Europakloster Winter - © Susanne Windischbauer

Br. Thomas Hessler: „Ein Mönch ist da und gegenwärtig“

19451960198020002020

Ein Benediktinerkloster, erst vor knapp 30 Jahren gegründet, weiß sich der Tradition des Ordensgründers Benedikt ebenso verpflichtet wie den Fragen und Nöten der Zeit: Bruder Thomas Hessler, Vorsteher des Europaklosters Gut Aich, über Ordensspiritualität heute.

19451960198020002020

Ein Benediktinerkloster, erst vor knapp 30 Jahren gegründet, weiß sich der Tradition des Ordensgründers Benedikt ebenso verpflichtet wie den Fragen und Nöten der Zeit: Bruder Thomas Hessler, Vorsteher des Europaklosters Gut Aich, über Ordensspiritualität heute.

Werbung
Werbung
Werbung

"Gegenwärtig und bedeutsam“ – unter diesem Thema kommen Österreichs Ordensleute am 22. November in Wien zum Österreichischen Ordenstag zusammen. Für Bruder Thomas Hessler, der dem Euro­pakloster Gut Aich in St. Gilgen vorsteht, verbirgt sich hinter solchem Motto ein Wesensmerkmal des Mönchtums – die Qualität des „ganz Präsenten“.

DIE FURCHE: Im päpstlichen Ordensdokument „Vita consecrata“ heißt es, dass Gott durch Ordensleute in dieser Welt immer „wirksamer und immer gegenwärtiger“ sein möchte. Wie können Sie als Ordensmann heute zu dieser Präsenz Gottes beitragen?
Br. Thomas Hessler OSB: Ein Mönch ist da und gegenwärtig. Das ist ein Wesensmerkmal des Mönchtums, das die Qualität des „ganz Präsenten“ hat. Gegenwärtig kann aber auch jemand sein, der nicht da ist. Auch das ist fürs Mönchsein charakteristisch: das Leben im Verborgenen, wofür das Kloster, das „claustrum“, steht. Wenn Menschen sagen: Es ist für uns hilfreich, dass ihr in Gut Aich betet und da seid, uns stärkt, ist das auch eine Qualität, die das Mönchtum ausmacht. Mönche sind nicht immer in Aktion, sondern ein Stück weit herausgenommen – aber wir sind trotzdem gegenwärtig.

DIE FURCHE: Aber was hat das mit Gottes Anwesenheit zu tun?
Hessler: Eine Grundbotschaft lautet: Ich bin da, wie es in der Gottesoffenbarung im Buch Exodus heißt. Das lebt auch Jesus, so redet auch er von Gott. Wenn ich selber gegenwärtig und da bin, gebe ich die Botschaft Gottes weiter. Das ist etwas Göttliches.

Navigator - © Die Furche

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

DIE FURCHE: Die Benediktiner sind eine sehr alte Gemeinschaft. Ihr Kloster, das Europakloster Gut Aich, wurde 1993 gegründet – es ist eines der jüngsten im deutschen Sprachraum. Was bedeutet dieses Zueinander von Tradition und etwas Neuem?
Hessler: Auch das kommt aus der Gegenwärtigkeit: Mönche haben immer gegenwärtig gelebt. Das inkludiert auch die Wandlungsfähigkeit, weil sich Bedingungen verändern und Klöster heute andere Aufgaben haben als vor hundert, zweihundert, fünfhundert Jahren. Sobald ich versuche, gegenwärtig zu leben, ist es normal zu sagen, es braucht eine Neugründung. Jedes Kloster sollte sich eigentlich alle 30 Jahre neu gründen. Mönche haben immer Antworten gesucht auf die Fragen und die Nöte der Zeit. Unser Kloster ist zu einer Zeit entstanden, als Europa den Impuls des Zusammenlebens über die Grenzen von Ost und West hinweg nötig hatte.

Bruder Thomas - © Europakloster

Bruder Thomas Hessler

Jahrgang 1968, ist in Edlitz/NÖ aufgewachsen. Er hat in Salzburg und Mainz Theologie studiert. Neben einer künstlerischen Ausbildung und dem Erwerb von Erfahrungswissen aus dem Bereich der Naturheilkunde konnte er sich mit dem Beginn des Aufbaus des Europaklosters Gut Aich im Jahr 1993 einen Lebenstraum erfüllen. Seit 1996 hat er dort ein Kunstatelier und leitet seit 2011 die Kunstwerkstätten im Europakloster Gut Aich. Seit 27. Oktober 2021 leitet er als Administrator die Möchsgemeinschaft von Gurt Aich.

Jahrgang 1968, ist in Edlitz/NÖ aufgewachsen. Er hat in Salzburg und Mainz Theologie studiert. Neben einer künstlerischen Ausbildung und dem Erwerb von Erfahrungswissen aus dem Bereich der Naturheilkunde konnte er sich mit dem Beginn des Aufbaus des Europaklosters Gut Aich im Jahr 1993 einen Lebenstraum erfüllen. Seit 1996 hat er dort ein Kunstatelier und leitet seit 2011 die Kunstwerkstätten im Europakloster Gut Aich. Seit 27. Oktober 2021 leitet er als Administrator die Möchsgemeinschaft von Gurt Aich.

DIE FURCHE: Was Sie beschreiben, war die Lage nach dem Fall des Eisernen Vorhangs – aber das ist schon wieder etwas Vergangenes. Es ging darum, die Trennung zwischen Ost und West in Europa zu überwinden
und den Zusammenhalt zu symbolisieren …

Hessler: … genau …

DIE FURCHE: … aber drei Jahrzehnte später gibt es in den eigenen Gesellschaften Spaltungen, ja sogar Krieg mitten in Europa – was sie mit Ihrer Gründung überwinden wollten, ist wieder ein riesiges Problem.
Hessler: Das macht unsere Arbeit umso notwendiger und Not wendender. Es geht um das Bewusstsein, für einen Lebensraum einzustehen, der auf Gleichwürdigkeit, auf Gewaltlosigkeit und auf gemeinsamem Leben aufbaut. Es geht darum, Grundlagen unserer Demokratien zu schützen, die im Letzten immer spirituell begründet sind. Denn in diesen 30 Jahren hat sich geopolitisch ganz viel verändert, die Globalisierungsdynamik hat zugenommen, was vor 30 Jahren überhaupt nicht abzuschätzen war. Wir spüren heute die Schattenseiten dieser Globalisierung – von der Klimakatastrophe bis hin zu Machtgefügen, die sich verschieben. Dafür braucht es den Freiraum, für den Europa eigentlich einstehen sollte. Es geht da um Dialog, Aussöhnung, Befriedung – das sollte auf diesem Kontinent tagtäglich passieren.

Mönche sind widerständige Menschen – und das sind wir auch hier. Wir versuchen, ganz zäh, ganz langsam ein Dorf aufzubauen, wo man achtsam miteinander umgeht.

DIE FURCHE: Aber dieses Ziel ist in eine große Krise geraten. Wie können Sie mit einer kleinen Gemeinschaft etwas dagegen tun?
Hessler: Wir haben da das Zellenprinzip. Es geht um Zellen, in denen man versucht, etwas anderes zu leben. Das war der benediktinische Ansatz von Anfang an: Man muss vor Ort Veränderungen auf den Weg bringen. Benedikt lebte auch in einer Zeit, in der ein Kulturraum zusammengebrochen ist. Er hat aber Zellen geschaffen, wo er Grundlegendes geleistet hat für das, was wir heute Mittelalter nennen. Er hat etwa einen Raum geschaffen, wo es keine Sklaverei mehr gab – das hat die Antike nicht vermocht: Das war in der antiken Gesellschaft unerhört – Benedikt hat den Rechtsrahmen dafür geschaffen! Und von diesen Zellen konnte sich dann das ausbreiten. Natürlich ist das dann auch wieder gekippt und es gab schon im Karolingerreich wieder Machtmissbrauch, aber die Grundstruktur des Benediktinerklosters ist der Freiraum – und den gilt es, ganz bewusst auch heute zu leben. Heute geht es um eine Widerständigkeit gegen den ökonomischen wie media­len Angstdruck, dem viele ausgesetzt sind. Mönche sind eigentlich widerständige Menschen – und das sind wir auch hier. Wir versuchen, ganz zäh, ganz langsam ein Dorf aufzubauen, wo man achtsam miteinander umgeht, wo wir für kranke Menschen da sind – wir haben seit 30 Jahren ein Ambulatorium für Psychotherapie, wo Menschen in ihrer Gebrochenheit betreut werden, wir haben Anstellungsverhältnisse geschaffen, wo Menschen in nicht entfremdenden Arbeitsverhältnissen gern arbeiten. Wir sind auch Pioniere, wie wir mit unseren Kräutern umgehen: Derartige Zellen entwickeln wir heute.

Bruder Thomas - © Europakloster
© Europakloster

DIE FURCHE: Ein aktuelles weltkirchliches Thema ist die Diskussion um Synodalität. Wie bringen Sie sich in diese Prozesse ein?
Hessler: Synodalität ist in unserer Klostertradition verankert. Das Prinzip der Beratung, des Austausches und der Entscheidungsfindung ist uns vertraut, dass man versucht, Konsensentscheidungen zu finden, gut in der Kommunikation zu sein und viel an Planungen miteinzubinden und Entscheidungen transparent zu halten. Das haben wir vor Ort in unseren Entscheidungsstrukturen so gut wie möglich drinnen. Als Mönche versuchen wir, da ein Stück weit Pionier zu sein. Wir haben ein Modell entwickelt, wo nicht nur sieben Mönche das Leben gestalten, sondern eine Gruppe von Menschen, die das mit ihrer Professionalität und ihrer Eigenständigkeit tun – wir haben 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Ehrenamtlichen mit der Benediktinischen Weggemeinschaft und dem Kreis der Förderer/innen – alles zusammen hundert Leute, die sich gemeinsam spirituell und eben auch synodal engagieren.

Dieser Beitrag entstand in Kooperation mit den Ordensgemeinschaften Österreichs.
Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der FURCHE.

Informationen zum Europakloster Gut Aich

Navigator - © Die Furche

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung