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Reisepaß 88.875-24 66

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Einem Österreicher wurde der Paß umgetauscht. Das kommt täglich ein dutzendimal vor und macht in der Regel keine Schlagzeilen. Wenn es sich aber bei jenem Staatsbürger, dem ein funkelnagelneuer Paß ausgefolgt wurde, um den ältesten Sohn des letzten Kaisens von Österreich handelt, so ist dies schon etwas anderes.

Die Vorgeschichte ist bekannt. Die Verzichterklärung vom Mai 1961, das Zögern der damaligen Regierung, ein solches „heißes Eisen“ anzufassen und vor den Hauptausschuß des Nationalrates zu tragen, die Anrufung der höchsten Gerichte durch den Antragsteller, die Unzuständigkeitserklärung des Verfassungsgerichtshofes, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes, schließlich die dramatische „Junischlacht“ des Jahres 1963, in der Sozialisten und Freiheitliche ein parlamentarisches Sperrfeuer gegen den Wunsch des Kaisersohnes legten, seine Beziehungen zum Land seiner Väter zu normalisieren.

Drei Jahre später sieht die Situation anders aus. Politisch, aber auch psychologisch.

Der Beschluß des Innenministers — über den Schönheitsfehler der bis zur letzten Stunde durchgehaltenen Geheimniskrämerei wollen wir hier nicht reden — wurde zwar von der heute in Opposition stehenden SPÖ nicht mit Beifallstürmen aufgenommen. Die Reaktionen aus ihren Reihen sind jedoch bedeutend realistischer und unterscheiden sich merklich von der emotionell aufgeladenen Stimmung vor drei Jahren.

Dr. Otto Habsburg-Lothringen ist seit vergangenem Mittwoch kein Emigrant wider Willen mehr. Er ist ein Österreicher mit derzeit ständigem Wohnsitz im Ausland wie Tausende andere auch. Ein menschlich tragisches Schicksal scheint nach beinahe vier Jahrzehnten eine gute natürliche Wendung zu nehmen. Endet damit auch die wie ein Schatten auf unserem Gemeinwesen lastende „Habsburgerfrage“? Wir möchten es hoffen.

Die Republik hat mit der Ausfolgung des Reisepasses Nummer 88.875-24 66 an den ältesten Sohn des letzten Kaisers von Österreich das ihre getan, um die vielleicht letzte offene Frage der Vergangenheit zu bewältigen. Was haben wir schon in den letzten zwei Jahrzehnten für Berge abgetragen und Täler zugeschüttet, um der Zukunft den Weg — einen besseren Weg — zu bahnen! Jene Kreise unserer Bevölkerung, die einmal im Banne einer

österreichfeindlichen Ideologie standen, wurden schon lange in die Gemeinschaft unseres Staates integriert. Kirche und Sozialismus begegnen sich heute in Österreich in einem „neuen Klima“. „Austrofa- schisten“ und „Austrobolschewiken“ haben sich schließlich spät aber doch entschlossen, gemeinsam au den Gräbern der Opfer des Bürgerkrieges von 1934 zu gehen. Das alles und noch manches andere sind heute „Selbstverständlichkeit“. Der in der Zweiten Republik herangewachsenen Generation scheint es nie anders gewesen. Wird man sich in zehn Jahren ebenso wundern, daß einmal eine „Habsburgerfrage“ die Gemüter erhitzt hatte?

Die Republik hat erfreulicherweise einen entscheidenden Schritt zur endgültigen Liquidierung dieses Fragenkomplexes getan. Nun ist — warum es verschweigen — Dr. Otto Habsburg am Zuge. Er wird sicher nach seiner ersten Fühlungnahme mit dem österreichischen Heimatbaden seinem Österreichbild neue Lichter aufsetzen können. Es gehört nun einmal zu den Tragödien einer jeden Emigration, daß in ihr einer einseitigen Information, auch wenn man ihr widerstrebt, schwer aus dem Weg gegangen werden kann. Die „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen der Republik und dem Kaisersproß erfordert vom letzten auch ein nicht geringes Maß an Aufnahmebereitschaft der neuen Situation. Die Gespenster, die in den letzten Jahren die Szene so oft verdüsterten, sind nur auf Urlaub. Sie können jederzeit neu beschworen werden. Jeder Schritt, den der älteste Sohn des letzten Kaisers von Österreich tut, wird hier nicht nur von einer wohlwollenden Kritik begleitet werden. Jedes Wort, das er spricht beziehungsweise das Männer, die sich auf sein Vertrauen berufen, verbreiten, kommt auf der Goldwaage zu liegen. Auch jenseits der österreichischen Grenze wird man lange Ohren haben. Die wahren Freunde wollen daher Dr. Otto Habsburg aus den politischen Auseinandersetzung herausgehalten wissen. Sie wünschen dies in seinem persönlichen Interesse, wie auch in dem, das die „Kleine Zeitung“ die Lebensinteressen des österreichischen Volkes nannte.

Als Dr. Habsburg vor fünf Jahren seine Verzichtenklärung abgab, zeichneten wir an dieser Stelle als Modell das Leiben und Wirken des Herzogs von Hohenberg, dem niemand in der Zweiten Republik bis sehr weit nach links seine Reverenz versagte. Das wurde nicht überall richtig verstanden. „Kann man, einem Staatsbürger zumuten, auf eines seiner Rechte zu verzichten?“ Dekretieren kann man diesen Verzicht nicht, aber zumuten, das kann man ihn schon. Die Kirche mutet den Bischöfen und Priestern einen ähnlichen Verzicht auf politisches Engagement zu. Dieser Verzicht trägt reiche Früchte.

Kann es aber ein höheres Ziel für Dr. Otto Habsburg geben, als gerade durch einen solchen Akt den vornehmsten Beitrag dazu zu leisten, daß nie und nimmermehr in Österreich die Republik gegen die Tradition mobilisiert werden kann, sondern daß es für uns und für künftige Geschlechter nur noch ein einziges Österreich gibt, das weder Schönbrunn noch Kaprun missen will. Wir können uns kein höheres Ziel denken.

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