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Kafka war anders

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Franz Kafka. Eine Biographie. S. Fischer Verlag. 357 Seiten.

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Franz Kafka. Eine Biographie. S. Fischer Verlag. 357 Seiten.

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Die vorliegende dritte und erweiterte Auflage der bekannten Kafka-Biographie Max Brods ist zugleich die erste, die allgemein zugänglich ist, da die vorangegangenen Editionen 1937 in Prag und 1946 in New York erschienen waren. Es geht Brod vor allem darum, ein wahres, lebensechtes Bild seines Freundes zu zeichnen und zahlreiche im Umlauf befindliche Kafka-Legenden zu zerstören.

Brod wehrt sich dagegen, daß man voreilig und leichtfertig aus Kafkas problematischem Werk, in dem ohne Zweifel die dunklen und pessimistischen Züge vorherrschen, Schlüsse auf die menschliche Person des Autors zieht, die, wie er aus einem jahrelangen und intimen Umgang mit Kafka berichten kann, wesentlich hellere, freundlichere und liebenswürdigere Züge aufweist. Natürlich war, was Kafka in seinen Tagebüchern, ln den Briefen an Milena Jesenska und in dem bekannten „Brief an den Vater“ schrieb, Wirklichkeit. Es wäre aber völlig verfehlt, daraus zu schließen, daß Kafka ein seelisch kranker, von ständigen Depressionen gequälter Mensch gewesen ist. „Seine geistige Richtung ging durchaus nicht auf das Interessant-Angekränkelte, Bizarre, Groteske, sondern auf das Große der Natur, auf das Heilende, Heilkräftige, Gesunde, Festgefügte, Einfache." Wer Kafka nur aus seinen Büchern kennt, könnte glauben, daß er auch im Umgang traurig, ja verzweifelt gewirkt habe. „Das Gegenteil ist der Fall. Es wurde einem wohl in seiner Nähe. Die Fülle seiner Gedanken, die er meist in heiterem Ton vorbrachte, machte ihn, um nur den niedersten Grad anzudeuten, zumindest zu einem der unterhaltendsten Menschen, denen ich je begegnet bin — trotz seiner Bescheidenheit, trotz seiner Ruhe. Er sprach wenig, in großer Gesellschaft nahm er oft stundenlang nicht das Wort. Aber wenn er etwas sagte, machte es sofort aufhorchen. Denn es war immer inhaltsvoll, traf den Nagel auf den Kopf. Und im vertrauten Gespräch löste sich ihm manchmal die Zunge auf ganz erstaunliche Art, er konnte begeistert und hingerissen sein, des Scherzens und Lachens war dann kein Ende; ja, er lachte gern und herzhaft und wußte auch seine Freunde zum Lachen zu bringen. Mehr als das: in schwierigen Lagen konnte man sich seiner Weltklugheit, seinem Takt, seinem Rat, der kaum je das Richtige verfehlte, ohne Bedenken aufatmend anvertrauen. Er war ein wundervoll helfender Freund. Nur für sich selbst war er ratlos, hilflos — ein Eindruck, den man im persönlichen Verkehr mit ihm, seiner guten selbstbeherrschenden Haltung wegen, nur in seltenen, extremen Fällen hatte ”

Hierzu kommen noch andere positive Züge, die Max Brod immer wieder hervorhebt und betont: Kafkas Bescheidenheit und Gewissenhaftigkeit, Geduld und Selbstkritik, sportliche Kühnheit und Gewandtheit in jungen Jahren, seine Naturliebe, sein Interesse für alles Neue, sogar für Technik und Film, seine Kindlichkeit und ein Witz.

Kafkas Urteil war elementar, einfach und nützlich, in seinem Sprechen und Denken war er durchaus antiparadox. An allem, was um ihn geschah, teilnehmend und interessiert, hatte nur das Unanständig-Sittenlose keinen Reiz für ihn. Diese Abneigung Kafkas war so stark spürbar, daß nie jemand wagte, in seiner Gegenwart einen zweideutigen Witz zu erzählen, — Kafka war im eigentlichen Wortsinn ein Menschenfreund, und nach der Lektüre eines Buches von Dilthey notierte er: „Liebe zur Menschheit, höchste Achtung vor allen von ihr ausgebildeten Formen, ein ruhiges Zurückstehen auf dem geeignetsten Beobachtungsplatz.” Kafka hatte ein sehr starkes Gefühl für die Gemeinsamkeit aller Menschen und war von Natur gesellig. Freilich wurde dieser Trieb durch das in späteren Jahren immer größere Macht gewinnende Einsamkeitsbedürfnis aufgehoben. „So sind auch", meint Brod, „die vielen Darstellungen des Junggesellentums, das in seinem Werk eine so große Rolle spielt, durchaus als Gegenbilder, Gegensymbole des Richtigen und Erstrebten aufzufassen". — Wer Kafkas Leben und seine wiederholten Verlobungen und Heiratspläne kennt, wird nicht ohne Ergriffenheit miterleben, wie ihm alles, was er auf diesem Gebiet versuchte, mißlang. Nicht ab er, daß er es erreichte, sondern was er für richtig hielt und anstrebte, scheint wesentlich. Schreiben war für ihn, dem menschliches Glück versagt war, Sinngebung des Lebens und — als ehrliche, fleißig-gewissenhafte Arbeit — Entfaltung gottverliehener schöpferischer Anlagen, den anderen Arbeiten, die sinnvoll und aufbauend verrichtet werden, gleichwertig und den Einsamen in den Kreis der tätigen Gemeinschaft zurückführend.

Im Rahmen einer kurzen Besprechung kann nur auf einige wesentliche, uns besonders wichtig scheinende Punkte in Brods einfühlender, sympathisch-sachlicher und respektvoller Biographie hingewiesen werden. Der Leser wird noch vieles, nicht minder Interessante darin finden. Nur am Rande sei vermerkt, daß Brods Thesen nicht nur durch die im Anhang mitgeteilten „Erinnerungen an Kafka" aus der Feder gemeinsamer Freunde, sondern auch durch die von Ernst Janouch aufgezeichneten (separat erschienenen) „Gespräche mit Kafka" bestätigt werden. Begreiflich, daß Brod sehr kritisch — unter dem Titel „Ermordung einer Puppe namens Franz Kafka" — gegen die Studie von Günther Anders („Kafka — pro und contra") Stellung nimmt, obwohl diese Polemik an einigen Stellen übers Ziel schießt und den stilistisch-ästhetischen Teil der sehr scharfsinnigen Studie von Anders weder zu treffen, noch zu widerlegen vermag.

Das in der gleichen Ausstattung wie die Gesamtausgabe edierte Buch enthält auch einige Bilder, Handschriftproben und Zeichnungen des Dichters und kann — immer noch — als die Standardbiographie Kafkas bezeichnet werden.

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