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„Bürger unter Bürgern“

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Der sechzigste Geburtstag Dr. Otto Habsburgs ruft eine Reihe von Erinnerungen wach.

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Der sechzigste Geburtstag Dr. Otto Habsburgs ruft eine Reihe von Erinnerungen wach.

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Zum erstenmal bin ich ihm bei einer Tagung der Abendländischen Akademie in Eichstädt begegnet, es mag Anfang der fünfziger Jahre gewesen sein. Ich überlegte lange, worüber unser erstes Gespräch stattfinden sollte. In der Mittagspause ergab es sich, daß wir nach dem ersten Händedruck und Begrüßungswort einen Spaziergang durch die Straßen und Plätze des alten Eichstädt machten und uns zwanglos unterhielten. Natürlich über Österreich, unser Vaterland.

Ich meinte, das biete die beste Gesprächsbasis für zwei Österreicher, die zwar ganz verschiedener Herkunft seien und denen ein völlig ungleiches persönliches Schicksal zuteil geworden sei — die aber, fast gleichaltrig, die gleiche Geschichtserfahrung seit ihren Jugendtagen besaßen; wenn auch aus verschiedenen Blickpunkten, erlebten wir den Zusammenbruch der Monarchie, die Anfangsschwierigkeiten und Wirren der Ersten Republik, die nationalsozialistische Zeit, den zweiten Weltkrieg und das Wiedererstehen des freien Österreich, den Staatsvertrag, die Neutralität, die Bemühungen

Österreichs um eine ihm gemäße Teilnahme an der Integration Europas. Wir fanden uns aber neben dieser gemeinsamen Geschichtserfahrung vor allem in der Liebe zu Österreich, im Glauben an seine Zukunft und in der Bereitschaft, jeder an seinem Platz für unser Land zu arbeiten, zu seinem Ansehen in der Welt beizutragen und Österreichs Zukunft sichern zu helfen.

So unterhielten wir uns lange, als auf einmal ein Platzregen niederging. Was tun? Dr. Otto Habsburg zeigte auf seinen grünen Mercedes-Diesel, der in der Nähe stand und lud mich ein, im Wagen neben ihm Platz zu nehmen. Dort setzten wir unser Gespräch fort. Die Frage seiner Heimkehr war damals noch nicht aktuell und fand meines Erin-nerns auch keine Erwähnung.

Als Dr. Otto Habsburg Anfang der sechziger Jahre die Erklärung nach dem Habsburgergesetz abgab, um seine Heimkehr nach Österreich zu erwirken, und über diese Frage eine Regierungs-, wenn nicht gar Staatskrise auszubrechen drohte, zählte ich zu jenen, die keine derartigen Befürchtungen hegten.

Ich war der festen Überzeugung, daß sich das damalige Haupt des Hauses Habsburg in Österreich nicht als solcher in erster Linie gerieren, sondern als ,3ürger unter Bürgern unserer Republik“ verhalten und daß seine Rückkehr dem Lande nur Ehre und Nutzen, keineswegs aber Gefahr und Schaden bringen werde. Für mich war diese Frage in erster Linie eine rechtliche, in weiterer Hinsicht freilich auch eine historische. Die von der österreichischen Verfassung gewährleistete Rechtsgleichheit aller Staatsbürger — „ohne Ansehen des Standes“ — hatte in diesem Falle zu gelten wie in jedem anderen.

Die historische Bedeutung der Rückkehr aber erblickte ich in der Chance einer weiteren Schließung alter Geschichtswunden an der Gestalt des neuen Österreich. Nach der Versöhnung der beiden großen politischen Parteien, nach dem dauerhaften sozialen Frieden zwischen den in der Paritätischen Kommission vereinten Sozialpartnern, nach der im ökumenischen Geist erfolgten Aussöhnung zwischen Katholiken und Protestanten, Christen und Juden in unserem Lande, war nun auch die Aussöhnung zwischen den Vertretern der Republik und dem Hause Habsburg, dem Österreich vo-viel verdankt, an der Zeit. Als Symbol dafür mochte die Heimkehr Otto Habsburgs gelten.

Am Beginn der siebziger Jahre fragten wir uns, ob sich die Härte der Auseinandersetzungen über dieses Thema, die unbeirrte Verfechtung des Rechtsstandpunktes und das Bemühen um einen gerechten historischen Ausgleich in der Habsburgfrage gelohnt habe. Ich möchte das bejahen. Was wir uns erwartet hallen, ist in vollem Maße eingetreten: Der innere Friede ist durch die Anwesenheit Dr. Otto Habsburgs überhaupt nicht gestört worden, seine bescheidene, noble Art des Auftretens, sein hoher Geist, der aus zahlreichen Büchern und Vorträgen spricht, hat nicht nur sein persönliches Ansehen im In- und Ausland — wie lange ist es her, daß ein Österreicher Mitglied der Aca-demie Francaise wurde! — gehoben, sondern auch zum Ansehen Österreichs selbst beigetragen. Die Republik hat keinen Schaden erlitten, das Vaterland hat gewonnen.

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