Vielschichtiges Architektur-Kaleidoskop

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Die Ausstellung "Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959-2019" im Architekturzentrum Wien reflektiert die Architektur im Spiegel des Archivs von Gründungsdirektor Dietmar Steiner. Sie zeigt: Architektur ist längst nicht am Ende.

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Die Ausstellung "Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959-2019" im Architekturzentrum Wien reflektiert die Architektur im Spiegel des Archivs von Gründungsdirektor Dietmar Steiner. Sie zeigt: Architektur ist längst nicht am Ende.

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In einem Container im Hof vor dem Architekturzentrum Wien (Az W) läuft derzeit der Film "Dietmar Steiner - Zeitreisen" von Andrea Maria Dusl. Rund um die Uhr kann man hier dem Gründungsdirektor des Az W zuhören, wie er aus seinem Erfahrungsschatz plaudert und über Baukultur reflektiert. So betrachtet Steiner den hohen Standard des sozialen Wohnbaus in Wien als Alleinstellungsmerkmal der Stadt.

"Der Film war nicht meine Idee, die Ausstellungsgestalter haben darauf bestanden", stellt er bei der Pressekonferenz zur Ausstellung "Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959-2019" klar. Sie beruht auf einer Vorlesungsreihe, die Steiner in Linz gehalten hat und schöpft aus dem Fundus seines Archivs. Die drei Kuratorinnen Karoline Mayer, Sonja Pisarik und Katharina Ritter destillierten das Material zu einer vielschichtigen, bezugsreichen Ausstellung. An die tausend Exponate -Filme, Modelle, Zeitschriften, Fotografien, Artikel -illustrieren in 24 thematischen Stationen wesentliche Strömungen, Persönlichkeiten und Phänomene aus 60 Jahren Architekturgeschichte. Außerdem ergänzten die Kuratorinnen dieses schillernde Kaleidoskop der historischen Rückschau um zeitgenössische Positionen, die in die Zukunft weisen: Architektur ist Material, Gesellschaft, Geschichte, Gesetz.

24 facettenreiche Stationen

Die Ausstellungsgestaltung des Architekturbüros BWM Architekten bewältigt die Fülle an Material souverän: Die 24 Stationen stehen als facettenreiche, mit Exponaten und Abrissblöcken bestückte Rigips-Platten-Stapel am Boden, während die Architektur der Gegenwart an den Wänden ein umlaufendes, vertikales Band bildet, das ebenso aus der Historie schöpft wie es über sie hinausweist. Beide Ebenen treten so ständig in einen Dialog. "Ich bin nicht nur gerührt, ich bin zutiefst beeindruckt, was hier an Material und Analyse entstanden ist", streut Steiner dem Team Rosen.

Steiners Leidenschaft für Science-Fiction-Filme ist die Station zum Film "Blade Runner" von Ridley Scott zu verdanken -der viele Architekten beeinflusste. Zu sehen sind nun ein Modell der "Metropolis" von Fritz Lang sowie Skizzenbücher, Devotionalien, Filmausschnitte. "Blade Runner" spielt 2019 -dem Endpunkt der Ausstellung. Ihr Beginn 1959 machte den Weg frei für Neues: Damals löste sich der CIAM (Congrès International d'Architecture Moderne) auf, stürzte so die Moderne in eine tiefe Krise. 1959 kam auch der Strukturalismus auf, dem ebenso eine Station gewidmet ist wie dem japanischen Metabolismus und der "Revision der Moderne". Sie gedenkt der Eröffnung des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt am Main: In der von Oswald Mathias Ungers umgebauten Villa feierte Gründungsdirektor Heinrich Klotz die Postmoderne. Ausgestellt waren damals neben vielen anderen Hans Hollein, Haus-Rucker-Co und Rem Koolhaas.

In unterschiedlichen Kontexten

Letzterem begegnet man auch in den Stationen "Superdutch" und "Global Business." Der Stapel "The Inflatable Moment" zeigt die immer wieder erfrischenden experimentellen Ansätze der 1960er und 1970er, als Archigram ihre Walking Cities propagierten und das "Austrian Phenomenon" aufblühte. Hier ist auch das "Gelbe Herz" aus dem Jahr 1968 von Haus-Rucker-Co als Modell eines "pulsierenden" Raumes vertreten. Auch Hans Hollein begegnet man wieder. Er steuert außerdem den "kleinen Architekturen", die eine Zeitlang die Wiener Szene charakterisierten, hochkarätige Pretiosen wie das Kerzengeschäft Retti (1968) bei. Ein Modell zeigt den Laden im Idealzustand. Viele Architekten lassen sich so in unterschiedlichen Kontexten aufspüren. Die Station "Sanfte Stadterneuerung" erinnert mit einem originalen Modell des Planquadrats, einer TV-Dokumentation und anderen Objekten daran, dass auch in Wien Menschen um den Verbleib in ihren Häusern kämpfen mussten.

Das Thema kehrt in "Architektur und Gesellschaft" wieder: Im Projekt "Granby Four Street" in Liverpool gelang es Bewohnern, den Abriss ihrer Reihenhäuser abzuwenden und mit dem Büro Assemble eine Vision für ihr Quartier zu entwickeln. Unter anderem stellten sie in Workshops selbst Interior Projekte her. Das Projekt erhielt den renommierten "Turner Prize" für zeitgenössische Kunst. Architektur ist nicht am Ende. Sie kann immer noch Wunder wirken.

Am Ende: Architektur bis 20. März, Architekturzentrum Wien Mo-So, 10-19 Uhr, www.azw.at

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