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Der verhinderte Schloßherr Karl Kraus

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Wer sich von Wien oder Linz mit dem Auto Prag nähert, kann zwei interessante Schlösser besuchen: Konopišt, das Schloß des Thronfolgers Ferdinand, und Vrchotovy Janovice, das Schloß der Familie Nädherny. Hier versammelten die Geschwister Nädherny, Baron Karl und Baronin Sidonie von Borutin, trotz ihres tschechischen Namens Deutsche, Intellektuelle als ihre Gäste, darunter auch R. M. Rilke und Karl Kraus. Heute ist ein großer Bibliotheksraum dem Andenken des Prager Lyrikers Rüke gewidmet. Aber nichts deutet an, daß hier Karl Kraus sehr oft weüte und sich mit dem Gedanken trug, Sidonie Nädherny zu heiraten und so Schloßherr zu werden. Sidonie war geschieden, sie war nach ganz kurzer Heirat mit einem Adeligen enttäuscht zu ihrem Bruder zurückgekehrt, und das Verhältnis zu Karl Kraus war stets ein sehr gutes, doch hat Rilke seiner Freundin Sidonie die Eheabsichten, die beide Teile bereits überlegten, ausgeredet.

Karl Kraus wird neu herausgegeben und in neuer Zeit haben sich viele Dissertationen auch in Buchform mit dem Werk Karl Kraus’ beschäftigt, darunter Caroline Kohn, die auch unter dem deutschen Pseudonym Lotte Sternbach- Gärtner schreibt, und Wilma Abeies Iggers mit ihrem bei Martinus Nijhoff im Haag erschienenen Buch „Karl Kraus — A Viennese Critic of the Twentieth Century“. Dieses ausgezeichnete Buch der aus dem Böhmerwald stammenden Schülerin Abeies, die 1938 nach Amerika emigrierte und heute die Frau des Universitätsprofessors Iggers, früher Iggersheim, ist, beschäftigt sich ausführlich auch mit dem jüdischen Problem, nicht jedoch mit jener Liebesepisode in Vrchotovy Janovice. Karl Kraus, mit vielen befreundet, aber kein richtiger Dauerfreund anderen Literaten gegenüber, hat auch in Rilke keinen Fürsprecher gefunden, und so hat der Wiener Kritiker, der Familienbande als einen Eingriff in das Privatleben ansah und Verwandten gegenüber sagte, daß er keine Verwandten haben wolle, in tragischer Konsequenz kein Familienleben begründen können. In Vrchotovy Janovice weiß heute kein Mensch etwas von ihm.

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