Dietmar Steiner - © Foto: David Payr / laif / picturedesk.com

Dietmar Steiner: Am Ende - Architektur

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Mit Buch und Film wird der Abschied von Direktor Dietmar Steiner im Architekturzentrum Wien gefeiert. Ein Gespräch über Einst und Jetzt.

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Mit Buch und Film wird der Abschied von Direktor Dietmar Steiner im Architekturzentrum Wien gefeiert. Ein Gespräch über Einst und Jetzt.

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Die Amtszeit von Dietmar Steiner, dem Gründungsdirektor des Architekturzentrums Wien (Az W), geht zu Ende. Am 11. November wird sein Buch "Steiner's Diary - über Architektur seit 1959" präsentiert. Anlass für ein Gespräch.

DIE FURCHE: Die Eröffnungsausstellung des neuen Architekturzentrums im Jahr 2001 hieß: "Sturm der Ruhe. Was ist Architektur?" Sie war sehr poetisch - ein Statement für das Stille, Unspektakuläre. Die letzte Ausstellung Ihrer Ära heißt: "Am Ende: Architektur". Das klingt ähnlich substantiell. Lässt sich da ein Bogen spannen?

Dietmar Steiner: Was beide Ausstellungen verbindet, ist eine irre lange Vorlaufzeit. Ende der 1990er kam der Minimalismus sehr stark auf. Die Frage lautete: Was ist da noch Architektur nach der opulenten Postmoderne? Das führte uns dazu, in der Eröffnungsausstellung ganz abstrakt und grundsätzlich zu thematisieren: Was ist Architektur überhaupt? Welche Atmosphären kann sie erzeugen? Wir haben einen ganzen Kubikmeter Weißtannenholz in die Halle gelegt und archetypische Situationen erzeugt. Ich war sehr glücklich damit, aber die Ausstellung hat extrem polarisiert.

DIE FURCHE: "Am Ende: Architektur" - das klingt ziemlich resignativ.

Steiner: Für mich war ja mit ein Grund, in Pension zu gehen, ein Pessimismus über die Zukunft der Architektur. Sie interessiert mich nicht mehr. Das konnten die drei Kuratorinnen - Katharina Ritter, Sonja Pisarik und Karoline Mayer - nicht akzeptieren und haben daher ein Konzept in zwei Teilen gemacht. Einerseits die Referenzen der letzten 50 Jahre aus meinem Archiv - aber auch aktuelle Projekte und Positionen von Architektenteams, die ich teils gar nicht kannte. Das finde ich großartig, dass sie diese Recherche übernommen haben und sich trauten, Statements zu setzen. Sie haben mir damit selber wieder Hoffnung gegeben.

DIE FURCHE: Ich will noch einmal den Bogen spannen: "Sturm der Ruhe" - was wollten Sie da für ein Statement abgeben und wofür könnte die aktuelle Ausstellung stehen?

Steiner: In einem Satz: meine Erfahrung der letzten Jahrzehnte. Darum finde ich auch die Konzeption mit den aktuellen Positionen so intelligent. Du kannst ohne die Geschichte der Architektur nicht Architektur machen. Wir produzieren zur Zeit - und da sind sich viele mit mir einig - die erste Generation an Architekturstudentinnen und -studenten, die von der Architekturgeschichte absolut keine Ahnung haben. Das gab es bisher noch nie. Zurückgebunden auf "Sturm der Ruhe": In den Nullerjahren ist diese gigantische Spektakel-Star-Architektur global verstreut worden. Das war eine Stellungnahme damals - jetzt rückinterpretierend gesagt - überlegt noch einmal, was Architektur überhaupt ist, bevor ihr alles der Software übergebt.

DIE FURCHE: Was ist Architektur?

Steiner: Ich habe versucht, es in meinem Buch zu beantworten. Das ist in sechs Tage gegliedert und der siebte Tag ist die Ruhe, der Sonntag, das ist ja ein biblischer Aufbau. Am sechsten Tag endet und am siebten Tag beginnt, worum es in der Architektur geht: um Atmosphären, Stimmungen, um die Interaktion zwischen Mensch und Raum: Was tut sich da? Das ist die Frage, die man zu stellen hat.

Das schönste Projekt meines Lebens waren die Bushaltestellen im Bregenzerwald. Wo alle – die, die es finanziert haben, die, die es gebaut haben, die, die es gebrauchen – glücklich damit sind.

Dietmar Steiner

DIE FURCHE: 1993 wurde das Az W gegründet ...

Steiner: Die Gründung des Az W ist ein Ausläufer der Postmoderne der 1980er-Jahre, wo viele Institutionen wie das "nai", das Netherlands Architecture Institute, das Deutsche Architekturmuseum, das Schweizerische Architekturmuseum - damals noch Architekturmuseum Basel - gegründet wurden. Als die Architektur zur Kulturindustrie wurde und wie jede Kulturindustrie ihre entsprechenden Institutionen bekommen hat.

DIE FURCHE: Mit welchen Zielen sind Sie angetreten?

Steiner: Mit gar keinen. Im Raumprogramm der ersten Stufe des Wettbewerbs zum Museumsquartier war ein großes Architekturmuseum vorgesehen, aber keiner hat sich Gedanken gemacht, wer das erfinden könnte. Diese Idee ist in der zweiten Stufe gefallen, ich bin dann von Rudolf Scholten, Ursula Pasterk und Hannes Swoboda eingeladen worden, ein Konzept für so eine Institution wie das Az W zu erstellen. Da waren die berühmten vier Säulen enthalten: Architektur präsentieren, diskutieren, publizieren, archivieren. Ganz stark ist in den 1990ern die Vermittlung dazu gekommen. Ich ahnte bald, dass die Politiker dachten: Geben wir dem Steiner eine Architekturgalerie mit einer Halbtagssekretärin und dann wird er alle paar Monate einen Architekten ausstellen. Dem war natürlich nicht so. Wir haben versucht, entlang der Entwicklung der Architektur zu arbeiten, wir waren nie ein Schaufenster der Wiener Architektur. Wir haben nie Leuten wie COOP Himmelb(l)au oder Hans Hollein eine Einzelausstellung gewidmet. Die gehören ins MAK. Was soll der Hollein auf 300 Quadratmetern?

DIE FURCHE: Es gehört zum Profil des Az W, die österreichische Architektur zu reflektieren. Ich denke an Ausstellungen wie "The Austrian Phenomenon" oder die "a_schau" zur österreichischen Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts.

Steiner: Irgendwie wollten wir eine Architekturforschung etablieren, die es de facto nicht gibt. Der Katalog zur "Austrian Phenomenon"-Ausstellung ist der Werkkatalog dieser Epoche. Die "Soviet Moderne" war ebenso eine dreijährige Forschungsarbeit. Dass wir dank der Schenkung von Klaus Steiner "Die Perle des Reiches" machen konnten - das war auch eine wissenschaftliche Arbeit. Viele unserer Eigenproduktionen waren Forschungsprojekte. Anfangs wollten wir ja keine Sammlung - denn erstens haben wir die Ressourcen nicht und zweitens haben wir uns als Wissenszentrum gesehen, das nur wissen muss, wo etwas ist. Bis wir bemerkt haben, dass keiner etwas tut. In den 1990ern haben wir beschlossen, eine Sammlung aufzubauen. Damals hörten viele Büros aus der Nachkriegszeit auf. Da wäre die Nachkriegsgeschichte der Architektur verloren gegangen. Denn es geht nicht nur um ein paar schöne Handzeichnungen von Hollein oder Holzmeister, sondern um Werkverzeichnisse als kulturelles Erbe dieser Republik und nicht nur als Einzelkünstlerdarstellung. Die Sicherung dieses architektonischen Erbes ist ein dickes Standbein des Az W. Man sieht immer nur die Ausstellungen, aber nicht diesen Riesenapparat, der uns wirklich zum österreichischen Architekturmuseum macht, das als solches von der Politik nie anerkannt wurde. Das werde ich zum Abgang noch einige Male betonen.

DIE FURCHE: Sie haben erwähnt, dass Sie Architektur nicht mehr interessiert. Ich finde das erschütternd. Wie kommt es nach 25 Jahren intensiver Beschäftigung mit Architektur so weit?

Steiner: Am sechsten Tag in meinem Buch steht der Satz: An der Zukunft der Architektur interessiert mich nur mehr deren Vergangenheit. Warum? Wir haben jetzt wieder eine Situation, die mir aus den 1970er- und 1980er-Jahren bekannt war. Es herrscht wieder die Bauindustrie über die Architektur, die grundsätzlichen Fragen wandern in das kleine, individuelle Projekt. Das ist ein historisches Déjà-vu. Kleine Anekdote: Ich stehe im Vorstandszimmer der Strabag, die Herren zeigen auf den DC-Tower und sagen: Auf die Fassaden sind wir stolz, das ist unser Patent. Welcher Architekt bei einem Business-Bau zeichnet noch einen Fassadenplan? Das macht die Bauindustrie. Und bestimmte Dinge sind eben nur möglich - Zaha Hadid ist ein Beispiel dafür -, weil die Bauindustrie das heute kann. Meine Frage ist: Muss sie das können? Das beantwortet das letzte Gespräch im Buch mit Anna Heringer.

DIE FURCHE: Aber unkonventionelle neue Formen und Geometrien waren immer ein Thema, um neue Raumerfahrung zu generieren.

Steiner: Wenn ich sie mit Materialität in Verbindung bringe. Eine freie Form in Lehm von Anna Heringer ist für mich etwas anderes als irgendwelche Aluminiumgebirge in China.

DIE FURCHE: Wo sehen Sie das Potential der Architektur, sich doch weiter zu entwickeln?

Steiner: Auf eine Situation und eine Aufgabe angemessen zu reagieren, das wäre schon genug. Das schönste Projekt meines Lebens waren die Bushaltestellen im Bregenzerwald. Wo alle - die, die es finanziert haben, die, die es gebaut haben, die, die es gebrauchen - glücklich damit sind. Das ist das, was wir in Zukunft erreichen sollten. Es geht um Wohlbefinden und Zufriedenheit, und nicht um Aufgeregtheit, Sehstörung und Gleichgewichtsprobleme.

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