus, der sensible, warmherzige, umgängliche Freund. Der von Gilbert J. Carr herausgegebene Briefwechsel zwischen Karl Kraus und dem Lyriker und Erzähler Otto Stoessl dokumentiert die zeitweise recht enge Beziehung zwischen dem Herausgeber der „Fackel" und einem seiner aktivsten Mitarbeiter. Nach dem Entschluß von Karl Kraus, die „Fackel" ganz allein zu schreiben, versiegt der Briefwechsel, doch der Ton bleibt herzlich. Nach langer Pause erreicht Stoessl zu seinem 50. Geburtstag ein Glückwunschtelegramm von Kraus. „Daß ich Ihnen nicht ge-

schrieben, mit Ihnen nicht zusammenzutreffen gesucht habe, geschah, weil ich Ihre nur zu begreiflichen Warnungstafeln in der ,Fackel' wörtlich nehmen mußte und den Schwärm Ihrer Störenfriede nicht vermehren wollte," heißt es in Stoes-sls Antwort. Er bezieht sich dabei auf die Hinweise in der „Fackel", in denen sich der Herausgeber jede Zusendung verbittet.

Welch herzlicher Freund Karl Kraus vor der radikalen Reduktion seiner menschlichen Beziehungen sein konnte, wie er auf die Probleme ihm nahestehender Menschen einging, wie behutsam er sich, immer wieder eine kleine Änderung vorschlagend, als Geburtshelfer eines Gedichts zu betätigen wußte, wie er die positive Bewertung einer Erzählung in begeisterte Worte zu fassen verstand, wie weit er, bei aller stets eingehaltenen Distanz, sich auch privat zu öffnen bereit war, belegt vor allem der Briefwechsel mit Stoessl, der übrigens sein kleines Haus in Ober-St. Veit von Adolf Loos, den er durch Karl Kraus kennengelernt hatte, ent-

werfen ließ. Ein erheblicher Teil der Distanz im Ton ist übrigens zeittypisch. Der Bespekt, mit dem man einander begegnete, die Rücksicht, die man aufeinander nahm, die Form, die man weniger angenehmen Mitteilungen gab, wie man auf die Wünsche des anderen einging, wie man der eventuellen negativen Bewertung eines Textes goldene Brücken baute und sie mit Dank quittierte, das alles wirkt heute nicht mehr antiquiert, was noch Nähe bedeuten würde, sondern bereits unendlich fern.

Auch als Dokument eines verlorenen Brief- und Umgangsstils ist das wissenschaftlich genau gearbeitete, eingehend kommentierte Werk empfehlenswert - obwohl es leider mehr kostet als der fast doppelt so umfangreiche erste Band der gewaltigen Kraus-Biographie von Edward Timms im selben Verlag.

karl KRAUS/OTTO STOESSL

Briefwechsel 1902- 1925. Herausgegeben von Gilbert J. Carr. üeuticke Verlag, Wien 1996. 288 Seiten, Bildteil, geb., öS 698,-

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