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Nochmals Kafka?

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Kafka oder die unzerstörbare Hoffnung. Von Robert Rochefort. Mit einem Geleitwort von Romano Guardini. Ucbersetzt aus dem Französischen von Hubert Greifeneder. Verlag Herold, Wien. 196 Seiten. Preis 59 S

Ueber das Werk Franz Kafkas ist soviel geschrieben worden, daß man fast den Mut verliert, noch neue Deutungsversuche zu lesen. Rocheforts Interpretation zu studieren, lohnt sich, denn er macht das Werk Kafkas durch die Lebensgeschichte und Lebensintention Kafkas verständlich. Im Grunde sind alle Schriften Kafkas autobiographisch, und wie der Dichter mit seinem eigenen Leben nicht fertig wurde, so wird auch der Leser mit den Werken nie ganz fertig. Denn Kafka war kein Schriftsteller, sondern ein Kämpfer, ein Experimentierender mit dem Leben, das für ihn ein Konflikt ohne Ausweg war. Was Kafka am Leben ausforschte? Er wollte sich das Absurde des Lebens beweisen und davon ein dichterisches Zeugnis hinterlassen. Ein gewagter Vergleich Rocheforts zeigt dieses Unterfangen am besten: so wie Christus in Gleichnissen und nur in Gleichnissen Seinen Gott und Vater andeutend verkünden konnte, so wollte Kafka in Vergleichen das Nichtsein verkünden. Kafka nahm aus dem Umkreis des Nicht und Nichts seine Gleichnissprache (Kälte, Stille, Leere usw.), wie Christus Seine Gleichnisse aus dem Umkreis des Lebens nahm. Gleichnisse können nie im Detail gedeutet werden, obwohl die Einzelzüge nicht ohne Bedeutung für das Ganze und Gemeinte sind: denn die Gleichnissprache will nicht feststellen, sondern den Leser, den Hörer unterwegs lassen und auf dem Wege helfend treffen. So fällt Kafka dem Leser mit den Motiven des Verfalls, des Niedergangs, des Untermenschlichen an, denn

Menschenleben ist darin unterwegs. Das ist der „negative Messianismus“ im Werke Kafkas, daß die erfahrbare, mühsame Vergeblichkeit des menschlichen Lebens auf ein leeres Spiel reduziert werden soll: das Leben überhaupt ist ein Nichts. Damit hat der Dichter „seinen ungeheuren Komplex“ zur Problematik der Welt erhöht. „Das Sein auf das Nichts zu gründen“ ist vielfach unternommen worden (Heidegger). Wer aber diese Problematik nie an sich selbst erfuhr, wird sie auch nie verstehen, das heißt, ein gläubiger Mensch ist unfähig, diese Frage als ernstliche Angelegenheit zu diskutieren. Als akademische Fragestellung mag sie angehen, aber als Existenzfrage, in der der Fragende selbst auf Leben und Tod mitgefragt ist, wird ein Christ diesen „mystischen Nihilismus“ nie mitfragen. Und auch Kafka scheint im Laufe des Lebens und Werkes sich bewiesen zu haben, daß sein Ansatzpunkt und sein intendiertes Ziel unmöglich sind. Er gibt zu, daß seine „Not, die zum Teil aufgezwungen war, zum Teil von ihm gesucht wurde“, als Existenznot nicht standhielt: hinter aller Liebe zur Not wuchs immer die heimliche Hoffnung, „ins Schwarze zu treffen“: es sollte sich ein Leben unbeschränkter Art, leicht und ohne Verantwortung öffnen. Die Sehnsucht nach solchem Leben fand Kafka in sich und muß zugeben, daß sie dem Menschlichen beigemischt ist als das unzerstörbare Element: , Das Unzerstörbare ist eines: jeder einzelne Mensch ist es und gleichzeitig ist es allen gemeinsam, daher die beispiellose untrennbare

Verbindung der Menschen.“ Wenn Kafka sich mit den Helden seiner Bücher auf eine kabbalistische Art gleichsetzte, so wird ihm das am Ende seines Lebens nicht mehr möglich:'die Entdeckung des Unzerstörbaren hat den Nihilismus ad absurdum geführt.

Kafka erfuhr so etwas wie die sanfte Gewalt der Gnade, wenn man die Gleichnissprache vom Ende her deutet: das „Ritterschwert in seinem Rücken“; die Bewaffneten, die ihn umstehen und ihre Lanzen auf sein Inneres richten; „die Jagd geht durch mich und zerreißt mich“; der „Ansturm von oben“; „gehetzt“ zu sein; gewürgt zu sein am Halse, so daß er den Köpf nicht auf die Brust senken kann in seinem Hasse usw. Das ist Kafka selbst, was er den Vater im „Urteil“ sagen läßt: „Ein unschuldiges Kind warst du ja eigentlich, aber noch eigentlicher warst du ein teuflischer Mensch.“ In einem teuflischen Unternehmen, nein zu sagen und nein zu leben, blieb Kafka

ein Kind, ein unschuldiges Kind — dieses Erlebnis teilt sich dann auch dem Leser mit: die Hoffnung, im“ Unzerstörbaren geschaffen und gehalten zu sein, zeugt von einer gründlichen Unschuld des Menschen.

Diese Rocheforts Buch entnommenen Gedankengänge machen Kafka lesenswert. So befremdend sie zunächst gegen alle anderen Deutungen zu sein scheinen, weiß der Autor seine Interpretation durchaus plausibel zu machen.

Das großzügige Vorwort Romano Guardinis gibt den literarischen und christlichen Ort an, wo Kafka zu suchen ist: wenn Hölderlin die protestantisch-pietistische Säkularisation der göttlichen Offenbarung unternahm und Rilke die katholisch gefärbte, so ist Kafkas Werk die Säkularisierung des jüdischen Offenbarungsgutes. Alle drei benutzen die ihrem Herkommen entsprechenden Begriffe und deuten sie um.

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