6885646-1979_26_08.jpg
Digital In Arbeit

Franz Kafka: eindeutig ein Vieldeutiger

Werbung
Werbung
Werbung

Daß das einzig Eindeutige am Werk Kafkas seine Vieldeutigkeit ist, bedarf keines besonderen Beweises. Ebensowenig wie die Beunruhigungen, die nach wie vor von diesem Werk ausgehen, auch wenn die Hochstilisierung Kafkas zu einem Klassiker der deutschen Prosa den Anschein einer entschärfenden Wirkung mit sich bringen mag.

Das von der Niederösterreich-Gesellschaft für Kunst und Kultur in Zusammenarbeit mit der österreichischen Gesellschaft für Literatur veranstaltete Kafka-Symposion legte jedenfalls Zeugnis davon ab, auch wenn sich hierzulande nicht jene politische Brisanz zeigt, die - nahezu kafkaesk - diesem so unpolitischen Autor im Osten Europas widerfuhr und die in den Personen und Ausführungen von Roman Karst, Eduard Goldstücker und Hans Mayer gleichsam von Liblice, dem schon legendär gewordenen Schauplatz der Kafkakonferenz des Jahres 1963 bis Klosterneuburg nachklang.

In insgesamt zwölf Vorträgen, einer Lesung und einer Schlußdiskussion wurde das Werk Kafkas vor einem zahlreich erschienenen Auditorium von vielen Seiten beleuchtet, analysiert und gedeutet, wurden Bezüge zur Literatur, Psychoanalyse, Phüosophie, Religion und Politik hergestellt, wurde die persönliche und literarische Herkunft Kafkas ebenso untersucht wie seine Wirkung und Aktualität.

Gerade die Rezeption Kafkas, an der sich auch die Chronologie des Auf und Ab der geistigen Moden ablesen läßt, zeigte innerhalb des Bogens der Thematik „Kunst und Prophetie“ die oft bis zur Widersprüchlichkeit gehende Deutung dieses Werkes, das man zu Recht als das „verschlossenste unseres Zeitalters“ bezeichnet hatte.

Nicht von ungefähr kristallisierte sich gerade die Frage nach der Sprache als entscheidend heraus, zumal sie für Kafka an jene Grenzen führt, an denen Paradox und Absurdität aufbrechen. Kafkas Versuch, „das Nicht-Mitteilbare mitzuteilen, das Unerklärliche zu erklären“, wie es bei ihm selbst heißt, führt so nicht von Ungefähr in die Nähe des Wittgen-steinschen Diktums „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen“. Deutlich wurde dies auch dort, wo bei aller Problematik einer religiösen Interpretation Kafkas die Bedeutung des Mystischen zur Sprache kam.

Die vielfach geäußerte Skepsis gegenüber einer Deutung Kafkas als eines Propheten, der die Situation des Menschen in einer verwalteten, funk-tionalisierten Welt genial vorweggenommen hätte (Binder, Born, Goldstücker), schließt nicht aus, daß diese „von allen Seiten unmögliche Literatur“ (Kafka über sich selbst), in der die Ausgeliefertheit des Individuums, sein schuldig-schuldloses Verstricktsein in einen Prozeß mit üblem Ausgang in befremdlich-beklemmender Weise geschildert wird, eine Deutung unserer Wirklichkeit enthält, die weit über historische Bezüge und Stationen hinausgeht.

Die Bedeutung von Kafkas Aphorismen und Tagebüchern, besonders hervorgehoben von Schillemeit und Welzig, sein Verhältnis zum Judentum und der jüdischen Religion (Allerhand, Goldstücker), seine Selbstreflexion auf Dichtung und Sprache (David und der Verfasser dieses Beitrags), sein hochsensibles und ambivalentes Verhältnis zum Leben, zur Welt und sich selbst, dem sich auch eine psychoanalytische Interpretation' nur annähern könne (Dettme-ring) - dies alles unterstrich nur, wie sehr sich Kafkas Werk jeder einseitigen reduktionistischen Interpretation entziehen muß.

Roman Karsts Forderung in der Schlußdiskussion nach einer Fort-

Setzung dieses in Klosterneuburg gesetzten Anfangs, nach weiteren Symposien, war denn ebenso auch Ausdruck für die vielen offenen Fragen, wie Jürgen Borns Feststellung, daß der Einzelne selbst eine Antwort angesichts der Vielfalt der Deu-tungsmöglichkeiten Kafkas suchen müsse.

Mit der nunmehr in Aussicht genommenen, von Jürgen Born geleiteten Edition einer Kafka-Gesamtausgabe, der Gründung einer Kafka-Gesellschaft in Österreich und der jährlichen Verleihung eines Kafka-Preises, den die Jury in diesem Jahr Peter Handke zugesprochen hat, sind ohnedies bedeutsame initiativen gesetzt.

Sucht man innerhalb der Divergenz der Deutungen Kafkas, die auch auf diesem Symposion spürbar wurde, dennoch nach Einhelligkeit, so war sie in der klaren Absage an eine allzu kurzatmige politisch-gesellschaftskritische Vereinnahmung Kafkas äusmachbar. Die Zeit einess „Kafka mit der roten Nelke“, wie er noch vor kurzer Zeit präsentiert worden war, eines Aufklärers, scheint endgültig der Vergangenheit anzugehören.

Wenn auch Hans Mayers Feststellung in der Schlußdiskussion, man könne nach Kafka nicht mehr so schreiben, wie dies vor ihm möglich gewesen war, nicht unwidersprochen blieb, wies sie doch in die Mitte der vielfältigen Erörterungen dieses Symposions: Kafkas Sprache, sein Schreib- und Erzählstil markieren sicherlich nicht allein eine Wende innerhalb der deutschsprachigen Literatur, sie stellen in ihrer Einzigartigkeit auch etwas dar, für das es keine Nachfolge gibt.

Kafkas Dichterexistenz mit all ihren Implikationen, in der Schreiben als aussichtsloser Versuch dasteht, sich dem Mysterium zu nähern, der gleichwohl immer wieder neu unternommen werden müsse, stellt sicherlich alles andere denn eine Verherrlichung der Kunst, der Dichtung dar. Sie bedeutete aber zugleich auch das Bekenntnis, daß nur mit der Sprache der einzig gültige Kampf geführt und ausgetragen werden kann, auch wenn Parabel und Gleichnis letztlich nur sagen können, „daß das Unfaßbare unfaßbar ist, und das haben wir gewußt“ - wie es bei Kafka einmal heißt.

Und es ist sicher mehr als eine oberflächliche und zufällige Koinzidenz, wenn Ludwig Wittgensteins etwa zur gleichen Zeit verzweifelt unternommener Versuch, gegen die Grenzen der Sprache anzurennen, zu einem Schweigen führte, das auch Kafka bestimmt, wenn er einmal gleichnishaft sagte: „Wer die Fragen nicht beantwortet, hat die Prüfung bestanden.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung