6661154-1960_07_11.jpg
Digital In Arbeit

Berichtigung eines Buches

Werbung
Werbung
Werbung

Ob es unbedingt notwendig war, diese Briefe zu veröffentlichen, mag dahingestellt bleiben. Wer die Dichterin persönlich gekannt hat, wird jedenfalls mit Ergriffenheit den Tonfall ihrer Stimme heraushören. Indessen bewegen mich drei Dinge zu einer Richtigstellung: erstens nimmt die Herausgeberin an, daß mit dem letzten Brief Else Lasker-Schülers ein endgültiger Bruch zwischen beiden erfolgt sei; zweitens spitzt sie den Gegensatz der zwei Persönlichkeiten zu der Antithese „der innige und der zynische Partner“ zu, und drittens erweckt jener Absagebrief den Anschein, als hätte ich etwas mit seiner Absendung zu tun gehabt.

Auf Seite 6 der Einleitung heißt es:

„Und wenn sie (die menschliche Verständigung zwischen E. L.-Sch. und K. Kraus) schließlich doch mit der Absage des innigen an den zynischen Partner endet, dann wirkt dieses Scheitern erregend kaum mehr seinem eigentlichen Anlaß nach als vielmehr durch die symbolische Bedeutung, die der Begegnung und Trennung der beiden Partner zukommt.“

Es ist gefährlich, menschliche Beziehungen zu beurteilen, wenn man sie nur vom Hörensagen kennt. Immerhin hätte der Herausgeberin die Tatsache nicht entgehen dürfen, daß Karl Kraus, trotz dem Absagebrief von 1924, sein 1927 erschienenes Buch „Epigramme“ Else Lasker-Schüler gewidmet hat. Schön das hätte die Annahme, jener Absagebrief bedeute einen endgültigen Bruch, unsicher machen müssen. In Wirklichkeit aber ist die Dichterin, etwa in der Zeit von 1929 bis 1932, mit Karl Kraus bei seinen Berliner Aufenthalten oft freundschaftlich zusammen gewesen. Ich kann es bezeugen, da ich selber mit am Tisch war. Damit fallen die Bemerkungen über den Bruch und dessen symbolische Bedeutung in sich zusammen.

Es gibt Absagebriefe und Absagebriefe. Peter Altenberg, der in einigem der Dichterin ähnlich war, konnte einen tobenden Absagebrief an seinen Freund Adolf Loos schreiben und am nächsten Abend ungeduldig fragen„ wo denn heute der Loos bleibe. Damit soll nicht gesagt sein, daß der damalige Zorn der Dichterin sogleich verflogen sei. Er kann recht gut längere Zeit gedauert haben, nur war er eben nicht' etwaS'fifdgültiges ?6lc8e l?dkurnVfttt4ind aus denv ^jeweiligen SeeleHzJstarfif'*3iS' 'Abslri8eter und ' den sonstigen Umständen zu beurteilen. Sonst nimmt man einen Temperamentsausbruch für eine endgültige Schicksalstat und das Symbol einer Beziehung. Aber siehe, die Beziehung war anders.

Den Gegensatz der beiden genialen Partner in die Antithese „der innige und der zynische“ zu fassen, ist leider so unzutreffend wie nur möglich. Karl Kraus, der ja einen begeisternden Kampf gerade für menschliche Werte führte, war eben nicht „zynisch“. Ich fragte mich, wie die Herausgeberin denn nur auf diesen Gedanken gekommen sein mag, und überlas darum noch einmal Else Lasker-Schülers Aufsatz „Karl Kraus“. Und da fand ich es: „Männer und Jünglinge schleichen um seinen Beichtstuhl und beraten heimlich, wie sie den grandiosen Zynismusschädel zu Zucker reiben können.“ Grandioser Zynismusschädel — ein mot sculpte. nur daß es nicht auf Kraus paßt. Ich kann es nicht beeiden, doch ich möchte schwören, daß die Herausgeberin von da ihr verfehltes Charakterisierungswort „zynisch“ her hat.

Es bedeutet keine Verletzung der Liebe und Ehrfurcht, wenn man feststellt, daß Else Lasker-Schülers Aufsatz nicht eben ein treffendes Bild von Karl Kraus gibt. Das war jedenfalls Kraus' eigene Ansicht. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, daß er zu folgendem Passus den Kopf geschüttelt hat: „ . .. wie der wahre Don Juan, der nicht ohne Frauen leben kann, sie darum haßt . . .“, denn das paßt ganz und gar nicht auf Kraus, der ein bis ins Innerste ritterlicher Mensch war. Ich nehme also an, daß die Herausgeberin aus jenem Phantasiegebilde der Dichterin ihr Urteil über Kraus bezogen hat. Vielleicht irre ich mich, sicher aber nicht darin, daß die Antithese „der innige und der zynische Partner“ verfehlt ist.

Endlich muß ich noch über den Inhalt jenes letzten Briefes reden, weil er teilweise von mir handelt. Die Dichterin macht dort Karl Kraus verschiedene Vorwürfe, und vor allem auch den, daß er mich vernachlässige:

„Dieser Sigismund, der Ihretwegen in Berlin blieb, Ihre Vorträge zu hären, Ihr Schauspiel zu erleben, haben Sie ihn schon gesehen, gesprochen? Er spielte in der Truppe schon eine kleine Rolle; einen Pastor mit einer Eleganz und Charme, daß ich nicht fasse, warum er nicht auch in Ihrem Schauspiel spielt. Es hätte sein Glück ausgemacht.“

Und zum Schluß heißt es:

„Aber ich bitte Sie für meinen Freund, er darf

keine Trauer erleben darum schon, da er nicht zu

enttäuschen in Karl Kraus ist, und ich bitte Sie,

ihn spielen zu lassen in Ihrem Schauspiel und ihn

zu erfreuen ... Ich hasse Sie.“

Mit der Rührung darüber, daß man nun nach 3 5 Jahren erfährt, wie jemand um einen besorgt gewesen ist, ersteht aber auch sogleich das Bewußtsein, daß man hier etwas richtigzustellen hat. Denn ich selber bin auch nicht im Traum auf den Gedanken gekommen, in den damals gespielten zwei Einaktern von Kraus als Schauspieler aufzutreten: weil ich noch Anfänger war. weil ich mit meinem Wuchs und meiner baltischen Aussprache dort deplaciert hätte wirken müssen, endlich, weil Berthold Viertel und Karl Kraus schon wissen würden, wer für die Rollen am besten“ geeignet * sei. 'Auch hatte Kraus mich bei seinem damaligen Berliner Aufenthalt allerdings gesehen und gesprochen. Kurz, die Vorwürfe jenes Briefes sind, soweit sie mich betreffen, sachlich nicht gerechtfertigt gewesen — das sei in aller Dankbarkeit und Verehrung dennoch festgestellt. Und im Herbst desselben Jahres 1924 hat Kraus, der mich in Wien bei seiner Vorlesung sah, mich durch einen Bekannten auffordern lassen, ihn doch zu besuchen — woraus sich dann eine Freundschaft entwickelte, die bis zu seinem Tode gedauert hat. Jetzt, wo ich diesen Brief nach soviel Jahren kennenlerne, halte ich es für nicht unmöglich, daß er Kraus zu dieser Aufforderung mit-bewogen haben mag.

Das Buch enthält auch einige Gedichte Else Lasker-Schülers, die seinerzeit zum Teil in der „Fackel“ erschienen waren, und wertvolle biographische Hinweise. Eben darum halte ich es für notwendig, diese Berichtigungen zu veröffentlichen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung