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1000 Details - eine Gesamtheit

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Das Unternehmen ist erst-, aber hoffentlich nicht einmalig: Eine öffentliche Körperschaft dieses Landes entsinnt sich ihrer moralischen Verpflichtung gegenüber der kulturellen Substanz, von der wir alle zehren, und setzt sie in ein erhebliches finanzielles Engagement um. Die österreichische Postsparkasse, in der letzten, in die Zeit des Jugendstils fallenden Bauperiode der Wiener Ringstraße errichtet, wird renoviert, aber nicht irgendwie, auch nicht mit jener Annäherung an den Originalzustand, dessen Grad in wenigen Jahrzehnten niemand verifizieren könnte, sondern mit jener Liebe zum Detail, die von der Erkenntnis ausgeht, daß es die tausend Details eines Bauwerkes sind, die seine Gesamtheit bestimmen.

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Das Unternehmen ist erst-, aber hoffentlich nicht einmalig: Eine öffentliche Körperschaft dieses Landes entsinnt sich ihrer moralischen Verpflichtung gegenüber der kulturellen Substanz, von der wir alle zehren, und setzt sie in ein erhebliches finanzielles Engagement um. Die österreichische Postsparkasse, in der letzten, in die Zeit des Jugendstils fallenden Bauperiode der Wiener Ringstraße errichtet, wird renoviert, aber nicht irgendwie, auch nicht mit jener Annäherung an den Originalzustand, dessen Grad in wenigen Jahrzehnten niemand verifizieren könnte, sondern mit jener Liebe zum Detail, die von der Erkenntnis ausgeht, daß es die tausend Details eines Bauwerkes sind, die seine Gesamtheit bestimmen.

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So wurde also von den Millionenbeträgen, welche die Postsparkasse in den kommenden Jahren wird aufwenden müssen, um ihr Gebäude den technischen und wirtschaftlichen Erfordernissen des modernen Bankbetriebes anzupassen, ein nicht geringer Teil für den völlig unwirtschaftlichen Zweck eingesetzt,

sowohl den Kassensaal als auch den Innenhof des Bauwerkes mit maximaler Originaltreue wiederherzustellen.

Die Renovierung war unumgänglich, denn Otto Wagner war zwar einer jener Architekten, die ihre Aufmerksamkeit noch dem geringsten Detail der Bauausführung

schenkten, trotzdem haben die zeitbedingten Schäden in den letzten Jahren stark zugenommen. Die Ver-kachelung der Fassade des Innenhofes begann sich zu lösen, Teile des Glasdaches mußten abgedeckt werden, um die Kunden der Postspar-

Otto Wagner, die Postsparkasse innen und außen: Moderner Bankbetrieb, altes Design

kasse vor der Gefahr, von herabfallenden, das Glasdach durchschlagenden Trümmern getroffen zu werden, zu beschützen.

Aber auch im Kassensaal muß, ob man will oder nicht, in die Bausubstanz eingegriffen werden. Glas, und nicht zuletzt Bauglas, ist bekanntlich ein für Laien überraschend kurzlebiges Produkt, und die in den Boden des Kassensaales eingelassenen Glasfenster können jederzeit zerbrechen.

Vor wenigen Jahrzehnten, ja Jahren hätte man sich als Bauherr wahrscheinlich sogar noch Belobigungen verdient, hätte man diese Glasfenster nicht überhaupt mit Zementplatten abgedeckt (da die unteren Geschosse heute längst elektrisch ausgeleuchtet werden), sondern neue Glasfenster eingesetzt. Im gegenständlichen Fall aber werden die Glassteine dieser Fenster die Originalgröße haben — womit Probleme verbunden sind, von denen sich der Außenstehende keine Vorstellung macht. Denn diese Glassteine werden nach Format, Musterung und Stärke längst nicht mehr erzeugt — es galt, einen Hersteller zu finden, der bereit ist, seine Produktionsabläufe zu unterbrechen und die gewünschten Sonderformen herzustellen.

Für Professor Dr. Sepp Stein, der

die Revonierung leitet, bestand eines der Hauptprobleme darin, einen Hersteller für die Fassadenkacheln zu finden, die sowohl im Format als auch in der Farbe von allen heute erhältlichen abstechen. Ein solcher Hersteller konnte in Deutschland gefunden werden — wann die alte Fassade abgetragen wird, dürfte nicht zuletzt davon abhängen, wann es dem betreffenden Werk möglich sein wird, seine laufende Produktion zu unterbrechen.

Die Abnahme dieser alten Kacheln wird ein kritischer Moment, da die Gefahr besteht, daß sich große Teile der Fassadenverkleidung auf einmal lösen, wenn mit der Demontage einmal begonnen wird. Wie man heute weiß, sind bei Fassadenverkachelun-gen Dehnungsfugen anzubringen — Otto Wagner fehlten viele heute selbstverständliche Erkenntnisse. Daß die Fassadenverkachelung im Innenhof der Postsparkasse, deren Kacheln nur einen halben bis zwei Millimeter voneinander entfernt sind, 70 Jahre überstanden hat, ist nur auf die außerordentliche Sorgfalt zurückzuführen, mit der dieser Bau errichtet wurde.

Auch alle anderen Details der Kassenhalle, die erneuerungsbedürftig sind, werden originalgetreu wiederhergestellt. So wird man auch das Glasdach wieder mit gebogenen Glasplatten eindecken — nach dem Krieg wurden die zerbrochenen Teile durch gerade ersetzt.

Die Wiederherstellung wird in drei Etappen vonstatten gehen und der Kassenbetrieb durch die Renovierung der Halle nicht unterbrochen. Auch die Schalter werden wieder so, wie sie vor 70 Jahren waren — mit ganz geringen Zugeständnissen an die Notwendigkeiten des Bankbetriebes. Diese Originaltreue geht bis zu den Schriftzügen und — getreu der Forderung nach Funktionalität — auch soweit, daß möglichst vielen Details der Saalausstattung ihre ursprüngliche Funktion erhalten werden soll.

So bleiben auch die markanten Lüftungssäulen ihrer Funktion erhalten — nur die Richtung des Luftstromes wird umgekehrt. Der finanzielle Einsatz der österreichischen Postsparkasse — etwa zwei-

einhalb Millionen für den Innenhof, rund zwei Millionen für die Halle — ist beträchtlich, aber der Effekt ist zweifellos den dafür aufgewendeten Betrag wert. Denn dieser Effekt besteht darin, daß dem Menschen von heute und morgen nicht eine Verfälschung der Jahrhundertwende als Original verkauft wird — daß er das großartige, jeden in seinen Bann

schlagende Interieur dieser Halle so erleben darf, wie es Otto Wagner Zeitgenossen und Nachkommen zugedacht hat.

Die Erfahrungen, die man bei dieser Renovierungsarbeit gewinnt, sollten möglichst vielen ähnlichen Projekten zustatten kommen.

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