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Kreisky hat ein Buch geredet

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„Die Zeit, in der wir leben“ (Verlag Fritz Molden, 208 Seiten, öS 198-1978), gerade auf dem Markt erschienenes Buch von Bruno Kreisky, wurde nicht geschrieben; Dieses Buch wurde geredet in Beantwortung von Fragen, die der französische Journalist Manuel, Lucbert an den Bundeskanzler gerichtet hat.

Vielleicht sind Kreiskys „Betrachtungen zur internationalen Politik“ (Untertitel) gerade dank dieser ungewöhnlichen Entstehungsart so interessant: In den Gesprächen, die oft durch monatelange Pausen unterbrochen wurden, nimmt er sich kein Blatt vor den Mund, läßt seinen persönlichen Neigungen (Zeitgeschichte, Entspannung, Naher Osten) ungehemmten Lauf.

Dag Thema Monarchie, Großdeutschland, Austromarxismus entläßt Kreisky nicht aus seinem Bannkreis. „Die Verschweizerung Österreich-Ungarns, die Bildung eines Bundesstaates autonomer Kantone aus der alten Monarchie“, wäre der Traum Renners gewesen. Diese Idee, meint Kreisky, hätte in der Tat Österreich-Ungarn zu retten vermocht: An die 50 Millionen Menschen hätten sich den Kommunismus erspart.

Sehr harte, sicher auch anfechtbare Worte findet Kreisky für die Zeit des Ständestaates: Offenherzig räumt er ein, daß auch Männer wie Otto Bauer

und Karl Renner sich 1938 zum Anschluß bekannt haben. Schuschnigg aber wirft er vor, viel zu einfach aufgegeben haben, und begründet dies: „Das Bürgertum ist politisch immer feig ... Der Bürger kapituliert vor allem und jedem, wenn es dazu kommt.“

In einem Gespräch mit der FURCHE konkretisierte Buch-Autor Kreisky, man hätte den Weg der Koalition versuchen sollen: „Der Versuch wäre es wert gewesen. Wenn man sich die innenpolitische Situation von damals vor Augen hält: Die Christlich-Soziale Partei war eine explizit antinazistische Partei. Die sozialdemokratische Partei war eine explizit antinazistische Bewegung. Im schlechtesten Fall hätten diese beiden Parteien 75 Prozent des Volkes hinter sich gehabt. So eine Regierung wäre halt nicht so leicht überrannt worden.“

Als Beweis für die bessere Widerstandsfähigkeit von Regierungen auf breiterer Basis führt Kreisky Österreichs Entwicklung nach 1945 an: „Die große Koalition hat in der Zweiten Republik die Verwandlung Österreichs in einen kommunistischen Staat trotz zehnjähriger sowjetischer Besatzung verhindert. Keine Macht der Welt hätte das sonst verhindert, wie die DDR zeigt“, meint Kreisky zur FURCHE.

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