Lingens-Kreisky - Peter Michael ­Lingens (im Bild 1975 auf der Anklagebank) wurde in erster und zweiter Instanz verurteilt, weil er die Spitzelvorwürfe Bruno Kreiskys gegen Simon Wiesenthal als "ungeheuerlich, unmoralisch, opportunistisch" bezeichnet hatte. Erst 1986 wurde dieses Urteil vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung festgestellt -  und Lingens eine „gerechte Genugtuung“ von über 280.000 Schilling, zahlbar von der Republik Österreich, zugesprochen. - © Foto:  picturedesk.com / KURIER / Bissuti Kristian, Bissuti Kristian

Peter Michael Lingens: „Auch Kreisky wurde ein biss’l ein Antisemit“

19451960198020002020

Die Biografie von Journalistendoyen Peter Michael Lingens ist eine spannende Zeitreise durch österreichische, globale und auch persönliche Krisen.

19451960198020002020

Die Biografie von Journalistendoyen Peter Michael Lingens ist eine spannende Zeitreise durch österreichische, globale und auch persönliche Krisen.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Titel des Buches klingt anmaßend: „Zeitzeuge eines Jahrhunderts“. Auch der Untertitel entbehrt jeder Bescheidenheit: „Eine Familiengeschichte zwischen Adolf Hitler, Bruno Kreisky, Donald Trump und Wladimir Putin“. Aber der Journalist Peter Michael Lingens, der im Alter von 84 Jahren seine durchaus spannende Biografie vorlegt, hat sicherlich tieferen Einblick in die Geschichte Österreichs und Europas genommen als so manche andere Zeitzeugen.

Wegen persönlicher Kontakte kann er auch bei globalen Krisen – vor allem beim Nahost-Konflikt – mitreden. Der langjährige Herausgeber und Chefredakteur des Profil und jetzige Kolumnist beim Falter war mit Simon Wiesenthal und mit einem engen Vertrauten von PLO-Chef Jassir Arafat, Issam Sartawi, befreundet. Der Arzt Sartawi setzte sich in den 1980er Jahren für eine Friedenslösung zwischen Israel und einem Palästinenserstaat ein und wurde deshalb von einem Killerkommando Abu Nidals erschossen. Nach dem Attentat auf den Wiener Stadtrat Heinz Nittel (SPÖ) durch diese Splittergruppe landete auch Lingens auf einer Todesliste Abu Nidals. Profil hatte über die Täterschaft der in Damaskus angesiedelten Terrorgruppe berichtet, als andere Medien noch eine Eifersuchtstat nicht ausschließen wollten.

Das Drama in Nahost

So kann Lingens den Nahost-Konflikt in mehreren Kapiteln seines Buches mit Insiderwissen beschreiben. Er sieht „Israels zentrales Problem“ in der erstarkten Macht der Ultrareligiösen: „Fanatische Religion ist immer und überall – vom Iran der Mullahs bis zu Donald Trumps USA – das größte Hindernis für Vernunft. Spätestens in dem Moment, in dem religiöse Parteien als Zünglein an der Waage die Politik einer Regierung entscheiden, wird es lebensgefährlich.“ Nach dem Oslo-Abkommen hätte Israel alles tun sollen, um einen Palästinenserstaat zu ermöglichen. „Aber es tat mit dem Siedlungsbau das Gegenteil und die Hamas tat das Gleiche, indem sie nicht aufhörte, Israel mit Raketen zu beschießen und Attentate durchzuführen.“ Lingens’ Freundschaft zu Simon Wiesenthal war einer der Gründe für die harte Kritik an Bruno Kreisky: Dessen haltlose und unbewiesene Vorwürfe gegen Wiesenthal, er sei Gestapo-Spitzel gewesen, waren dabei nur ein Motiv.

(Anmerkung der Redaktion: Peter Michael ­Lingens - im großen Bild oben aus dem Jahr 1975 sitzt er vor Gericht auf der Anklagebank - wurde in erster und zweiter Instanz verurteilt, weil er die Spitzelvorwürfe Bruno Kreiskys gegen Simon Wiesenthal als "ungeheuerlich, unmoralisch, opportunistisch" bezeichnet hatte. Erst 1986 wurde dieses Urteil vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung festgestellt - und Lingens seitens der Republik Österreich eine „gerechte Genugtuung“ von über 280.000 Schilling zugesprochen.)

Lingens verzeiht Kreisky bis heute nicht dessen Pakt mit der FPÖ und die sie aufwertende Wahlrechtsänderung. Viele Reformen hätte Kreisky auch mit der ÖVP durchführen können. So aber habe Kreisky die FPÖ salonfähig gemacht, woran Österreich bis heute leide.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung