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Verirrte Wirklichkeit

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Wo liegt in der Vermittlung von Wissen die Grenze zwischen nötiger Vereinfachung und schlichter Verbildung? Noch schwieriger wird diese Frage, wenn versucht wird, Kindern beispielsweise die Welt(politik) der Erwachsenen zu erklären.

Peter M. Lingens hat sich jeden/all mit seiner 1. Osterreichischen Kinderzeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur .JLlex“ dieses ehrgeizige Ziel gesetzt.

Sein Rezept ist — bis jetzt — eigentlich recht einfach. Man nehme einen Leitartikel für das .Profil“, das montags erscheint, und übersetze ihn für ,J£lex“, die Mittwoch auf den Markt kommt, in eine leicht verständliche Kindersprache. Und was zu kompliziert ist, das läßt man weg.

Ein Beispiel möge das verdeutlichen: Unter dem Titel: Begraben sie die Kriegsbeile?“ schreibt Lingens: ,Jm November... treffen einander die beiden mächtigsten Männer der Welt, Ronald Reagan.. und Michail Gorbatschow . . ., um gemeinsam zu beschließen, daß sie den Großteil ihrer Atomraketen zum Teufel werfen.“ Beide, so wird dann präzisiert, schmeißen ihre Mittelstreckenraketen weg. Das ist die sogenannte Null-Lösung. Wenn man das Wegschmeißen der taktischen Atomwaffen dazunimmt, dann ist es eine Doppelnull-Lösung“. Das geht aber nur. meint Lingens, weil Michail Gorbatschow sehr viel gescheiter und wahrscheinlich auch anständiger ist als Leo-nid Breschnew.

Nun, es stimmt ganz gewiß nicht, daß die Supermächte „einen Großteil“ ihrer Waffen wegschmeißen. Doppel-Null umfaßt bekanntlich nur rund vier Prozent des gesamten Atomwaffen-Arsenals. Außerdem hat das Abkommen zwei Klassen von Mittelstreckenraketen gemeint; die taktischen Waffen haben damit nichts zu tun, sie bleiben. Und wenn Lingens einfach behauptet, ein politischer Führer sei anständig oder unanständig, dann erinnert das frappant an jene Blauäugigkeit, die er sonst so gerne Kommunisten oder der Friedensbewegung unterstellt (hat).

Die wirklichen Ursachen wie den seit langem labilen internationalen Kapital- und Geldmarkt oder die gigantische Verschuldung der USA hat Lingens „net amal ignoriert“.

Auch für den „Klex“-Chefredakteur müßte mitunter ein Motto von Ludwig Wittgenstein gelten: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“

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