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Weg vom Bedürfnis nach Rache!

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dieFurche: Warum kommt Ihre Forderung nach Abschaffung von lebenslänglich gerade jetz?

Terezija Stoisits: Ich fordere das schon seit fünf Jahren. Unlängst habe ich aber bei einer Pressekonferenz im Zusammenhang mit dem, was für die neue Legislaturperiode wichtig ist, gesagt, daß die lebenslängliche Freiheitsstrafe reformiert gehört. Seit 1976 gibt es eine Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates, daß die Höchstgrenze bei Freiheitsstrafen zwischen acht und 14 Jahren liegen soll. Psychologen begründen das damit, daß alles, was darüber hinausgeht, die Persönlichkeit, die sozialen Fähigkeiten, die ökonomischen Ressourcen dermaßen Schädigt, daß der Effekt wieder aufgehoben ist. In Osterreich sind heute 15 Jahre die Untergrenze vorher wird eh kein Lebenslange] entlassen.

dieFurche: Was passiert, wenn ein Täter rückfällig wird? Das Risiko trägt die Bevölkerung.

Stoisit: Das ist auch der Fall, wenn nach zwei Jahren jemand entlassen wird.

dieFurche: Aber bei Lebenslänglichen handelt es sich doch um Schwerstverbrecher. Das Bedürfnis nach Sicherheit darf doch nicht geringgeschätzt werden.

Stoisits: Ich glaube, daß der Ruf nach lebenslanger Freiheitsstrafe nur mit einem einzigen Bedürfnis erklärbar ist, mit dem Bedürfnis nach Rache und sonst nichts.

dieFurche: Und die Sicherheit?

Stoisits: Das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung kann nicht durch diese Fiktion aufrechterhalten werden. Vergeltung hat meiner Ansicht nach im ausgehenden 20. Jahrhundert keinen Platz mehr. Geistig abnorme Rechtsbrecher werden heute sowieso schon unter einen anderen Maßnahmenvollzug gestellt, Leute, die besonders gefährlich und grauslich sind.

Der Normalbürger hat nicht Angst Vor einem Mord, er hat Angst vor einem Autoeinbruch oder Wohnungseinbruch. Das ist das Reale, was bei der Sicherheitsdiskussion bedacht werden sollte. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe nichts damit zu tun hat, Verbrechen zu verhindern. Wir haben doch nicht das Strafsystem Aug' um Aug', Zahn um Zahn. Jedes Land, in dem es die Todesstrafe gibt, zeigt, daß es deswegen nicht weniger Verbrechen gibt. Jemand, der die konsequente lebenslange Freiheitsstrafe fordert, der fordert eigentlich die Todesstrafe auf Raten.

dieFurche: Manche würden Ihnen vorhalten, Sie seien täter- nicht opferorientiert

Stoisits: Aber das Opfer ist tot.

dieFurche: Und die Angehörigen?

Stoisits: Was hat lebenslang mit den Angehörigen zu tun? Angehörige können nicht einmal eine Entschädigungszahlung vom Täter bekommen, wenn er lebenslang weg-gespentt wird.

dieFurche: Was schlagen Sie vor?

Stoisits: Ich gebe zu, daß es schwer ist, dafür Verständnis zu finden, weil man diese Frage immer im Anlaßfall diskutiert. Aber letztlich gibt es in Staaten ohne lebenslängliche Freiheitsstrafe nicht mehr Verbrechen. Wir sollten uns nicht an den repressiven' Gesellschaften orientieren, sondern an denen, die das seriös diskutieren. Also ich würde vorschlagen 15 Jahre o.k., auf keinen Fall mehr.

dieFurche: Aber da muß etwas begleitend passieren, damit Resozialisation möglich wird

Stoisits: Davon muß ich doch im Strafvollzug ausgehen, sonst kann ich ihn insgesamt in Frage stellen. Wenn man grundsätzlich davon ausgeht, daß man die Leute wegsperrt, dann kommt es doch zu überhaupt keiner therapeutischen Wirkung. Warum sollte sich ein Lebenslänglicher Gedanken um seine Zukunft machen? Dem Sicherheitsbedürfnis wird am ehesten Rechnung getragen, wenn man lebenslänglich abschafft. Denn Kranke, die eine ständige Gefahr darstellen, haben im Strafvollzug ja nichts verloren, die müssen in entsprechenden Krankenanstalten angehalten und behandelt werden, bis ihre Gefährlichkeit wegfällt. Was hat das Opfer davon, wenn man den Täter wegsperrt?

Die Möglichkeit, den Täter zur Wiedergutmachung anzuleiten, ist extrem beschränkt. Ich kann also die lebenslange Freiheitsstrafe ebensowenig rechtfertigen wie die Todesstrafe.

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