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Franz Kafka auf der Opernbühne

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Keine Begegnung der Musik mit dem Worte des Dichters seit langem hat so viel künstlerische Berechtigung wie Gottfried von Einems gewagtes Unternehmen, Franz Kafkas Roman „Der Prozeß“ auf die Opernbühne zu bringen. Nun ist auch diese zweite, in Nr. 14/1953 der „Furche“ bereits analysierte Oper des österreichischen Komponisten, wie schon seine erste, „Dantons Tod“, auf der Salzburger Festspielbühne erschienen. Noch niemals hat die moderne Opernbühne den Mut besessen, die Klage unserer Zeit, die nichts anderes will, als durch unermeßliches Leid zu Gott zurückzufinden, in der Form scheinbarer Ausweglosigkeit, in einer Handlung, deren Sinn ganz und gar zwischen den Zeilen des Dichterwortes steht, zu verwirklichen. Es konnte — und durfte — geschehen, weil die Musik Einems gerade das vermieden hat, was zum Mißerfolg hätte führen müssen: Kafkas Ideenwelt zu ver—tonen; auf diese Weise hätte lediglich eine Illustration, ohne Verwandlung, ohne Läuterung, erreicht werden können. Einem hüllt Kafkas Ideenwelt, die ihm Boris Blacher, sein Lehrer, und der junge Berliner Schriftsteller Heinz von Cramer in einem musikdramaturgisch meisterhaft gezimmerten Expose einfingen, in eine Musik, die Bild für Bild eine bis in die Orchestration eigenständige Kraft besitzt. Ihre Eigentümlichkeit beruht nicht im ängstlichen Ausweichen vor der Macht des klanglichen Vorbildes, das hier von Debussy über Gershwin und unverhüllte Jazzelemente bis zur Strawinsky-Technik durchbrochener Rhythmen reicht, sondern in der völlig neuartigen dramaturgischen Verwendung. Die Musik verbrämt nicht, folgt nicht der Handlung im Sinne der Ausdeutung, sondern distanziert, ermöglicht die Handlung und ihre Tiefenpsychologie indirekt. Josef K. wird zum Helden, ganz im Auftrage Kafkas, indem die beiden Mächte um ihn, die Frau und das Gericht, ins helle, ja grelle Licht einer sorglosen, intensiven Melodik gerückt sind und damit eigentliche Träger der vom Roman her bekannten musikdramatischen Absicht werden. Der alte dramaturgische Kunstgriff, die Personen, die diese Mächte verkörpern, durch einen Sänger jeweils zu verkörpern, vertieft die Passivität des Helden, d.er stets in ihrem Bann verstrickt bleibt. Mit anderen Worten: es gelang Einem, die Dramatik der Passivität sichtbar zu machen.

Die Salzburger Uraufführung des vor allem musikszenisch außerordentlich schwierig zu erfassenden Werkes war vorbildlich. Oskar Fritz Schuh, der geistvolle Regisseur, füllte den Raum zwischen Partitur und Handlung mit einer Kette stets

ineinandergreifender szenischer Details aus, I deren Sinn in einer oft überraschenden , Spiegelung. des Hintergründig-Phantastischen lag. Ihm vor allem ist zu danken, daß das Eingespanntsein Josef K.s zwischen • mensdilich-individuellem, Aufbegehren' und groß erlittenem Untergang die,, ergreifenden Züge .eines-Dramas mit antiker;Katharsis erhielt. Caspar Nelvers Bilder, vom Mittelpunkt der Welt Kafkas empfangen in ,der Schau ihrer Zusammenhänge mit der Welt,, die in großen Prospekten über den Szenen drohte, in denen dieser Jedermann von Heute seinem Ziel entgegenschritt. Zugleich von gleitender Bewegung oft, das Licht als Verwandler und Perspektive ins Uebernatür-liche nutzend. Ein Schritt noch, und der Film, der sich zweifellos dieser Oper bemächtigen wird, hätte im Salzburger Festspielhaus seine Arbeit beginnen können. Beispielhaftes auch haben die Wiener Philharmoniker nach wochenlanger Probenarbeit unter Karl Böhm zustande gebracht. Die nicht immer leicht zu bewerkstelligende „Schonung“ der Stimmen wurde durch ein ständiges dynamisches Fluktuieren schließlich hervorragend erreicht, ein Problem, das noch bei jeder neuartigen Opernform gemeistert werden mußte. Unter den Sängern stand Max Lorenz an der Spitze. Was diesem großen Wagner- und Verdi-Tenor, der gewohnt ist,, in der großen Geste zu leben, niemand zugetraut hätte, ist vollendete Wirklichkeit geworden. Aus der Passivität der oft statischen Ruhe, zu der Josef K. verurteilt ist, wurden sparsamste Bewegungen suggestivbeklemmender Wirkung entwickelt, und wenn dann die große Geste kam, gleichzeitig mit der stets vorbildlich deklamierenden und plötzlich in den weiten melodischen Bogen ausschwingenden Stimme voller Leuchtkraft und beseelter Wärme, wie um aus menschlicher Enge und schicksalhafter schuldloser Schuld dennoch auzubrechen, war die ganze Bühne erfüllt von der Dämonie des Künstlerischen, dem die Verwandlung Lebenszweck ist. Lisa della Casa: in den drei Verwandlungen des Weiblichen triebhaft bis zur Selbstaufgabe, und dennoch liebenswert, wie sie das Hassens-werte in schöner weiblicher Sinnenlust der Stimme veredelte. Ludwig H o f m a n n : der die Emissäre des Gerichts unheildrohend mit düsterer Klangfarbe nachzeichnende Baß, selbst gehetzt und daher die ihm Ausgelieferten hetzend. Bis in die kleinsten Nebenrollen eine hervorragende Be-. setzung mit Peter Klein, Alfred Poell, Läszlö Szemere, Endre Koreh, Alois Pernerstorfer, Walter Berry, Erich Majkut, Polly Batic und Oskar Czer-wenka.

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