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PROTEST gegen Spitzhacken

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Außer Programm zu den Wiener Festwochen, als Ostinato in anderer Tonart als die offiziellen Harmonien, wurde die Meidlinger Lobkowitz- brücke vor einigen Tagen zum Hyde Park Corner. Vor aufmerksamen Zu hörern, neugierigen. Stoßzeitpassanten des belebten Umschlagplatzes und Adabeis appellierte ein seriöser junger Mann in seriöser Diktion an das Kulturgewissen seiner Heimatstadt: Klaus Weishäupl, 26, Student der Kunstgeschichte, nebenbei Fremdenführer und aus innerster Überzeugung Otto-Wagner-Verehrer. Die beschlossene Demolierung der Stadtbahnstation Meidling, eines der frühesten und zugleich interessantesten Verkehrsbauten des genialen Architekten, war das Signal, das Weis- häupls geistige Privatinitiative aktivierte.

Im Alleingang startete er eine Aktion, durch nichts ausgewiesen, als durch das Ziel, eine Bauschöpfung zu retten, die auf der bereits allzu langen Abschußliste des Rathauses steht. Er schrieb Briefe an eine Reihe von Organisationen, führte Gespräche, ließ Flugblätter und Plakate drucken (Geheimtip für Plakatsammler: Seltenheitswert!) und mietete schließlich .einen Lautsprecherwagen. Die Spesen gingen natürlich zu seinen eigenen Lasten. Alles unter der Devise „Will .Wien den-50. Geburtstag Otto Wagners nur mit der Spitzhacke feiern?“ -

Nun, dieses Wien, soweit es „amtlich" dazu legitimiert wäre, hat sich jedenfalls die Gelegenheit. zu einer jgroßaijgelegten . Otto-Wagner,-Ausstellung entgehen lassen. Nicht so der unentwegte Kulturapostel und Volksbildungspreisträger Diplomingenieur Karl •Gerstmayer. Im seiner „kleinen galerie“ in der Neudeg- gergasse, nahe bei Wagners Sterbehaus, gedachte er mit einer sehr gelungenen . Schau ' des markanten Datums.

Seine Protestkundgebungen hielt Klaus Weishäupl nicht als einsamer Rufer im Rattern der Preßlufthäm mer und dem Lärm des gleichgültigen Alltags. Schriftlich hatten sich mit seinen Bestrebungen solidarisch erklärt: Die Vereinigung bildender Künstler „Wiener Secession“, Ernst Fuchs, die Architekturfakultäten der Technischen Hochschulen Wien und Graz, das Kunsthistorische Institut der Universität Wien und eine große Zahl von Wiener Museumsdirektoren. Der Veranstalter konnte noch eine weitere, sehr gewichtige Botschaft interpretieren: Richard Neutra, Exwiener und architektonische Weltkapazität, hatte die Aktion seiner vollen ideellen Unterstützung versichert.

Schauplatz, Hintergrund und unmittelbares Anschauungsobjekt ergab das Stationsgebäude, nach dem Willen des Magistrats ein baulicher Movibundus. Sein Stigma: Die gelenkte Verwahrlosung, das Absinken in jenen Zustand, den Heimito von Doderer als „Cociergificatio“, zu deutsch „Verhausmeisterung“, bezeichnet. Die Vorstadt hat Otto Wagners Werk mit ihrer miesen Patina überzogen und verkrustet.

Dies alles noch trister im Licht des bewölkten Spätnachmittags. Das Niveau der Stellungnahmen machte den Protest zum Teach-in zwischen den Schüben des Feierabendverkehrs. Die Szene wurde zum Tribunal über die kulturelle Kurzsichtigkeit und Verantwortungslosigkeit. Im Plädoyer für Otto Wagner vereinigten sich Stimmen wie die des Kunsthistorikers Leopold Mazzaca- rini („Das größte baukünstlerische Genie unseres Landes seit der Barockzeit.“) und des Architekten Friedrich Kurrent, der namens der österreichischen Gesellschaft für Architektur sprach. Als Hauptredner, direkt von einer Sitzung des Kunstsenats gekommen, versah Roland Rainer seine scharfen Sentenzen mit den imaginären Rufzeichen einer Proklamation in letzter Stunde. Die wirkliche Moderne blickte zurück, auf ihren Ahnherrn. Diesen Ton nahm auch der Architekturplaner und Publizist Walter Prankl auf, er gab einen Befund in plakativer Prosa: „Korrodierte Metalle, Ellip sen rosten ab, Natursteine erodieren ungewaschen unter trüben Klein- Wattlampen. Putzschmuck größtenteils zerstört. Bahnsteige verrotten in ihrer Schmach zwischen Splitterlack und Säulenrost.“

An Ort und Stelle setzten rund 200 Personen ihre Namenszüge unter folgende Resolution: „Die Unterzeichneten fordern die Rettung und Erhaltung des Gesamtwerkes Otto Wagners, vordringlich die Erhaltung der Stadtbahnstation Meidling sowie die Überprüfung des Abbruchsgrundes, da festgestellt werden muß, daß die moderne Verkehrslösung die Vernichtung dieses wertvollen Baues nicht erfordert.“ Das ist nur das erste Kontingent, der Anlauf zu weiteren Maßnahmen.

Nieselregen sprühte in den bereits abgedeckten Stiegenabgang auf jene typischen flachen, so sinnvoll angelegten Otto-Wagner-Stufen, die das Steigen so leicht machen. „Die sozial sten Treppen, die je in Wien gebaut wurden, wie geschaffen für ältere Jahrgänge“, sagte eine alte Dame. „Und geradezu ideal für eine Heilgymnastik nach Beinbrüchen. Das habe ich an mir selbst gemerkt.“ Regen fällt aus dem Dämmer auf den einst weltstädtischen Bau. Heute führt die Stiege nach Czernowitz.

Reaktionen am Rand des Geschehens: Blinder Greisenzorn entlud sich bellend in völlig falsche Richtung (Geht’s nach Paris, auf die Barrikaden!“). Dumme Buben, plapperten in Teenager-Weisheit „moderne“ Thesen nach, ein Mittelschullehrer, der es offenbar auch nicht besser versteht, hat sie ihnen vorgesagt. Und als Epilog ein kleines Satyrspiel der „Volksmeinung“ im Zeichen des Proletenkappeis. „Des muaß wecka!“ (Das muß weg) lautet das auftrumpfende Urteil des Zwölferhauses. Also sprach die Peripheriementalität. Die Bassena ist ihr Leitfossil, von dort nimmt sie das Maß aller Dinge.

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