6776018-1969_22_09.jpg
Digital In Arbeit

Die Neugier des Spießers

19451960198020002020

In der modernen Konsumgesellschaft; ist es relativ einfach, bis vor kurzem noch schlummernde Bedürfnisse zu wecken. Als dankbarste Objekte erweist sich die Bevölkerung jener Staaten, in denen doppelte Moral, gepaart mit altertümlichen Gesetzen, verstärkt durch die Koppelung von Naivität und Sensationsgier, goldene Absatzmärkte für Produzenten von Sex in verschiedensten Variationen bilden. Theater, Film, Zeitschriften und neuerdings auch das Fernsehen erachten es als notwendig, im harten Konkurrenzkampf um den Konsumenten „mit den Waffen einer Frau“ ihre Ware „an den Mann“ zu bringen. Der Erfolg gibt den Männern, die in der Public Relation meist schon auf die am wichtigsten genommene Form der „Human Relation“ hinweisen, recht.

19451960198020002020

In der modernen Konsumgesellschaft; ist es relativ einfach, bis vor kurzem noch schlummernde Bedürfnisse zu wecken. Als dankbarste Objekte erweist sich die Bevölkerung jener Staaten, in denen doppelte Moral, gepaart mit altertümlichen Gesetzen, verstärkt durch die Koppelung von Naivität und Sensationsgier, goldene Absatzmärkte für Produzenten von Sex in verschiedensten Variationen bilden. Theater, Film, Zeitschriften und neuerdings auch das Fernsehen erachten es als notwendig, im harten Konkurrenzkampf um den Konsumenten „mit den Waffen einer Frau“ ihre Ware „an den Mann“ zu bringen. Der Erfolg gibt den Männern, die in der Public Relation meist schon auf die am wichtigsten genommene Form der „Human Relation“ hinweisen, recht.

Werbung
Werbung
Werbung

Neben Beate Uhse — dem Bürger der deutschen Bundesrepublik heute eher ein Begriff als Kiesinger oder Uwe Seeler — die 1967 in ihrem Flensburger Sexversandhaus

265 Angestellte beschäftigte und mit 140 Millionen Schilling Umsatz das vorangegangene Rezessionsjahr zu überwinden mithalf, entspringen der modernen „Aufklärungsströmung“ zahlreiche Gewimmer. Flensburgs beste Postkumdin (täglich etwa 105.000 Schilling Porto) betreut mehr als zwei Millionen Kunden in 127 Staaten der Erde, nährt sich jedoch am redlichsten vom eigenen Lande („nur“ 14.000 Auslandsabnehmer) und ist stolz darauf, in ihrer Kartei 20 Prozent Akademiker und nur 0.9 Prozent Landwirte zu führen. Ihr Bestseller ist die pornographische Literatur: ehe sich der Zensor durch die verschiedenartigen Bettszenen durchgekämpft hat, sind die 30.000 Exemplare der Erstauflage bereits vergriffen und der Bruttogewinn des Verlegers auf zwei“MiMkjnen Schilling gewachsen. Enorme Verkaufszahlen erreich,* die Wirtschaftswunderfrau auch mit ihren Aphrodisiaka, über deren Realität sie selbst äußerte, „daß die Wirkung bei denen am besten sei, die daran glauben“. In der Zelluloidbranche betätigte sich 1963 Ingmar Bergman mit „Schweigen“ als Pionier der filmischen Beischlafsszene und gab damit den Startschuß für die Darstellung aller Arten sexueller Perversionen, da der simple Koitus bald nicht mehr die erhofften Beträge einspielen konnte. Während in Deutschland die Filmkontrolle bereits resignierend die Schere nur noch an einigen Kulminationspunkten im Sexuellen“ einsetzt, liefern Österreichs föderalistisch aufgebaute Kontrollkommissionen geschäftstüchtigen Filmverleihern manch heroischen Kampf um einige kritische Quadratzentimeter Haut. Während die Vorarlberger ihr Ländle weitgehend von sündigen Streifen freihalten und damit deutschen Nachbarstädten wie etwa Lindau eine nicht unbeträchtliche Entwicklungshilfe leisten, verbucht die Wiener Kommission unter dem Vorsitz von Amtsrat Franz Müllner nur Teilerfolge; auch das Pornographiegesetz unterliegt in Österreich einem West-Ost-Gefälle. Da unsere mit Grund- und Freiheitsrechten gespickte Verfassung das Verbot einer Vorzensur aufweist, anderseits jedoch den Kommissionen Gelegenheit gegeben werden muß, ihr „Gutachten“ zu Filmen abzugeben, erfand man die „Vorführbewilligung“, ohne die beispielsweise in Wien kein Film zur Aufführung gelangen darf. Diese Kommission, eine echt österreichische Himtertürchenlösung, repräsentiert die sanfte Gewalt der „öffentlichen Moral“. Sie übt keine Zensur im formalrechtlichen Sinn aus, sie erteilt nur „Ratschläge“, deren Verbindlichkeit in der Praxis allerdings jeder Filmverleiher zur Kenntnis nimmt, da die Befolgung vor weiterer Verfolgung schützt. Vor jener Verfolgung etwa, die nach den Intentionen des Gesetzes von 1950 „Laufbildern“ zuteil wird, die geeignet sind, „durch Reizung der Lüsternheit oder durch Irreleitung des Geschlechtstriebes“ die Entwicklung jugendlicher Personen schädlich zu beeinflussen, und deren Verbreitungsbeschränkung praktisch jedermann beantragen kann.

Zum Teil fragwürdig ist es allerdings geworden, mittels solcher Verbote ein Ziel zu erreichen. In der Regel trägt man bei Verboten nur zur Popularisierung bei und fördert mit der Beschränkung die Verbreitung, indem der Appell an das selbst im Spießbürger schlummernde Oppositionsgefühl meist erfolgreich ist und zudem noch die Neugierde geweckt wird.

Der Beweise gibt es viele, von der schon legendären Prohibition des Volstead Act von 1919. in den USA über die Verkaufsbeschränkungen für Alkohol in Schweden, die sich letztlich als konsumfördernde Akte erwiesen. Seit aber Dänemark 1967 die Zensur für beschreibende Pornographie abschaffte, ging der Inlamds-absatz erheblich zurück — das Exportgeschäft ins Ausland blühte dafür auf. Was dem „lüsternen“ Bregenzer sein Lindau, ist dem Norddeutschen Padfoore vnß Krusa — und für den Inhaber der Sexkioske ein Millionengeschäft. ..Gibt es etwas Groteskeres als die Erscheinung eines Schweizer Philisters, der ein Strafgesetz zu entwerfen hat und dekretiert, daß jede Abw#chiurw vom horizontalen;. Pfad der QeStl&ech'flitsencI: -r ueh im Ehebett — strafbar\'en“\ Diesen Wehruf von Karl Kraus kann der seither verstrichene Zeitraum von 60 Jahren nur abschwächen, ad absurdum führen kann ihn die Mentalität nicht! Fast wäre man versucht, ein Hoch der Dunkelziffer auszurufen, da sonst an Stelle des sozialen Wohnbaus die Errichtung von Gefängnissen treten müßte, wie unlängst ein Hannoveraner Richter auf die Frage nach der strikten Anwendung des Kuppeleiparagraphen antwortete, österreichische Gerichte verfolgen selbstverständlich die Kuppelei „in Beziehung auf eine unschuldige Person“ als Verbriechen mit einer Strafdrohung von einem bis fünf Jahren schwerem Kerker und gelangen auf dem Wege der Interpretation zu dem Schluß, daß Vir-ginität nicht als Kriterium der Unschuld zu gelten habe. Was bedeutet die Definition der Kuppelei als „aktive Tätigkeit, durch die außerehelicher Geschlechtsverkehr oder andere Unzucht zwischen anderen Personen gefördert wird“?

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung der Wissenschaft und ihr Vordringen in tabuisierte Bereiche. Der Ursprung einer „Soziologie der Sexualität“ taucht in schüchternen Ansätzen in der Familienforschung auf; Frederic le Play, Wilhelm Heinrich Riehl und Friedrich Engels legten im vergangenen Jahrhundert den Grundstein, etwa zur gleichen Zeit griff die Bevölkerungslehre- mit ihrem Pionier Thomas Robert Malthus dais heikle Thema notgedrungen auf, während sich im Rahmen der Entomologie Morgan, Starcke und Westermarck auf diesem Gebiete Lorbeeren verdienten. Der Durchbruch aber und zugleich der Sprung von wissenschaftlichem Eremitendasein in das Bewußtsein breiterer Schichten gelang dem Wiener Tiefenpsychologien Sigmund Freud. Nicht zuletzt ausschlaggebend für seinen weltweiten Ruhm war die Tatsache, daß der „Erfinder der Verdrängung“ auch bald deren Opfer wurde. Anstatt diesem Forschungsergebnis den ihm gebührendem Platz einzuräumen, erreichten einigle „Hexenjäger“ nur das Gegenteil: eine Überbewertung mit epidemisch hypertrophem Charak-

aig üfefe “aen“ Ozean kaum3 zu bremsen *se*fiv wird. Folgen, wie sie weder der „Märtyrer der Triebe“ und erst recht nicht diejenigen, die im im diese Rolle drängten, beabsichtigten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung