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Er gehört der Welt

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Wer sein Leben als sinnlos empfindet, ist in seiner psy- chischen Gesundheit gefähr- det. Diese dem Gläubigen einsichtige Erkenntnis hat Viktor 'Frankl auch wissen- schaftlich nachgewiesen.

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Wer sein Leben als sinnlos empfindet, ist in seiner psy- chischen Gesundheit gefähr- det. Diese dem Gläubigen einsichtige Erkenntnis hat Viktor 'Frankl auch wissen- schaftlich nachgewiesen.

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Das Jahr 1989 war durch eine Reihe von Veranstaltungen gekennzeichnet, in denen des 50. Todestages Sigmund Freuds, des Begründers der Psychoanalyse, mit besonderer Beachtung durch die Öf- fentlichkeit gedacht wurde. Heute gilt die Aufmerksamkeit einem noch lebenden Zeugen jener Pionierzeit tiefenpsychologischer Forschung, dem Neurologen und Psychiater

Viktor E. Frankl, der am 26. März 1990 seinen 85. Geburtstag feiert.

Frankl, der schon sehr früh be- sonderes Interesse an der Psycho- analyse fand, hat schon als Öber- mittelschüler mit dem großen Sig- mund Freud korrespondiert. Die- ser sorgte bemerkenswerter Weise dafür, daß ein Manuskript des jun- gen Frankl der „Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse“ zu- geleitet und nach einiger Zeit auch veröffentlicht wurde (1924).

Aber auch Alfred Adler, der Begründer der Individualpsycho- logie, in dessen Einflußsphäre

Frankl später geriet, übernahm eine zweite wissenschaftliche Arbeit zur Veröffentlichung in der „Interna- tionalen Zeitschrift für Indivi- dualpsychologie“.

Frühzeitig nahm aber auch die Philosophie Frankl gefangen. Schon mit 16 Jahren hielt er im Rahmen der Volkshochschule einen Vortrag über den Sinn des Lebens. Und das Thema der von Adler in der ge- nannten- Zeitschrift veröffentlich- ten Arbeit Frankls war der Aufhel- lung des Grenzgebiets gewidmet, das sich zwischen Psychotherapie und Philosophie erstreckt, unter besonderer Berücksichtigung der Sinn- und Wertproblematik.

Es ist das Leitmotiv, das bis heu- te hinter allen Arbeiten Frankls steht, nämlich die Überwindung des Psychologismus auf dem Gebiet der

Psychotherapie.

Diese grundlegenden Gedanken reiften allmählich zu einer Logo- theorie (Logos = Sinn), für die Frankl erstmals 1926 vor der aka- demischen Öffentlichkeit die Be- zeichnung „Logotherapie“ ge-

brauchte, der er dann 1933 die Bezeichnung „Existenzanalyse“ in alternativem Sinn hinzufügte.

In wissenschaftlichen Publikatio- nen präsentierte sich die „Logothe- rapie und Existenzanalyse“ 1938 als „dritte Wiener Schule“ (W. Soucek) der Psychotherapie. In ihr wurde ein fundamentaler Akzent- wechsel tiefenpsychologischer Thematik vorgenommen, insofern ein Horizont sichtbar gemacht wurde, in dem der Mensch als ein um den konkreten Sinn seines per- sönlichen Daseins geistig ringen- des Wesen erscheint.

Es geht um eine „neue Konzep- tion des Menschen“ und damit um die Vervollständigung der Psycho- therapie, die angesichts des „exi- stentiellen Vakuums“ (Frankl) der Zeitlage eine unausweichliche

Notwendigkeit darstellt.

Kein Geringerer als der Indivi- dualpsychologe und Schriftsteller Manes Sperber kennzeichnet diese Situation 1970 mit folgenden Wor- ten: „Adler und die meisten großen Psychologen unserer Zeit haben die philosophische Essenz dieser Frage verkannt, haben vielmehr vorgezo- gen, sie zu verkennen; vielleicht hatten sie recht. Doch ist es bemer- kenswert, daß ein Psychiater, der vor vierzig Jahren zu den begabte- sten unter Adlers jungen Schülern gehörte, daß der Wiener Viktor E. Frankl, der durch die Hölle der Konzentrationslager gegangen ist, die von ihm so genannte Logothe- rapie begründet hat, die dem Pa- tienten helfen soll, den Sinn des Lebens zu finden, und ihn jeden- falls ermutigt, ihn zu finden.“

Franz Kreuzer hat in einem ORF- Gespräch mit Viktor E. Frankl fest- gestellt, daß man, wo immer auf den fünf Kontinenten dieser Erde unter halbwegs informierten Leu- ten der Name Frankl fällt, mit ziem- licher Sicherheit als Gedanken Ver- bindung den Begriff „Sinn“ zu hören bekommt.

Diese „laserstrahlartige Konzen- tration“ der Logotherapie auf den Sinn (Kreuzer) ist, so bemerkt die Leiterin des Instituts für Logothe- rapie in Fürstenfeldbruck, Elisa- beth Lukas, von manchen Kriti- kern Frankls als Einseitigkeit aus- 'gelegt worden. Frankl habe aber mit wissenschaftlicher Akribie empirische Befunde über die Kor- relation zwischen seelischer Krank- heit und fehlender Sinnorientierung gesammelt. Daher konnten Frankls Erkenntnisse auf Dauer nicht mehr übersehen werden.

So sind inzwischen viele „Neu- entdecker“ des menschlichen Sinn- bedürfnisses aufgetreten, ohne je- doch wirklich dem existentiellen Gewicht des Begriffs „Sinn“ Rech- nung zu tragen. Es sei hier nur an dieso gängige Rede von der „Selbst- verwirklichung“ erinnert. „Aus der ursprünglichen Einseitigkeit der Logotherapie ist, was das existen- tielle Vakuum betrifft, eine fachli- che Unschlagbarkeit geworden“, stellt Lukas fest.

Der schon erwähnte Brücken- schlag zwischen Psychotherapie und Philosophie war die Voraus- setzung dafür, daß Frankl seine Logotherapie auf die sichere Basis einer metaklinischen Lehre vom Wesen des Menschen, das heißt die klinischen Phänomene auf ihre „hintergründige“ (meta = griech. „hinter“) Problematik durchleuch- tende Anthropologie stellen konn- te.

Dabei wird immer deutlicher, daß darin ein wissenschaftstheoreti- scher Denkansatz als „Zugang zum Geist“ enthalten ist,“der mit dem radikal gewandelten, auf ganzheit- liche Betrachtungsweise gerichte- ten Wissenschaftsverständnis der modernen Naturwissenschaft in Zusammenhang gebracht werden kann.

Darüber hinaus erfuhr Frankls Neurosenlehre und Behandlungs- technik durch zahlreiche in aller Welt durchgeführte experimentel- le Untersuchungen eine empirisch- wissenschaftliche Fundierung.

So wurde die Logotherapie zu einer weltweiten Bewegung, was dann auch zur Gründung von „Gesellschaften für Logotherapie“, zum Beispiel in Wien und Bremen, und zur Etablierung von Ausbil- dungsinstituten, wie in Hamburg, Bielefeld, Fürstenfeldbruck, Tübin- gen und Wien und außerhalb des deutschen Sprachraums in Europa, aber auch in Nord- und Südameri- ka, Afrika und Japan, führte.

Diese Einrichtungen stehen nicht nur im Dienste ärztlich-psycholo- gischer Praxis, sondern tragen auch den Erfordernissen der Entwick- ung einer anthropologisch fundier- ten Erziehungstheorie Rechnung. Ohne Zweifel ist die Zeit schon lange „reif“ für die angemessene Rezep- tion einer psychotherapeutischen Anthropologie, die sich über ihren Bereich hinaus als allgemeine an- thropologische Forschungsrichtung erweist.

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