6736396-1966_22_11.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen Denken und Reden

Werbung
Werbung
Werbung

V,tter Band- Herausgegeben von Fran S 11 6.

KSIM V Hai, Muaehe , 1 H§. 810 geling, Minen, DM 60.-.

Die Briefe Ferdinand Ebner sind geisteyeschlchtllehe Dokumente er sten Ranges. Nldit äfleifi deshalb, weil sieh der Glan der zehner und zwanziger Jahre in ihnen widerspiegelt — der faszinierende Glan einer heute schon historisch gewordenen Zeit, die aber immer noch in unmittelbarer Weise Im Bewußtsein unierer Gegenwart lebendig ist —. sondern vor allem auch deshalb, weil paradoxerweise gerade diese blendend geschriebenen geistreichen und scharfsinnigen Briefe, die eine Fülle von interessanten Betrachtungen über Kunst und Kultur der damaligen Zeit, von treffenden — wenn auch nicht immer orthodoxen — Charakteristiken großer Dichter und Komponisten der Vergangenheit, aber auch unvergleichlich köstliche Explikationen der menschlichen Alltagspsyehologie enthalten, das schriftstellerische Talent ihres Verfassers (das ihm bisher mit seltener Einmütigkeit abgesprochen worden war) in glänzendster Welse bestätigen und somit endliät auch die richtige Einschätzung und das richtige Verständnis des Ebnerschen Hauptwerkes ermöglichen. Denn man Wird sich jetzt wohl oder übel entschließen müssen, den Grund für die tatsächlich ja kaum zu bestreitende stilistische Kargheit und gleichsam „äußere” Einfallslosigkeit der „Pneumatoiogiscbeh Fragmente” dort zu suchen, wo er im letzten wohl auch einzig und allein ZU Anden ist: im Denken selber, das, so- ferne es eben in unmittelbarer Welse den Sinn des menschlichen Daseins zum Gegenständ hat, niemals zum Anlaß werden darf für eine gerade hier sich als absolut sinnlos erweisende Demonstration von Talent, „Geist” und Esprit.

Erst die Briefe also (Ludwig Fik- ker, der ja auch seinerzeit als einer der ersten die Bedeutung der Ebnersehen Gedankengänge erkannt hatte, deutete dies bereits an) lassen die Schriften Ferdinand Ebnere als dasjenige erscheinen, was sie tat- sächiidi sind: in ihrer Unvollkommenheit vollkommene Zeugnisse für die Wahrhaftigkeit eines Denkens, das auch in der Art und Weise del Vollzuges deiner selbst an die ihm” aufgegebene Wahrheit gebunden bleibt.

Freilich stehen die Briefe auch in Inhaltlichem Zusammenhang mit den „Fragmenten”. Beinhalten doch gerade diese persönlichen Aufzeichnungen — gleichsam die Protokolle eines konkreten geistigen Verhältnisses zu einem vertrauten Mitmenschen — die in ihrem Bemühen um Verständnis und ihrem Eingehen auf die eigenen Erfahrungserlebnisse wohl überzeugendsten und unmittelbarsten Bekenntnisse zu den Grundthesen des Hauptwerkes, das ja (auch hier zeigt sich wieder jene charakteristische Einheit von Denken und Leben) in eben diesem In- Bezlehung-Treten zum Ich eines andern, zum „Du” — zum „Ur-Du” Gottes, aber auch zum „Du” des Nächsten — den eigentlichen Seinegrund des menschlichen Geistes erblickt.

Trotz allem aber — wie zahllos sind doch die Verstrickungen zwischen Denken und Leben, wenn es wi hier um eine Existenz geht, die bereit ist, die Bewährung des Denkens im Leben mit dem Leben und die Bewährung des Lebens im Denken mit dem Denken zu bezahlen! — haben diese persönlichen Bekenntnisse immer etwas überaus Behutsames an sich, bleiben fast immer irgendwie indirekt, merkwürdig unbestimmt selbst In ihrer eindeutigen Bestimmtheit, so als sollte nur das Tor offen gehalten werden für eine Wahrheit, zu der eben niemand „überredet” werden kann, die ich aber auch gar nicht von jedermann ausspreäien läßt; vielleicht auch von demjenigen nicht (Ebner selber fühlte Sieh ja keineswegs als legaler Anwalt seines eigenen Denkens), der zu Ihrem ersten Deuter Innerhalb des neuzeitlichen Denkens berufen war. Eine neue Ehrfurcht vor den letzten Wahrheiten des menschlichen Denkens scheint hier aufzubrechen, wie sie In ähnlicher Welse wohl auch manchen zeitgenössischen Künstlern eigentümlich Ist, die — paradoxerweise immer wieder gerade der Pietätlosigkeit angeklagt — das durch Jahrhunderte so gedankenlos und so ungeniert strapazierte Sein nicht mehr ander darzustellen wagen als im Spiegel Ihrer eigenen gebrochenen Subjektivität.

Dieser Briefband, gewissermaßen die Krönung der dreibändigen Eb- ner-Ausgabe des Kösel-Verlages (das neue Österreich-Lexikon des Bundesverlages hat von ihr noch keiner lei Notiz genommen, gibt dafür aber eine bis auf den ersten Band niemals erschienene fühfbändige Ausgabe aus den Jahren 195ä ff. an, was die Toleranzgrenze der bei einem solchen Werk niemals ganz zu vermeldenden Unkorrektheiten wohl weit überschreitet!), enthält neben Briefen an die Wiener Neustädter Handarbeitslehrerin Luise Karplschek — durdi mehrere Jahrzehnte vielleicht das einzige „Wirkliche Du” im Leben diese großen Einsamen und Leidenden —eine Auswahl aus dem Briefwechsel Ferdinand Ebner mit Ludwig Ficker, Josef Matthias Hauer und Hildegard Jone sowie einen wissenschaftlichen Apparat mit einem Personenregister für alle drei Bände und wurde von Prof. Franz Seyr in Sewohnt umsichtiger Weise betreut.

laß gerade die Anschaffung dieses Briefbandes — er setzt keinerlei philosophische Faehkenntnisse voraus, wenn es sich auch (oder vielleicht gerade weil es sich) absoluterweise um „Denken aus erster Hand” handelt, soferne man diesen journalistischen Ausdruck gestattet — jedem gelstesgeschlchtllch Interessierten anzuraten wäre, braucht wohl gar nicht mehr besonders betont zu werden!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung