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Lehren, erwecken, formen

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Fällt der Name Max Brod, stellt sich sofort der Name Franz Kafka ein. Über den Zusammenhang dieser einzigartigen Freundschaft wurde und wird viel gesprochen, vieles geschrieben und noch mehr gemeint. Das Gespräch darüber hat aber kaum erst begonnen. Wer führt es richtig weiter?

Max Brod hat als Erhalter und Bewahrer des Werkes von Franz Kafka ein Los auf sich geladen, das zur Zeit des Zusammenlebens beider kaum geahnt werden konnte: das Werk Kafkas, rückte das Werk Max' Brods in den Hintergrund. Das ist in keiner Weise Franz Kafka, dem bescheidenen und unliterarischen Menschen, zuzuschreiben, vielmehr der Literaturforschung, die zuweilen erstaunlich unachtsam ist. Es wurde noch kaum erkannt, daß das Werk Max Brods neben dem Franz Kafkas eigenwüchsig besteht. Dankbar ist man zunächst für die gewissenhafte Brod-ßibliographie des Hans-Christian-Verlags in Hamburg, die eine Übersicht über das Gesamtwerk bietet; die Gesamtdarstellung und Deutung harren noch ihrer Stunde.

Max Brod, geboren am 27. Mai 1884 in Prag, starb im patriarchalischen Alter von 84 Jahren 1908 in Tel Aviv. Sein erstes Buch, die Gedichtsammlung „Der Weg des Verliebten“, erschien 1907, sein letztes Buch „Von der Unsterblichkeit der Seele“ wurde kurz vor seinem Tod abgeschlossen. Max Brods Schaffen umfaßt mehr als ein halbes Jahrhundert, es vollzieht sich in dem weit gespannten Bogen seit dem Frühexpressionismus bis in die Gegenwart, mit dem Brennpunkt Frag, von dem entscheidend Neues in die deutsche Literatur ausstrahlte. Max Brod ist der letzte deutschsprachige Repräsentant jener geistig trächtigen und unruhigen Stadt; ihr literarisches Leben hat er in seinem Buch „Der Prager Kreis“ dargestellt.

Es ist sicher nicht damit getan, hier die lyrischen, dramatischen und geisteswissenschaftlichen Werke und Romane Max Brods aufzuzählen. Wer heute nach einem der wiedererschienenen Romane Max Brods greift („Stefan Rott“, „Der Sommer, den man sich zurückwünscht“, „Beinahe ein Vorzugsschüler“), der wird von ihrer Lebendigkeit und einer dem Nächsten und Fernsten verpflichteten Geistigkeit bewegt. Brod ist einer der lebensnächsten und geistvollsten Schreibenden innerhalb der deutschen Literatur, einer ihrer wenigen hommes de lettres, Liebender und Weiser, der das Leben in seinen Höhen und Tiefen kennt, dessen Nachdenken bei Piaton beginnt und über Thomas von Aquin bis Pascal; Kierkegaard und Heidegger reicht. Ein ins Leben Verliebter, der feinste seelische Regungen einzufan-gen weiß, zugleich ein tiefer und exakter Denker. Sein Denken mündet nicht in die Abstraktion oder in ein System, es wird ihm zum Leben, und das Leben wird überdacht, jedoch nicht zerdaoht.

Keine unüberbrückbare Kluft trennt ihm Irdisches und Überirdisches; das „Diesseitswunder“ ist ihm das Hereinleuchten des Überirdischen ins Irdische; eine Sammlung von Erzählungen nennt er „Durchbruch ins Wunder“. Das Buch mit seinen Theater- und Musikkritiken trägt den Titel „Sternenhimmel“. Seine Meditationen über „schöne Stellen“ in der Musik — Max Brod selbst war Komponist — kreisen um die Möglichkeit der Offenbarung von Himmlischem im Irdischen.

Brods trunkene Daseinsfreude und Lebensbejahung waren es, die den ganz anders gearteten Karl Kraus zu zynisch-spöttischen Bemerkungen über Max Brod veranlaßten; die Vermischung von „logischen Argumenten mit Witzen“, die Brod Karl Kraus vorwarf, führte zu einer aufschlußreichen Kontroverse; sie wird, an die Angriffe in der „Fackel“ knüpfend, in Max Brods selbstbiographischem Buch „Streitbares Leben“ dargestellt.

Max Brod, der aus überquellendem Herzen gelebt und kraft seiner Intuition und seines weiten Wissens so vieles und viele entdeckte und sich für Menschen und Werke einsetzte — Franz Kafka, Franz Wer-fel, Leos Janäcek, Jaroslav Hasek —, bedürfte nun selber dieses selbstlosen Einsatzes. Doch schon die vorerst rein sachliche Erschließung des umfangreichen und vielschichtigen Lebenswerkes bedeutet eine Arbeit, die von einem einzelnen kaum geleistet werden kann. Das Werk von Max Brod ist geradezu erst wieder zu entdecken. Die Dichtung unserer Gegenwart ist nicht so reich, daß sie darauf verzichten könnte. Der beste Anfang wäre, die Bücher dieses großen Dichters wieder ins Bewußtsein der Leser zu rücken. „Wer sich den Menschen Max Brod hinter all seinen Büchern vorstellen könnte“, schreibt Brods Prager Zeitgenosse Willy Haas, „würde eine wahrhaft sokratische Natur ahnen, einen Autor, der als Mensch dazu geboren war, zu lehren, zu erwecken, zu formen.“

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