Ein historischer Akt der Versöhnung

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Die Sozialdemokratie hat bis zum Handschlag zwischen Otto Habsburg und Bruno Kreisky eine unversöhnliche| Haltung gegenüber dem Hause Habsburg gezeigt. Angst vor der Tradition und Größe spielten dabei eine Rolle.

Ich möchte beginnen mit meinem persönlichen Zugang zu Habsburg. Ursprünglich habe ich die sozialdemokratische Linie als Parteiphilosoph, der ich war, lange Zeit mitgetragen. Ich habe 1963 in einem Beitrag in der Zeitschrift Zukunft, dem theoretischen Organ der Partei, sogar noch den späteren Justizminister Christian Broda unterstützt. Bis ich dann durchschaut habe, dass die Habsburg-Frage und der gesamte Parteitag von Bruno Pittermann und Broda benützt, ja missbraucht wurden, um von innerparteilichen Konflikten und Problemen abzulenken.

Zehn Jahre später, 1973, habe ich mich neuerlich gründlicher mit der Thematik befasst. Ein in London lebender österreichischer Historiker hatte nämlich in einem Artikel behauptet, die Sozialdemokratie sei schon immer gegen die Monarchie gewesen, gegen den Vielvölkerstaat, habe dies aber wegen der Zensur verschleiert. Ich habe die Gegenthese aufgestellt und ihn aufgefordert, ein Dokument oder einen programmatischen Brief vorzulegen, der dies beweise. Er konnte mir keine Antwort geben. Also veröffentlichte ich einen Artikel unter dem Titel "Gab es eine k. u. k. Sozialdemokratie?“

Die Zukunft und Habsburg

In dem Text vertrat ich die These, die Sozialdemokratie sei weder gegen den Vielvölkerstaat gewesen noch für die Abschaffung der Monarchie. Sie hat auch diesen sogenannten Hofgang veranstaltet, bei dem sich die Präsidenten des Parlaments beim Kaiser eingefunden haben. Diesen Artikel habe ich an Otto Habsburg nach Pöcking gesandt.

Habsburg hat geantwortet, und zwar nicht nur in ein paar höflichen Zeilen sondern mit einer langen Auseinandersetzung. Der Kernsatz seines Schreibens lautete: Es tut ihm leid, dass sein seliger Vater das nicht mehr erlebt hat, dass so ein Habsburg-freundlicher Artikel in der Zukunft, einem sozialdemokratischen Organ erschienen ist.

Damit wollte ich mich nicht anbiedern an das Erzhaus. Ich wollte nur die historischen Fakten klarstellen. Die Sozialdemokratie hat dann nämlich in der Ersten Republik ihre Geschichte verfälscht. Sie hat sich geradezu hineingesteigert, sie habe die Monarchie gestürzt und die Republik errichtet. Das stand auch so im Linzer Programm. In Wirklichkeit ist ihr das mehr oder weniger in den Schoß gefallen.

Gut erinnere ich mich an meinen Lehrer August Maria Knoll, der mich in das akademische Leben eingeführt hat. Er hat stets betont, nichts habe der Sozialdemokratie bei den kleinbürgerlichen Schichten so sehr geschadet wie deren Hetze gegen das alte Österreich. Gerade diese Stimmen wären ja bei der Sozialdemokratie gut aufgehoben gewesen, man denke etwa an den Mieterschutz. Diese Hetze gegen das alte Österreich stand jedenfalls in Widerspruch zu damals gezeigten Haltung, die ja lammfromm war. Diesen Widerspruch wollte ich aufzeigen.

Dass man das alte Österreich zerstört hat, war eine der größten Fehlleistungen der Geschichte. Vor allem eine des Nationalismus, dessen Anhänger glaubten, einer neuen Freiheit entgegenzugehen. In Wirklichkeit haben sie der Unfreiheit Vorschub geleistet. Im Vertrag von Versailles war dann das Unheil schon angelegt, das dann gekommen ist. Der Revanchismus war der Keim des Hitlertums.

Es hat noch unter Kaiser Franz Josef und dann unter Kaiser Karl sowie später einiges an Fortschritten gegeben - etwa Kündigungsschutz, Zinsstopp -, von denen es möglich gewesen wäre, sie auch im Rahmen einer Monarchie fortzuführen.

Gerechtigkeit für die Monarchie

Es ist ein wiederholt begangener Irrtum, ob absichtlich oder unabsichtlich, Monarchie und Demokratie als Gegensätze anzusehen. Die Monarchie ist, wie wir wissen, sehr wohl mit Demokratie vereinbar. Monarchie und Republik sind die Gegensätze. Obwohl ich heute Republikaner bin, bin ich ich doch der Meinung, man solle auch der Monarchie Gerechtigkeit widerfahren lassen und ihre Leistungen anerkennen. Es ist nicht nur Nostalgie, wenn man einiges würdigt. Natürlich haben das Haus Habsburg und vor allem der Adel große und grobe Fehler begangen, etwa rechtzeitig fällige und notwendige Reformen durchzuführen. Knoll, mein erwähnter Lehrer, hatte stets gemeint, die Monarchie sei letztlich an den deutschen und ungarischen Herrenvölkern gescheitert. Diese hätten die slawischen Völker unterdrückt und damit ein breites Fundament des Staates zerstört. Kaiser Franz Josef I. hätte jedenfalls die Kriegserklärung nicht unterschreiben sollen. Da war er schlecht beraten.

In der Ersten Republik galt für die Sozialdemokratie jedenfalls gegenüber dem Hause Habsburg eine unversöhnliche Haltung. Eine Abkehr davon und eine Wende zu einer anderen waren in der Ersten Republik einfach nicht möglich. Otto Habsburg wurde ja rasch eine große, polyglotte Persönlichkeit und hätte in dieser Zeit bereits viel tun können für Österreich. Ich bin seiner Meinung, dass es gut gewesen wäre, 1938 - wenn auch nur symbolisch - Widerstand zu leisten. Es wäre Blut geflossen, und Österreich wäre untergegangen. Aber die Geschichte wäre anders verlaufen. Darin war ich mit Otto Habsburg bei einer späteren Podiumsdiskussion einig.

Es bedurfte jedenfalls einer langen Entwicklung in der Sozialdemokratie, bis es zuerst zu einer Annäherung und dann zu einer Aussöhnung mit Habsburg gekommen ist. Das gelang erst unter Bundeskanzler Bruno Kreisky in den siebziger Jahren. Damals erfolgte dieser historische Handschlag, nach dem Otto Habsburg längst seine Ansprüche aufgegeben und seine Verzichtserklärung unterschrieben hatte. Die Sache war auch Kreisky keineswegs ein Herzensanliegen.

Angst und Ressentiments

Im Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung in den Sechzigern und den Siebzigern gebrauchte Günther Nenning einmal den Ausdruck "Habsburg-Kannibalismus“. Dieses Wort war durchaus am Platz. Es war insgesamt schade, dass es so war. Nicht nur für die Sozialdemokratie, denn Otto Habsburg hätte für Österreich mehr in der Welt bewirken können, als er es als bayrischer Abgeordneter zum Europäischen Parlament vermochte. Aber dafür waren die Ressentiments in der Partei gegenüber Habsburg zu groß. Und natürlich auch die Angst vor der historischen Tradition, vor der Größe dieses Mannes. Er war wie gesagt polyglott und hat darin, vielleicht mit Ausnahme Kreiskys, alle anderen österreichischen Politiker stets bei Weitem übertroffen.

Nun wird Otto Habsburg zu Grabe getragen. Als das Requiem für seine Mutter Zita gefeiert wurde, hat Helmut Zilk, damals Wiener Bürgermeister, daran teilgenommen. Dafür wurde er in seiner Partei ziemlich angefeindet. Ich habe ihn publizistisch unterstützt, weswegen er mich sogar in das Rathaus einlud. Alle hätten ihn im Regen stehen gelassen, lediglich ich hätte ihn verteidigt. Dabei sei doch Zitta eine Bürgerin Wiens, der ehemaligen Reichs- und Residenzhauptstadt gewesen. Daher gebühre ihr diese Ehre. Heute geht der Bundespräsident zum Requiem. Es ist ein Akt der Versöhnung, es ist eine Verbeugung. Es hat historischen Charakter.

Der Autor lehrte bis zu seiner Emeritierung 2001 Gesellschaftslehre an der Universität Wien

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