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Traum mit Zukunft

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Die Wiener Mariahilfer Straße ist ein Hoffnungsgebiet für Spekulanten. Derzeit U- Bahn-bedingt noch Großbaustelle, soll sie nach einem Jahrzehnt zu einer Schlagader pulsierenden urbanen Lebens werden. Mit solchen Entwicklungen ist dię profitable Umnutzung ganzer Häuserblocks verbunden. Kapitalkräftige Gesellschaften machen verlockende Offerte, Grundstücksbesitzer wittern ihre Jahrtausendchance.

Zum Glück gibt es Ausnahmen. Der Betriebsberater und Hotelier Heinrich Mayer hat mit dem Areal des Hotel Fuchs beim Westbahnhof andere Pläne. In dem traditionsreichen Beherbergungsbetrieb, dessen Mitbesitzer Mayer ist, befindet sich das ehemalige Magdalenenbad. Anders als der Haupttrakt hat die bisher unbeachtete Schwimmhalle die Renovierung der fünfziger und sechziger Jahre unbeschadet überstanden. Jetzt soll sie als kultureller Veranstaltungsraum re- vitalisiert werden — ein alternativer Beitrag zur „neuen“ Mariahilfer Straße. Allerdings einer, der mehr Geld kosten als bringen wird.

Vor mehr als hundert Jahren hatte Mayers Großvater das Hotel samt Hallenbad gegründet. Kurz zuvor, 1860, war in unmittelbarer Nachbarschaft der Westbahnhof entstanden. Auch für die Weltausstellung 1873 brauchte man Gästezimmer. Sieben Millionen Besucher kamen auf das 2,3 Millionen Quadratmeter große Areal im Prater, auf dem die Nationen und 40.000 Aussteller sich und ihre Waren präsentierten. Im ungebrochenen Optimismus der Gründerzeit schuf man während dieser Jahrzehnte zahlreiche Hotels.

Vieles, was im damaligen Bauboom entstand, ist seither verschwunden. Manches hat Eingang in die Kunstgeschichte gefunden, wie die Palasthotels an der Ringstraße. Das Magdalenenbad zählt heute zu den Denkmalen der Industriearchitektur. Manfred Wehdorn, der führende Fachmann auf diesem Gebiet, spricht ihm überregionale Bedeutung zu.

Das Magdalenenbad, so der Experte, ist das einzig erhaltene Schwimmbad mit Holz-Glas-Ei- sen-Konstruktion in einem Hotelverband. Die eiserne Galerie im Ausmaß von 12,40 mal 24,30 Metern kam aus der Eisen-Konstruktions-Werkstätte und Brük- kenbau-Anstalt Ignaz Gridl in Wien, fünfter Bezirk. Die k. k. Hofschlosserei führte auch die einzigartige Tragkonstruktion des Schönbrunner Palmenhauses aus, eines der größten der Welt.

Das Magdalenenbad, in Gridls statischer Berechnung als „Bacchussaal“ bezeichnet, war bis zum Ersten Weltkrieg in Betrieb. Dann wurde es mangels Heizmaterial geschlossen. Ursprünglich befanden sich neben der öffentlich zugänglichen Schwimmhalle noch ein Römerbad und Badekabinen, die später zu Hotelzimmern umgebaut worden sind. In den zwanziger Jahren wurde das Bassin zugeschüttet; man spielte im Bacchussaal Radfußball und Tischtennis, später diente er als Magazin. Die wesentlichen Elemente der Konstruktion — Galerie, Giebeldach in Glas-Eisen-Konstruk- tion — und die Dekorationen sind noch vorhanden.

Auf dieser Basis hat Architekt Walter Stelzhammer ein Vorprojekt für die Revitalisierung erstellt. Es umfaßt auch das Erdgeschoß des Hotels mit Foyer und Hof. Die Fassade soll in den ursprünglichen Zustand zurückge führt, die Veranstaltungshalle in interpretierter Form, in Annäherung an den historischen Bestand, gestaltet werden. Multifunktional verwendbar, würde sie in zwei Ebenen 300 Personen fassen. Der bislang brachliegende und eher triste Hof soll, mit einem Glasdach versehen und mit den Seitentrakten verbunden, eine Drehscheibenfunktion zwischen Hotel und Veranstaltungsbereich einnehmen.

Vom Nutzungskonzept her ist die Verbindung von Hotel und Saal möglich, aber nicht Bedingung. Als öffentlicher Veranstaltungsraum soll die „Halle“ aus dem Hotelbetrieb ausgegliedert und von einem Verein organisiert werden. Sie soll, so Heinrich Mayer, allen Formen authentischer Kunst offenstehen.

Es ist ein besonderes Anliegen des Hoteliers, daß Wien-Touristen nicht nur mit oberflächlicher Folklore-Kultur berieselt werden. „Fremde sollen nicht nur mit Belustigungsideen verführt werden und ein Klischeebild von Wien mit nach Hause nehmen“. Er möchte seinen Gästen und anderen Besuchern „authentische.

Kunst mit Wiener Lokalkolorit“ anbieten. Konkret könnte das heißen: Konzerte, Lesungen, Symposien, Ausstellungen — wobei der interessante Lichteinfall durch das Glasdach den Raum für Plastiken besonders geeignet erscheinen läßt: Mayer denkt dabei an traditionsbewußte Künstler ebenso wie an die Avantgarde, an Auslandsösterreicher oder an junge Absolventen von Musikhochschulen und Kunstakademien.

Erste Gespräche mit Politikern und Denkmalpflegern klingen vielversprechend: Jeder ist.dafür, daß das technische Denkmal Magdalenenbad revitalisiert wird, man wünscht sich einen kulturellen Impuls für den Bezirk und darüber hinaus. Ob den Worten Taten folgen, wird die Zukunft weisen. Heinrich Mayer hat bisher lukrative Angebote abgelehnt und beschäftigt sich intensiv mit dem Revitalisierungsprojekt. Hier geht es um mehr als um nostalgische Ambitionen — auch wenn jene, deren Horizont über momentane finanzielle Vorteile nicht hinausgeht, das Projekt als leere Träumerei abtun wollen.

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