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Franz Kafkas Meisterwerke

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Das Schloß. Roman. S. Fischer-Verlag. Lizenzausgabe von Schocken Books, New York. 496 Seiten. — Beim Bau der chinesischen Mauer. Gustav Kiepenheuer-Verlag, Berlin. 252 Seiten

In einer Studie über die zeitgenössischen . epischen Kunstformen sagt Mario Galetti, daß das -Werk Kafkas innerhalb der Kontinuität des deutschsprachigen Schrifttums einen Sonderfall darstelle und in jeder Hinsicht eine Eigenwelt verkörpere. Vergleicht man die Prosa Kafka6 etwa mit der von Ernst, Schäfer, Kolbenheyer oder Hauptmann, so bezeichnet ßie die äußerste Farbgrenze eines Prismas, dessen Ränder bereits im Nichts verschwimmen. Das hinter seinem Werk verborgene Geheimnis — und darin stimmen die meisten Kafka-Interpreten überein — ist rational unbestimmbar. Es gleicht einer Architektur, die einer unsichtbaren Kuppel zustrebt. Das bezieht sich auch auf den formalen Aufbau von Kafkas großen Romanen und Erzählungen, die keinen Schluß im üblichen Sinn haben. Der Begriff de6 Fragments gewinnt eine neue Bedeutung, während — nach einem Wort Otto Mauers — Kafkas Sprache jenen fa6t quälenden Charakter von Perfektion zeigt, der als Zeichen für den Tod gewertet werden könne. Diese Prosa ist traumhaft und realistisch, sie ist undurchdringlich und zugleich exakt, klar, genau und transparent. Durch ihre Wirklichkeit 6chaut eine andere Welt, ohne daß der Realitätsgehalt des Irdischen geringer würde, im Gegenteil: sein Dringlichkeitsgehalt ist gesteigert. Alles, was Kafka schrieb, ist nur gleichniehaft zu fassen, abej: „Gleichnisse wollen eigentlich nur sagen, daß das Unfaßbare unfaßbar ist“, erläuterte Kafka einmal sich selbst. —

Der Roman „Das Schloß“, als zweiter Band der Gesammelten Werke von Max Brod herausgegeben, der den zwanzig Kapiteln eine Variante des Beginns, einige Fragmente und die vom Autor gestrichenen Stellen bei-

fügte, kann nach der Größe und Weite seiner Architektur, nach der Fülle der Gestalten, und der Dichte des motivischen Gewebes als Kafkas Meisterwerk bezeichnet werden. Gerade an ihm kann man nachprüfen, daß der fehlende Schluß, also das Fragmentarische, den künstlerischen Gesamteindruck nicht zu schmälern vermag.

Unter dem Titel der ersten Novelle — „Beim Bau der chinesischen Mauer“ — haben Max Brod und Hans Joachim Schoeps zwanzig Pro6astücke herausgegeben, die alle aus Kafkas letzten Lebensjahren (1918 bis 1924) stammen. Die Eigenart Kafkas (die jedem Betrachter auch aus dem alterslosen Gesicht und der Handschrift des Dichters in die Augen springt) und seine eigentümliche „Perfektion“ äußern 6ich unter anderem auch darin, daß von verschiedenen Fassungen der Erzählungen und Skizzen nicht immer mit Sicherheit jene zu ermitteln ist, die als die spätere zu erkennen wäre und 6omit vom Dichter als die vollkommenere angesehen wurde. Unter dem Gesichtspunkt der künstlerischen Geschlossenheit und Vollkommenheit, des einheitlich durchgehaltenen episch-lyrischen Tones, möchte man der Titelnovelle vor allen anderen Prosastücken dieses Bandes den Vorzug geben. — Den Beschluß bilden 109 Aphorismen, die Kafka auf einzelne Zettel schrieb und die die Herausgeber als „Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg“ bezeichnen. Nicht nur ihrem Inhalt nach, sondern auch durch plastische Bildhaftigkeit und strenge Begriffsprägung sind sie Pascals „Pensees“ verwandt. — Ein Gesamtbild des Dichters und Denkers wird freilich erst dann zu gewinnen 6ein, wenn im Rahmen der Gesamtausgabe die Tagebücher Kafkas vollständig veröffentlicht sein werden.

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