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Franz Kafka und seine Entdecker

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Der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt wurde für dieses Jahr dem französischen Soziologen Raymond Aron verliehen. Er hat ihn wohl verdient. Sein jüngstes Buch trägt den Titel „Plaidoyer pour l'Europe decaden-te“. Mit ihm hat Aron den falschen Mythos von der Überlegenheit und Fortschrittlichkeit kommunistischer Wirtschafts- und Staatspolitik zu Fall gebracht.

Ich wüßte dem Frankfurter Kuratorium einen Anwärter für den nächsten Goethe-Preis, und zwar auf dem Gebiet der Literatur. Es ist der 78jäh-rige Österreicher Otto Bäsil, ein echter homme des lettres, wie es ihrer heute nur wenige in diesem Lande gibt.

Das - wie so oft scheinbar zufällige - Zusammenkommen zweier Begebenheiten in jüngster Zeit haben mir die Qualitäten Basils erneut bewußt gemacht.

Da hat es unlängst im Fernsehen -als ein Residuum einer Tagung über Franz Kafka - ein Gespräch vorwiegend marxistisch inklinierter Literaturhistoriker und -kritiker über diesen Dichter gegeben. (Ich kann nicht einmal letztere Bezeichnung als richtig für einen empfinden, der so deutlich wie er gelebt und gesprochen hat.) In dieser Fernsehrunde berichteten drei der Teilnehmer, die vordem im kommunistischen Orbit gewirkt hatten, daß es ihnen erst 1962 geglückt sei, sich aus dem vom stalinistischen Regime über Kafka und sein Werk verhängten Dunkel zu dessen Kenntnis und Verständnis durchzuringen. Nicht wenig habe auch der seither verstorbene Ernst Fischer durch eine Rundfunkdiskussion in der DDR dazu beigetragen.

Mein Fernsehapparat verfügt nur über Schwarzweiß-Wiedergabe, und so konnte ich bei dieser Sendung nicht ersehen, ob sich das Gesicht des einen oder anderen Teilnehmers bei diesen Erklärungen nicht mit der zarten Röte einiger Scham überzogen hat. Dies deshalb, weil es nicht so sehr Stalin gewesen ist, dem die Hauptschuld für die Verfemung solcher Autoren und Richtungen wie der Kafkas anzulasten war, sondern vor allem ein um schön' Wetter und reichliche Tantiemen besorgtes Rudel von Literaten, darunter eben auch drei der Sprecher aus der Fernsehrunde.

Ihnen voran sind es zwei andere Literaten gewesen, die diesen Schandpfahl einer politisch ausgeheckten Literaturideologie, den Sozialistischen Realismus, aufgerichtet hatten. Das war Maxim Gorki, der sich bereits von Lenin hierfür hatte breitschlagen lassen und darüber todunglücklich und steril wurde. Der zweite war Georg Lukacs, dem das als Theoretiker sichtlich weniger'na-hegegangen ist. Hierzu kam, daß Lukacs allzeit eine wirkliche Liebe zum klassischen Realismus in der Litera-

'tur gehabt hat, so daß es ihm auch hierdurch nicht schwer fiel, dem kritischen Realismus eines Thomas Mann die marxistische Justierung zu verschaffen. Daß die bürgerlichen Verleger - insbesondere S. Fischer

- schon vor und auch während der Emigration das Werk Kafkas bereits gesammelt herausbrachten, wurde gerade noch seufzend hingenommen.

Und nun zu dem zweiten Begebnis.

Wenige Tage nach jener Fernsehsendung über Kafka kamen mir einige der dünnen Hefte der während des Ersten Weltkrieges von Peter Altenberg gegründeten und von Kozmata und danach von Josef Kalmer geführten Literaturzeitschrift „VER!“ in die Hände. Und dort fand ich in deren Novembernummer des Jahres 1921 - also über vierzig Jahre, bevor eine marxistische Vorhut das Licht Kafkas zu erblicken gewagt hatte - eine Studie des damals zwanzig Jahre alten Otto Basil, die zum Gescheitesten und Feinsten gehört, das bis heute über Kafka geschrieben worden ist:

„Einstellung eines Beobachtenden avf die Realität: sein Stil hat keine Bewegung im Sinne der Metapher; die Unverrückbarkeit, mit der sich jedes Wort in den Tonfall fügt, einer Beweglichkeit im Geist-Stofflichen gleichlautend, ist wesentlich undialektisch. Er verneint die Moral: jeder, der die Beobachtung „Mord“ gelesen hat, weiß es. Dies ist sein ethisches Moment!

Er ist kein -ist; selbst wenn man ins Auge faßt, daß er in einer Gegenwart lebt, die dunkelste Übergegen-wärtigkeit mimt; seine klare Unmittelbarkeit, welche nicht so sehr den Stoff zum Anlaß, als eher diesen zu jenem nimmt, läßt noch dem unsinnigsten Zufall seine vollsinnigsten Zweifel.

„Ein Traum“ und „Vor dem Gesetz“

- wohl seine besten Arbeiten, wenn man unter Nur-Bestem noch qualitativ unterscheiden kann - sind mit einer derartigen Kraft und Anschaulichkeit geschrieben, daß sie den Rahmen einer prosaistischen Konstruktion beinahe sprengen. (Ich meine das insoferne, als man beispielsweise die Apologia des Pascal nicht „prosaistisch“, überhaupt nicht literarisch nennen kann.) Wenn man die Hefte dieser Dichtung ermißt, wird man auf einen Vergleich mit Dostojewski kommen; im Deutschen hat er weder Beispiele noch Vorahmer.

Das eminent Neue an Kafka ist, daß er (es entspringt vielleicht direkt seinem Stil) sich des Drangs zu motivieren auch dann nicht entäußert, wenn es nichts zu motivieren gibt. Diese absolute Gleichzeitigkeit von Impuls und Charakter, die selbst dann, wenn sich der Dichter auf das dunkle Gebiet ihm fremder Seelenregungen begibt, nichts an Sprachdichtigkeit einbüßt, produziert seinen Stil. Seine Menschen leben sehr im Fiktiven: man spürt beim Lesen die Hand einer irgendwie übersinnlich geordneten Evolution.

In jenem Jahr 1921 hatte Franz Kafka nur noch drei Lebensjahre vor sich. Dennoch war er damals noch immer nur wenig bekannt. So war allein schon ihn zu kennen, eine beachtliche Leistung für einen zwanzig Jahre alten Burschen.

Ich vermute, daß Basil damals einige von Kafkas Erzählungen aus Sonderdrucken der zwei Zeitschriften „Hyperion“ und „Summa“ kannte. Sie hatten als Herausgeber den gleichfalls wie Kafka von den „übergegenwärtigen“ Flachköpfen als dekadent und Mystiker verschrieenen Franz Blei. Ihm wurde weiters vorgeworfen, daß er ein Katholisierer sei, dieweil man Kafkas Bemühungen, noch als Erwachsener Hebräisch zu lernen, einerseits als eine illegitime Beziehung zur Kabbalah und andererseits als Absicht, nach Palästina auszuwandern, ausgedeutet hat.

Es ist zu hoffen, daß wir mehr darüber in Bälde von Otto Basil selbst erfahren werden. Er liegt zwar derzeit in einer Wiener Herzstation, wird aber von den Ärzten bereits als kurabel bezeichnet, und das Herumgehen wird ihm auch schon erlaubt. Ein Grund mehr für die Frankfurter Kuratoren, sich die Arbeiten dieses dichterischen Fürsprechers für das „dekadente Europa“ näher anzuschauen.

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