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Die nächste Denkmalbarbarei?

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Außen eine Ruine, innen ein Klosett — in diesem Zustand befindet sich heute eines der wenigen in Wien noch vorhandenen Architekturzeugnisse einer Epoche, in der die Kunst den reinen Zweckbau als eine ihrer wesentlichen Aufgaben betrachtete, eines der frühen Beispiele für die Suche nach Lösungen, um rein technische Funktionen und Ästhetik zu integrieren, ohne das eine hinter dem anderen zu verstecken.

Jetzt kann es allerdings nicht mehr lange dauern, bis das in Frage stehende Bauwerk tatsächlich jenes

Stadium erreicht haben wird, wo die Wiederherstellung illusorisch wäre. Das Bauwerk ist das von Otto Wagner geplante „Schützenhaug der Staustufe Kaiserbad“, jener kleine, im Obergeschoß zum Teil blau gekachelte Bau am Donaukanal gegenüber der Stadtbahnstation Schottenring, dessen einstige Zweckbestimmung mindestens 99 Prozent aller Wiener unbekannt ist. So gut we jeder andere derart verwahrloste Bau war längst unrettbar verfallen — es ist hier wie in einigen anderen Fällen mehr der Materialwahl und der sprichwörtlichen Wagnerschen ^auqualität als einer wertblinden Nachwelt zu verdanken, daß das Schützenhaus, desolat aber doch, erhalten blieb. Da sich Granit, Marmor und Verfliesung dem Zahn der Zeit vorerst mit bemerkenswertem Erfolg widersetzen, schien zumindest bis vor wenigen Wochen auch eine Bereinigung des Falles nach dem in der Bennogasse praktizierten Muster nicht ausgeschlossen.

Bekanntlich wurde das Hauer-Haus in der Bennogasse in Uberstundenarbeit an einem Wochenende weggerissen, um dem bereits ausgefertigten Einspruch des (allerdings spät erwachten) Bundesdenkmal-amtes zuvorzukommen. Der Benno-Gassen-Skandal ist das Werk einer deutschen, freilich nicht lupenrein deutschen, sondern mit der österreichischen BAWAG verflochtenen Baugesellschaft. Er könnte, durch seine alarmierende Wirkung, ähnliehe Schandtaten verhindern, doch auch der gegenteilige Effekt, nämlich weitere Abbruche im Rücken einer gebannt auf das Geschehen in der Bennogasse starrenden Öffentlichkeit (wird das Hauer-Haus wieder aufgebaut, wird es nicht?), wäre denkbar. Denn Bennogasse ist heute in Wien überall.

Für das Schützenhaus trat in der Zwischenzeit eine neue Situation ein, die das plötzliche Zuschlagen der Spitzhacke vorerst undenkbar erscheinen läßt: Der Bautenminister hat die Entscheidung über das weitere Schicksal des Bauwerkes an sich gezogen. Das ist zu begrüßen, denn damit sind die beiden Hauptgründe, die zum Verfall des Hauses geführt haben dürften, beseitigt: Kompetenzunklarheiten und Inkompetenz. Denn vom Bundesstrombauamt, als Geschäftsführer dea Eigentümers, der vom Bund und den Ländern Wien und Niederösterreich getragenen „Donau-Hochwasserschutz-Con-kurrenz“, war natürlich nicht zu erwarten, daß es sich den Kopf über eine mögliche neue Verwendung des für das Strombauamt wert-, weil funktionslos gewordenen Gebäudes zerbrach. Und der Glücksfall, daß in diesem Amt jemand außerhalb seiner Zuständigkeit den Wert des Schützenhauses erkannt hätte, trat nicht ein.

„Das einfachste ist, das Haus wegzureißen“, erklärt man auch jetzt noch im Bundesstrombauamt, wobei dortamts alles, was gegen die Erhaltung des Hauses spricht, sehr viel liebevoller ausgebreitet wird als mögliche Gründe, es zu bewahren. (Die Halbstarken, die nachts alles verwüsten... die hohen Kosten einer Restaurierung ... die dauernde Last einer Erhaltung ...)

Selbstverständlich müßte das Gebäude „revitalisiert“ werden. Das müßte schon deshalb geschehen, weil die Revitalisierung in diesem Fall kein großes Problem darstellen sollte. Das Schützenhaus entspricht ohnehin allen Anforderungen, die an einen Atelierbau, vor allem an ein Bildhaueratelier, gestellt werden.

Der Abbruch des Schützenhauses würde eine Verarmung der Stadtlandschaft Donaukanal bedeuten, die gerade heute, angesichts des neuen, mächtigen Dianabadschwerpunktes, städtebaulich von den durch Augartenbrücke, Schleusenanlage, Schüt-zenhaun und Stadtbahnstation gesetzten Akzenten ihr besonderes Gepräge erhält. Das Schützenhaus muß aber auch als Einzelobjekt erhalten werden, es nimmt eine Sonderstellung im Schaffen Otto Wagners ein. Er mußte hier zu Lösungen greifen, die anderswo in seinem Gesamtwerk nur andeutungsweise, nirgends in so konsequenter Durchführung, wiederkehren. Denn nirgends stellte sich Otto Wagner sonst so zwingend das Problem, Architektur und Konstruktion, und zwar technische Konstruktion hier nicht als tragendes Element der Architektur, sondern als autonomen Fremdkörper der Architektur, zu integrieren.

Das Schützenhaus war Teil einer Wehranlage, von der nur noch die Schleuse besteht. Es ist mehr ein um einen mächtigen Kran herumgebautes Gehäuse als ein Haus. Mehr eine Maschine in einem hohen Glaskäfig mit zwei niedrigen Anbauten als ein dreiflügeliges Bauwerk. Das Interessante, das Bedeutende, das Schöne an diesem Bauwerk ist die künstlerische Integrierung von Konstruktion und Architektur — bei deutlicher, konsequenter Trennung, Betonung der Andersartigkeit.

Die Glasfront über dem Mitteltor, durch das der Wehrkran auf Schienen ausfuhr, wurde sowohl über dem Tor als auch auf der Höhe der auskragenden Kanzel von den Trägern eines Schützenkranes durchbrochen. Konstruktive ebenso wie formale Notwendigkeiten gipfeln darin, daß Wagner nicht die Fassade als Teil der Architektur gegenüber dem durch die Fassade ins Freie geführten Kran, sondern die Glasfassade gegenüber dem Gebäude als Teil der Krankonstruktion behandelte — der Schützenkran ruhte innerhalb des Bauwerkes auf Gleitlagern, auf denen er sich verschieben konnte, und war fest mit der Glasfassade verbunden, die sich zusammen mit dem Kran gegenüber dem Gebäude verschob, sobald Wärmeoder Zugspannungen entstanden.

Am Gebäude selbst treten, wie so oft bei Wagher, Materialkombinationen auf, die auch heute noch technisch schwierig zu beherrschen sind: Granit in Blöcken und mit Metallbolzen befestigten Platten, Marmorplatten, ebenfalls mit sichtbaren Bolzen befestigt, gewalzte und genietete Profile, Kupferwellblech, Kacheln, Holz, Glas. Die Fassade des vor allem durch menschliche Einwirkung devastierten Gebäudes ist erstaunlich gut erhalten. Da und dort haben sich die Marmorplatten verformt.

Der Grundriß des Gebäudes schreit nach Revitalisierung in Form eines Künstlerateliers — alle Voraussetzungen wären gegeben. Der mächtige Wehrkran hat ausgedient, aber gerade der leichtere Schützenkran im Obergeschoß könnte, etwa von einem Bildhauer, vielleicht verwendet werden. Die Erhaltung würde bestimmt nicht die Million pro Jahr kosten, vor der sich der eine oder andere offenbar fürchtet.

Die Restaurierungslasten allerdings dürfen nicht dem Mieter des Ohjekts aufgebürdet werden, denn die Fassade hat mit seinem Nutzwert wenig zu tun — hier darf keine Schmalspurlösung Platz greifen. Nur eine echte Restaurierung dieses Bauwerkes, auf Kosten und im Interesse der Allgemeinheit, ließe Schönheit und Bedeutung dieses kleinen, aber wichtigen Wagnerschen Bauwerkes auch die Halbblinden erkennen. Seine Vernichtung wäre ein Akt der Kulturbarbarei.

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